Es ist nicht nur der ausbildbare Nachwuchs, der fehlt in Sachsen und ganz Ostdeutschland. Denn was passiert mit einem Arbeitsmarkt, der nun seit sieben Jahren nur noch halbierte Ausbildungsjahrgänge bekommt? Er gerät so richtig unter Druck. Und die Zahl der Arbeitsuchenden sinkt sogar dann immer weiter, wenn sie im reichen Westen gerade ansteigt.

Das macht eine Tabelle sichtbar, die Paul. M. Schröder vom Bremer Institut für Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe (BIAJ) jetzt mit den Märzzahlen der Arbeitsagentur erstellt hat. Denn die Arbeitsagenturen kennen meist keine Geschichte. Sie schauen meist nur auf den Bestand, stellen vielleicht noch einen Vergleich her zum Vormonat oder zum Vorjahresmonat.

Aber die großen Zusammenhänge werden nicht sichtbar. Zum Beispiel, was mit einem Landstrich passiert, in dem vor 20 Jahren die Geburtenraten regelrecht eingebrochen sind, weil die jungen Leute keine Arbeit fanden. Politik denkt ja gern in Vier-Jahres-Scheiben. Was danach kommt, übersteigt den Horizont. Der Transformationsprozess in Ostdeutschland, der 1990 einsetzte, wäre zwar ein gutes Exempel für Wirtschaftswissenschaftler und Politiker gewesen, dieses Pilotprojekt einmal mit langem Atem und mit perspektivischen Zielmarken anzugehen.

Doch man hat sich gegenseitig regelrecht eingelullt. Der eine versprach einfach, dass in 10, 15 Jahren der Osten den Standard des Westens erreicht haben würde. Der andere kritisierte zwar, hatte aber außer Kritik wenig zu bieten. Und die Langzeitbeobachtung zum Beispiel durch ein kompetentes Wirtschaftsinstitut fehlt sowieso. Was wiederum kein Zufall ist, weil es an Wirtschaftsinstituten, die tatsächlich einmal Langzeitbeobachtungen machen und die Ergebnisse politischen Handelns an der wirtschaftlichen Realität messen, mangelt.

Und es gab eine Menge politischer Entscheidungen, die man am wirtschaftlichen Realergebnis hätte überprüfen können.

Aber: Welcher Politiker lässt sich so etwa gefallen? Oder gibt gar noch Gelder dafür frei? Dann doch lieber ein Quatschinstitut für 37 Millionen Euro, das sich mit „gesellschaftlichem Zusammenhalt“ beschäftigt.

Ergebnis ist: kaputter gesellschaftlicher Zusammenhalt. Klingt zwar immer nach Karl Marx, wenn man erklärt, dass Arbeit sinnstiftend ist und erst die stabile Grundlage für Lebensentscheidungen und Familiengründungen bietet.

Aber das erkläre mal einer den Weihnachtsmännern.

Ergebnis von fehlender wirtschaftlicher Familiengrundlage im deutschen Osten anno 1991 bis ungefähr 1998 sind: fehlende Kinder. Ab 2010 kamen die derart halbierten Ausbildungsjahrgänge in den Unternehmen an. Ein paar Jahre lang hat noch der Überhang aus den Vorjahren geholfen und den Ausbildungsbedarf gedeckt.

Dann gab es auch noch – ab 2013 – drei Jahre, in denen ein anderer Puffer abgebaut werden konnte. Denn die dummen Ostdeutschen haben sich eben nicht in ihre berühmten Hängematten gelegt, schon gar nicht mit „Hartz IV“. Sie haben jeden Job genommen, der irgendwie nach einem Job aussah – vieles davon prekär von Mini über Midi bis Zeitarbeit. Und dieser Puffer aus Mini-Jobs schmolz ab 2013 ab. Die Leute wechselten in die frei werdenden Vollzeitangebote.

Das kaschierte zahlenmäßig noch einmal drei Jahre lang, dass viel zu wenig junge Leute zur Berufsausbildung zur Verfügung standen.

Aber auch dieser Puffer zehrt sich auf.

