Solche Gelegenheiten greift Paul M. Schröder vom BIAJ nur zu gern auf: „Die BILD meldete am 17. Januar 2017 auf Seite 1: ‚Jobcenter Rosenheim verhängt die meisten Hartz-IV-Sanktionen‘.“ Die Meldung stimmte nicht ganz. Aber diesmal war’s die Arbeitsagentur selbst, die einen Fehler gemacht hatte. Aber wer will schon gern Nr. 3 in dieser Sanktions-Hitliste sein?

Gotha jedenfalls nicht. Aber da musste auch erst einmal das Bremer Institut für Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe (BIAJ) nachrechnen, um bei der Arbeitsagentur den Korrekturvorgang auszulösen: „Beim Versuch, die Berechnung der in der BILD genannten durchschnittlichen Anteile der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten (ELB) mit mindestens einer Sanktion an den erwerbsfähigen Leistungsberechtigten insgesamt (BILD: ‚Stütze-Empfänger‘) rechnerisch nachzuvollziehen, stellte sich heraus: Der von der BILD für das Jobcenter Gotha genannte Anteil (6,14 Prozent) und der Rang 3 nach den Jobcentern Rosenheim Stadt (6,70 Prozent) und Südwestpfalz (6,26 Prozent) wurde offensichtlich auf Grundlage von acht richtig berechneten Anteilen in den Monaten Januar bis August 2016 und einem falschen Anteil im September 2016 (9,0 Prozent) berechnet. BILD hatte nicht bemerkt, dass sich in die Veröffentlichung der Statistik der Bundesagentur für Arbeit (BA) ein Fehler eingeschlichen hatte. In der Veröffentlichung der BA fehlte das Jobcenter Anhalt-Bitterfeld bzw. es fehlte die Zeile ‚JC Anhalt-Bitterfeld‘. Die Folge: Für alle Jobcenter ‚unter‘ Anhalt-Bitterfeld – von Wittenberg und Harz (!) bis Schmalkalden-Meiningen – wurden falsche Anteile ausgewiesen. Darunter  waren auch sechs Jobcenter mit einem im September 2016 höherem Anteil sanktionierter ELB als der von der BILD genannte Anteil von 6,7 Prozent in Rosenheim Stadt. Dies war Anlass für den Geschäftsführer des Jobcenters Rosenheim Stadt, die BILD-Meldung zu dementieren: ‚… es gebe belegbar deutschlandweit andere Jobcenter, die eine höhere Quote an Sanktionen für Leistungsbezieher hätten‘. Der Geschäftsführer hat sich am 18. Januar 2017 korrigiert.“

Das Jobcenter Gotha landet in dieser korrigierten Version „nur noch“ auf Rang 5 mit 5,82 Prozent mindestens einmal sanktionierten erwerbsfähigen Leistungsberechtigten (ELB), den es auch im Vorjahr schon hatte.

Und dass man in Gotha etwas verschnupft reagierte, hat auch damit zu tun, dass man sich gegenüber dem Vorjahr mal ein bisschen zurückgehalten hat mit Sanktionen. Die Zahl der Sanktionen sank um 1,6 Prozent, während sie zum Beispiel beim „Sieger“ Rosenheim um über 81 Prozent stieg. Und das bei einer deutlich kleineren Zahl von Leistungsbeziehern. Es ist schon erstaunlich, wie jetzt auf einmal die Jobcenter aus reichen westdeutschen Städten in der Spitze der Sanktionsliste auftauchen, wo man augenscheinlich auf dem kleinen Rest schwer Vermittelbarer herumtritt, als würden sich deren Jobchancen durch mehr Sanktionen auch nur im Mindesten verbessern.

Genauso aber haben die Jobcenter im Osten auch getickt. Auch Leipzig ist schon seit Jahren in der Spitze der Sanktionstabelle zu finden.

Diesmal landet das Jobcenter Leipzig (unter 403 aufgelisteten Jobcentern) auf Rang 11 mit 5,44 Prozent an sanktionierten erwerbsfähigen Leistungsberechtigten. Im Vorjahreszeitraum lag man noch auf Rang 9. Obwohl die Zahl der neu festgestellten Sanktionen im Vergleich zum Vorjahreszeitraum deutlich zurückging von 18.360 auf 16.343 und auch die Zahl der Sanktionierten leicht sank von 2.732 auf 2.714, hat sich der prozentuale Anteil der Sanktionierten erhöht – von 5,28 auf 5,44 Prozent.

Eine kleine Gruppe von rund 2.700 Personen wird also immer wieder sanktioniert, obwohl der Gesamtbestand an Leistungsberechtigten sinkt. In Dresden liegt die Zahl der sanktionierten Personen übrigens nur halb so hoch – bei rund 1.300. Schon das ist eine Zahl, die zeigt, dass an der Sanktionspolitik etwas nicht stimmen kann.

Aber auch in anderen Zahlen aus dieser Tabelle steckt – so interpretiert es auch Paul M. Schröder – eine Menge Willkür.

„Hinter dieser durchschnittlichen Veränderung (minus 4,5 Prozent) verbergen sich auf Jobcenterebene Veränderungsraten zwischen plus 97,2  Prozent – eine annähernde Verdoppelung der von Januar bis September 2016 durch das Jobcenter Stadt Mainz neu festgestellten Sanktionen (von 921 auf 1.816) – und den genannten plus 81,4 Prozent durch das Jobcenter Stadt Rosenheim bis minus 47,2 Prozent durch die Jobcenter Donnersbergkreis und Schleswig-Flensburg. Allein diese auf Jobcenterebene stark differierenden Veränderungsraten der Zahl der Kürzung des ‚menschenwürdigen Existenzminimums‘ (Bundesverfassungsgericht) sollte einmal mehr Anlass genug sein, die Sanktionspraxis (das Sanktionieren) zumindest für einen längeren Zeitraum auszusetzen (Moratorium) (oder) zu beenden.“

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