Nicht nur die L-IZ hatte so ihre Bauchschmerzen mit einem Wert aus der „Bürgerumfrage 2015“, der rapide in die Höhe geschnellt war. „Zusammenleben mit Ausländern“ heißt die Spalte in der Abfrage zu den „größten Problemen aus Bürgersicht“, die wir sowieso für höchst suggestiv halten. Ganz zu schweigen davon, wie Problem-Bewusstsein in Leipzig erzeugt wird.

Die Frage nach dem „Zusammenleben mit Ausländern“ gibt es in der Bürgrumfrage schon länger. Immer wieder stellte sich heraus, dass nur ein kleiner Teil der Leipziger darin ein Problem sieht. 2005 lag der Zustimmungswert der Befragten hier bei 11 Prozent, 2010 waren es 10 Prozent. Und dann 2015 schnellte der Wert auf einmal auf 24 Prozent hoch, in Regionen, in denen sonst immer nur Straßenzustände und Armut thematisiert wurden.

Das Jahr 2015 war ja bekanntlich auch ein besonderes Jahr: Alle Medien waren voller Geschichten über die Flüchtlinge, die auch die Bundesrepublik aufnahm. Und sie waren auch voller Geschichten, die das Thema problematisierten – von den dummdreisten Reden rechtslastiger Politiker über die Poltereien bei PEGIDA bis hin zu den Brandanschlägen auf Asylbewerberunterkünfte. Binnen kurzer Zeit hatten Chauvinisten und Fremdenfeinde das Thema besetzt und schürten die Stimmung in der ganzen Bundesrepublik.

Da kamen auch Leipzigs Statistiker ins Grübeln, ob der Topos „Zusammenleben mit Ausländern“ tatsächlich das beschreibt, was man meinte abgefragt zu haben. Immerhin stand auch die Frage im Raum: Haben sich so viele Leipziger binnen so kurzer Zeit zum Ausländerfeind gewandelt?

Könnte es nicht eher sein, dass viele der Befragten gar nicht ihr Problem mit Ausländern meinten, wenn sie hier ihr Kreuz machten, sondern die sichtbaren Probleme anderer Leute, die glauben, Probleme mit Ausländern zu haben und dadurch zum Problem für die Gesellschaft werden?

In der „Bürgerumfrage 2016“ haben Leipzigs Statistiker deshalb etwas ganz Einfaches gemacht. Sie haben einen neuen Begriff abgefragt: Fremdenfeindlichkeit.

Der war vorher tatsächlich nicht unter den angebotenen Problem-Begriffen zu finden.

Und das Ergebnis ist deutlich: Die Zustimmung bei der Problematisierung von „Zusammenleben mit Ausländern“ sank von 24 auf 14 Prozent. Immerhin ein Wert, der vorstellbar ist. Denn wenn alle Kanäle mit Geschichten voll sind, die das Anstänkern gegen Ausländer (und seien es welche vom Balkan oder aus den Nordafrika-Staaten) für einen Normalzustand erklären, dann gibt es auch in Leipzig Leute, die sich von dieser Stimmung der Verachtung anstecken lassen. Ein Anstieg von 10 auf 14 Prozent in so einer medial aufgeheizten Atmosphäre ist begreiflich.

Aber noch deutlicher ist das Ergebnis beim Topos „Fremdenfeindlichkeit“: Hier machten gleich beim ersten Mal 18 Prozent der befragten Leipziger 2016 ihr Kreuzchen. Überdeutlich wird: Dass diese Problemwahrnehmung in vorigen Bürgerumfragen schlicht gefehlt hat und sich das möglicherweise, so die Vermutung von Dr. Ruth Schmidt, der Leiterin des Amtes für Statistik und Wahlen, mit dem Topos „Zusammenleben mit Ausländern“ vermischt hat.

Jetzt schnellte die Problemwahrnehmung „Fremdenfeindlichkeit“ sofort auf Rang 6 in der Problem-Skala, gleich hinter der wachsenden Parkplatznot und den als Problem empfundenen steigenden Wohnkosten.

Ein wenig bildet sich das soziale Dilemma der ganz und gar nicht reichen Stadt auch in der Problemsicht der befragten Leipziger ab.

Dazu im nächsten Teil der Besprechung mehr.

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