Das Ergebnis sieht für die Arbeitsmarktstatistik der Arbeitsagentur erst einmal richtig schön aus: Im Osten sinken die Arbeitslosenzahlen nun schon mehrere Jahre hintereinander stärker als im Westen. Und zwar in einem rekordverdächtigen Tempo. Schafften die großen starken Bundesländer im Westen gerade einmal einen Rückgang der Arbeitslosigkeit binnen eines Jahres um die 3 bis 4 Prozent (Ausnahme Bayern mit 8,4 Prozent), so erreichten die ostdeutschen Bundesländer hier Rückgänge zwischen 8,3 Prozent in Berlin und 13,8 Prozent in Sachsen-Anhalt. Sachsen bildet hier keine Ausnahme: Hier ging die amtlich festgestellte Arbeitslosigkeit um 12 Prozent zurück.

Paul M. Schröder neigt dazu, diese Zahl nicht für aussagekräftig zu halten, weil die nicht wirklich die ganze Arbeitslosigkeit abbildet.

Etwas aussagekräftiger ist die Zahl der Arbeitsuchenden. Aber auch hier ist der Effekt deutlich: Die meisten westdeutschen Bundesländer (außer Bayern) verzeichneten zwischen März 2016 und März 2017 sogar steigende Zahlen von Arbeitsuchenden. Die Leute drängen zwar nicht in den Arbeitsmarkt, weil sie derzeit vor allem in „Maßnahmen“ und Kursen stecken. Aber der Zuwachs erzählt eben auch davon, wo viele der angekommenen Flüchtlinge augenblicklich gerade stecken.

Und im Osten?

Im Osten reichen nicht mal die von der Arbeitsagentur übernommenen Flüchtlinge aus, das Abschmelzen des Berges der Arbeitsuchenden zu beenden. Im Gegenteil: Die Arbeitsmarktreserve schmilzt weiter – und das eigentlich in einem atemberaubenden Tempo – zwischen 3,2 Prozent in Berlin und 7,4 Prozent in Mecklenburg-Vorpommern. Sachsen kam auf 7 Prozent. Oder in Zahlen: 19.825 Menschen weniger, die dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen – trotz der aufgenommenen Flüchtlinge,

Für ganz Ostdeutschland kam so ein Rückgang der Zahl der Arbeitsuchenden um 78.806 zusammen – im Westen waren es im gleichen Zeitraum insgesamt nur 32.325.

Was für die ostdeutschen Bundesländer bedeutet, dass sie sich immer mehr den niedrigen Arbeitslosenzahlen des Westens annähern. Sachsen kommt mittlerweile auf eine offizielle Arbeitslosenquote von 7,3 Prozent, was sich zwischen Hamburg  (7,1 Prozent) und Nordrhein-Westfalen (7,6 Prozent) einordnet. Aber in einigen Branchen ist es jetzt schon knapp. Und seit drei Jahren ist auch die Abwanderung junger Leute aus Sachsen praktisch beendet, weil jeder Ausbildungsfähige hier mit Händeringen gesucht wird.

Heute rächt sich die Scheuklappenpolitik (die damals noch Blühende-Landschaften-Politik hieß) der 1990er Jahre. Die Arbeitsagentur Sachsen appelliert schon heftig an die jungen Leute, sich um eine Ausbildungsstätte zu bemühen. Ein Ruf, der aber größtenteils ins Leere geht, weil die jungen Leute schlichtweg nicht da sind.

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Oha, dann ist es um die Sklavenhändler ja geschehen. Die verlieren ihre “Arbeitskräfte”.

Jeder Arbeitgeber versucht Mitarbeiter zu halten, tritt die Flucht in die Arbeitgeberverbände an, damit Tarifverträge gelten.
Der kommende Wahllkampf ist seines Hauptthemas, bessere Bedingungen für Kinder und Familien, beraubt, bevor Schwesig eine Putzfrauenquote beschließen läßt. Denn prekäre Arbeitsverhältnisse gibt es nicht mehr. Für junge Menschen gibt es planbare und wirtschaftlich gesicherte Lebensbedingungen, die eine Familiengründung und – unterhaltung befördern.
Die Alten müssen ihre karge Rente nicht durch billige Nebenjobs aufbessern, denn steigende Arbeitseinkommen führen zu steigenden Renten.
Gott sei Dank (na gut, dem nun nicht) machen Automatisierung und Robotik rasende Fortschritte, sonst bräche bald das wirtschaftliche Chaos wegen des Arbeitskräftemangels aus.
Auerbachs Keller mußte schon den Weinkeller schließen und die Öffnungszeiten einschränken. Nun bekommt das schwedische Königspaar keinen Wein mehr.
Böse Vorzeichen, ganz böse….

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