Der evangelische Kirchentag war es ganz bestimmt nicht, der Leipzigs Touristenzahlen im ersten Halbjahr 2017 auf einen neuen Höchststand gebracht hat. Rekordwert, schreibt die Leipzig Tourismus und Marketing (LTM) GmbH. Nun ja. Selbst Volker Bremer, deren Geschäftsführer, hat noch vor wenigen Jahren betont, dass Leipzig als Reiseziel noch eine Menge Luft nach oben hat.

Man darf einfach nicht vergessen, dass die schmuddelige, aschegraue Stadt in Sachsen bis weit in die 1990er Jahre als touristisches Reiseziel fast nicht existierte. Nur die Kenner reisten an, um mal das Gewandhaus zu besuchen oder die Leipziger Kabarettszene zu erkunden. Und die klügeren Kulturmacher in der Stadt arbeiteten emsig daran, das zu ändern – zum Beispiel mit neuen Festivals, die über die Stadtgrenzen ausstrahlten (wie der „Lachmesse“) oder alten Festen, von denen kräftig der Staub gepustet wurde – wie dem Bachfest.

Dazu kam die Neuprofilierung des damaligen Tourismus-Service und die Restaurierung der Innenstadt, an deren Aussehen noch Mitte der 1990er Jahre sich heute nur noch ältere Leipziger mit Grauen erinnern. Und die wenigen Umfragen unter Reisenden, die gefragt wurden, warum sie denn nach Leipzig kommen, zeigen alle, dass es zuallererst diese einmalige kompakte Innenstadt mit ihrem historischen Flair ist, die die Reise nach Leipzig lohnenswert machen.

Alles andere kam dann obendrauf – die sogenannte „Szene“, die hohe Kultur, die Feste. Und – nicht zu vergessen – der weltoffene Ruf der Stadt Leipzig mitten in einem Sachsen, das aus der Ferne für eine geraume Weile sehr trübe und provinziell wirkte. Die Dresdner und Chemnitzer haben das zu spüren bekommen.

Aber in Leipzig wuchsen die Besucherzahlen weiter, ohne dass die Stadt solche Attraktionen wie Semperoper, Zwinger oder Gemäldegalerie besitzt. Die Stadt entfaltet ihre Attraktion auf eher nüchterne Art. Und das spricht sich herum, wenn die, die schon mal aufs Völkerschlachtdenkmal geklettert sind oder Asisis Panometer besucht haben, weitersagen, wie schön der Ausflug war.

Ergebnis auch für die ersten sechs Monate des Jahres 2017: Mit insgesamt 793.673 Ankünften und 1.451.632 Übernachtungen übertrifft Leipzig im 1. Halbjahr 2017 die Rekordmonate des 1. Halbjahres 2016 deutlich. Nach kontinuierlichen Zuwächsen konnte sich Leipzig gegenüber dem 1. Halbjahr 2016 um 6,4 Prozent bei den Ankünften sowie 4,4 Prozent bei den Übernachtungen steigern. Im Monat Juni 2017 verzeichnete Leipzig sogar 310.356 Übernachtungen.

Dies ist bemerkenswert, betont die LTM, da es das erste Mal ist, dass Leipzig in einem Monat über 300.000 Übernachtungen erzielte.

Und dazu kommt der intensive Hotelneubau in der Stadt. Gerade erst hat am Goerdelerring das „Travel 24“-Hotel neu eröffnet. Weitere Hotels sind im Bau. Die Investoren und künftigen Betreiber vertrauen darauf, dass Leipzigs Tourismus weiter so wächst und sich damit auch die Betten füllen. Leipzigs Gästen standen im Juni 2017 insgesamt 128 Beherbergungsbetriebe mit 16.008 angebotenen Betten zur Verfügung. Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer der Gäste betrug 1,8 Tage.

