Was hat die Einführung des Mindestlohns eigentlich bewirkt? Ein Effekt jedenfalls war, dass tausende Minijobs in Vollzeitarbeitsplätze verwandelt wurden. Das zeigt jetzt auch eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), die Daniela Kolbe, Generalsekretärin der sächsischen SPD, zu dem Fazit bringt: Der Mindestlohn ist ein Segen für Ostdeutschland.

Wer die Studie liest, sieht zwar diese Begeisterung bei den Autoren nicht. Die haben sich augenscheinlich aufgemacht, etwas zu suchen, was kein Mensch erwartet hätte, dass es so kommen würde. Irgendwie gingen sie von der närrischen These aus, die Minijobs würden einfach gleich im Betrieb in volle Stellen umgewandelt.

Was für Vorstellungen hat eigentlich die Bundesagentur für Arbeit von den komplexen Zuständen der Arbeitswelt? Lebt man dort in einem UFO? Manchmal scheint es so.

„Umwandlungen von Minijobs im Betrieb finden deutlich seltener statt als Abgänge aus dem Betrieb“, stellen Dr. Philipp vom Berge und Prof. Dr. Enzo Weber fest. „In den Jahren 2013 und 2014 wurden etwa 7 bzw. 8 Prozent der beendeten geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse direkt im Betrieb in sozialversicherungspflichtige Voll- oder Teilzeitarbeit umgewandelt. Im Januar 2015, unmittelbar nach Einführung des gesetzlichen Mindestlohns, lag die Zahl der Umwandlungen bei fast 110.000, und damit mehr als doppelt so hoch wie im Vorjahr (53.000). Dies bedeutet, dass etwa 13 Prozent aller beendeten Minijobs bzw. knapp 40 Prozent der zusätzlich beendeten geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse direkt in sozialversicherungspflichtige Jobs umgewandelt wurden.“

In ihrer Arbeit kamen die beiden Autoren dann auch auf die durchaus komplexere Gemengelage zu sprechen. Denn nicht jeder Arbeitgeber konnte die Minijobs einfach so in Vollzeitjobs verwandeln. Denn die Produktivität des Unternehmens erhöht sich ja nicht einfach über Nacht. Die beiden Autoren schreiben zwar von der Produktivität der Arbeitnehmer – aber da wird sichtbar, wie sehr ihr Denkansatz von neoliberalen Mustern geprägt ist. Da ist der Schritt zu „Minderleistern“ nicht weit, obwohl es die ganze Zeit um die Produktivität von Unternehmen geht. Und die steigt, wenn das Unternehmen seine Leistungen zu höheren Preisen verkaufen kann, nicht wenn die Arbeitnehmer fleißiger sind.

Und in der Klemme waren viele Unternehmer – gerade in Ostdeutschland. Sie konnten in der Regel ihre Preise nicht einfach erhöhen – oder haben sich nicht getraut, weil sie ihr Geschäftsumfeld als viel zu unsicher dafür einschätzten. Oft halten sich ja Unternehmen, die sich jahrelang auf niedrige Konkurrenzpreise eingeschossen haben, gegenseitig in Schach.

Was dann zu so einem Effekt führt, wie ihn die beiden Autoren zumindest beiläufig anmerken: „Dennoch könnten sich einige Arbeitgeber entschieden haben, möglicherweise besonders leistungsfähige Minijobber zu halten, dann aber an anderer Stelle zu kürzen, um einen zu starken Anstieg der gesamten Lohnkosten zu vermeiden.“

Für jeden Unternehmer ist das ein Balanceakt. Wirklich untersucht hat das aber keiner. Auch nicht das IAB. Das hat nur die eigenen Zahlen aus der Meldestatistik der Bundesagentur. Und die besagen – wie es auch Daniela Kolbe aus der Studie herausliest: Der Kurzbericht des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit zeigt, dass unmittelbar nach Einführung des gesetzlichen Mindestlohns im Januar 2015 die Zahl der Umwandlungen von Minijobs in sozialversicherungspflichtige Arbeit bei fast 110.000 lag, und damit mehr als doppelt so hoch wie im Vorjahr (53.000). Dabei wurden verstärkt Minijobs von Frauen, Älteren, Ostdeutschen sowie von Beschäftigten in mittelgroßen Betrieben in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse umgewandelt.

Der Mindestlohn kam also vor allem Personengruppen zugute, die vorher meist mit prekären Jobs abgespeist wurden – aus verschiedensten fadenscheinigen Gründen.

Was die beiden Autoren freilich nicht anmerken, ist: Der Mindestlohn kam auch in einem Moment, als die Fachkräftenachfrage in ganz Deutschland, aber insbesondere in Ostdeutschland, das Angebot deutlich überstieg. Die über zwei Jahrzehnte vorhandenen Reserven des Arbeitsmarktes waren aufgebraucht. Viele Arbeitgeber haben also aus der Not eine Tugend gemacht und freie Stellen mit Menschen besetzt, die vorher nur mit Mini-Jobs abgespeist wurden. Was die Zahl der Mini-Jobber sinken ließ.

„Der Mindestlohn hat der unendlichen Spirale des Lohndumpings ein Ende bereitet – und das ist gut so. Nur mit klaren gesetzlichen Regelungen wird ehrliche Arbeit auch gerecht entlohnt. Denn Minijobs waren und sind nur als Übergangslösung gedacht. Dass nun immer mehr Beschäftigte von einer Umwandlung in sicherere Arbeitsverhältnisse dank des Mindestlohns profitieren, ist ein Punkt hin zu mehr Gerechtigkeit für alle Arbeitnehmer“, sagt Daniela Kolbe dazu.

Und sie sieht die Wirkung des Mindestlohns auch nicht so gedämpft wie die beiden Studien-Autoren, die am Ende auch noch Seiten darauf verwenden, der geheimnisvollen Frage nachzugehen, ob die neuen Vollzeitstellen nun unsicherer sind als vor der Einführung des Mindestlohns. Ihre Erkenntnis überrascht nicht: Die Stellen sind sogar noch ein wenig stabiler als vorher. Denn natürlich versuchen jetzt gerade in Ostdeutschland viele Unternehmen, ihr Personal unbedingt zu halten. Altersgründe sind immer seltener ein Fall für Entlassungen. Und auch in schwierigen Zeiten versucht man, die Leute im Unternehmen zu halten. Denn wenn man sie verliert, sind sie weg. Die Nachfrage da draußen ist weiterhin hoch.

Auch mit Hinblick auf den kürzlich vom Bundeskabinett verabschiedeten Armuts- und Reichtumsbericht ließen die Studien-Ergebnisse des IAB hoffen, findet Daniela Kolbe. „Der Armuts- und Reichtums-Bericht hat gezeigt, wie wir vor allem das Problem der Kinderarmut in den Griff bekommen. Dort wo Eltern in Beschäftigung sind, ist Kinderarmut niedrig. Anständige Löhne greifen also genau hier. Doch dafür müssen vor allem sächsische Unternehmen mehr als nur das Mindestmaß an ihre Mitarbeiter zahlen. Sachsen ist Schlusslicht bei der Tarifbindung. Das muss sich dringend ändern.“

Wobei man auch beachten muss, dass der Mindestlohn nur ein Zwischenschritt ist zwischen den in vielen Branchen verbreiteten Niedriglöhnen und dem eigentlich erst auskömmlichen Normalniveau der Tariflöhne. Wer Mindestlohn bekommt, lebt noch lange nicht in Saus und Braus.

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