Volker Bremer, Geschäftsführer der LTM: „Mit einem Gästezuwachs in dieser Höhe wurden unsere Erwartungen deutlich übertroffen. Wenn sich die positive Entwicklung auch im zweiten Halbjahr fortsetzt, wird Ende Dezember 2017 erstmals die Schallmauer von drei Millionen Übernachtungen fallen.“

Im Verhältnis zum Gesamtwachstum erhöhte sich der Anteil der inländischen Gäste im 1. Halbjahr 2017 um 6,4 Prozent (Ankünfte) und 5 Prozent (Übernachtungen). Deutlich ist auch die Anzahl der ausländischen Gäste gestiegen. Deren Ankünfte und Übernachtungen erhöhten sich im 1. Halbjahr 2017 auf 108.368 Ankünfte (+6,3 Prozent) und 219.015 Übernachtungen (+1,2 Prozent). Dies entspricht einem Anteil von 15,1 Prozent an den gesamten Übernachtungen. Die Hitliste der ausländischen Gäste führen bei den Übernachtungen die USA (23.804), Großbritannien (18.313) und die Schweiz (18.308) an.

Und da wird es spannend, denn es wirft die Frage auf, woran das liegen könnte. Am „Kirchentag auf dem Weg“ wohl eher nicht, der so mächtig gewaltig unter allen Erwartungen geblieben ist. Und an besonders spektakulären Festen wohl auch nicht, auch wenn viele von den gezählten US-Amerikanern wohl extra fürs Bachfest nach Leipzig gekommen sind. Der Thomaskantor zieht. Und möglicherweise wird dieses wichtige Fest beschädigt, wenn es weiterhin so zum Machtspiel einiger Kulturoberer in Leipzig wird. Der Geschäftsführer des Bacharchivs ist nicht ohne Grund so schnell wieder gegangen.

Aber es fällt auf, dass nicht nur die US-Amerikaner mit 23.804 Übernachtungen deutlich die Spitze in der Hitliste der ausländischen Gäste anführen – sie haben mit 18,6 Prozent auch kräftig zugelegt. Und das lag wohl an einem Ereignis, das die LTM so gar nicht auf der Speisekarte hatte: dem Reformationsjahr insgesamt. Denn in den USA ist Luther populär. Und dort nutzt man das Jubiläum augenscheinlich eher nicht, um zu den etwas burschikos inszenierten Feiern anzureisen, sondern um das Lutherland einmal in aller Ruhe zu erkunden. Immerhin sind praktisch alle Luther-Museen und die zugehörigen Schauplätze saniert und aufgemöbelt worden. So schön ließ sich Luther seit Jahrhunderten nicht erkunden. Und Leipzig liegt strategisch einfach günstig – von hier kommt man leicht nach Wittenberg, Torgau, Erfurt, Eisleben und Eisenach, um nur die Hauptorte zu nennen. Und Leipzig mit Bach und Thomanerchor gibt es dann quasi als Dreingabe.

Das würde zumindest den starken Anstieg bei den Amerikanern erklären.

Während die Briten jetzt schon heftig unter ihrem Brexit-Quatsch leiden. Auch sie kamen immer gern zum Bachfest. Aber mit 18.313 Übernachtungen ist ihr Leipzig-Fieber um 10,5 Prozent eingebrochen. Oder eben – aus ihrer Sicht – teurer geworden: Das Pfund leidet schon jetzt unter der ganzen Austrittsdebatte.

Aber wie wird man dumme Regierungen los, wenn man sie erst einmal gewählt hat?

Jetzt kann man natürlich gespannt sein, wie lange der Luther-Hype trägt oder ob sich Mitteldeutschland mit dem Thema Luther und Reformation sogar nachhaltig auf der Landkarte des Thementourismus platzieren kann. Da hätte dann die ganze Region etwas davon.

Mit den 1,45 Millionen Übernachtungen im 1. Halbjahr peilt Volker Bremer nun für Dezember die 3-Millionen-Marke an. Nur zur Erinnerungen: Das Potenzial für die Stadt sieht er bei 3,5 bis 3,6 Millionen. Aber vielleicht ändert sich das ja auch noch. Zum Beispiel, wenn 2020 Leipzigs neues Naturkundemuseum zum Publikumsmagneten wird.

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