Was für eine Quatschstatistik der Möchtegern-„Verkehrsanalyst“ Inrix aus Kirkland da jedes Jahr zum „Staugeschehen“ in deutschen Großstädten herausgibt, das haben wir an dieser Stelle schon vor einem Jahr auseinandergenommen. Aber es hat nichts geholfen. Ungeniert übernehmen große Medien und auch der Heimatsender MDR die Zahlen und zimmern daraus schreiende Überschriften wie „Wieder mehr Staus in mitteldeutschen Städten als vor Corona“. Und erklären Leipzig gleich mal zum Spitzenreiter im Negativ-Ranking.

Futter auf die Mühlen natürlich all jener Lobbyisten, denen schon drei Minuten Wartezeit an der Ampel zu viel sind, Radwege nur ein Ärgernis und Leipzigs Politik der Verkehrsberuhigung ein Graus.

„Die Forscher veröffentlichten zudem Staudaten aus 74 Städten. In Mitteldeutschland führt dabei Leipzig das Negativ-Ranking an: 46 Stunden verlor ein Pendler dort im vergangenen Jahr durchschnittlich – 13 Stunden mehr als noch 2019. In den deutschlandweiten Top 20 folgen Dresden (38 Stunden) und Magdeburg (35 Stunden)“, schreibt der MDR dazu.

MDR-Meldung zur Inrix-Meldung. Screenshot: L
Die MDR-Meldung zur Inrix-Nachricht. Screenshot: LZ

Genauso unbeleckt wie in der MDR-eigenen Umfrage zur Befürwortung des Kohleausstiegs, wo man nicht einmal die Sache mit der repräsentativen Befragungsgruppe begriffen hat. Aber stolz meldet der Provinzsender: „Generell befürwortet die große Mehrheit den Kohle-Abbau im Land.“

Genau aber das kann er nicht belegen. Gerade die jüngeren Bevölkerungsgruppen, die der Heimatsender schon lange kaum noch erreicht, sind deutlich unterrepräsentiert. Aber das behandeln wir noch an anderer Stelle.

Jeden Tag 7 Minuten an der Ampelkreuzung

Zur neuerlichen Inrix-Meldung können wir schlicht die Grundaussage von 2021 wiederholen: „Selbst der ‚Spiegel‘ hätte darüber stolpern müssen, dass es eigentlich lächerlich ist festzustellen: ‚Gerade mal 26 Stunden standen Deutschlands Autofahrer 2020 im Stau …‘ – In Leipzig kamen die Big-Data-Rechner aus Kirkland auf 31 Stunden.“

Und wenn sie nun 2022 auf 46 Stunden kommen, macht das natürlich erstaunliche 38 Prozent Steigerung zum Vorjahr. Aber was kommt dabei heraus, wenn man 46 Stunden durch 365 Tage dividiert? Dann kommt man auf 7 bis 8 Minuten am Tag, die Leipzigs Autofahrer herumstehen und nicht weiterkommen.

Auch dass Inrix nicht angibt, wie die Daten tatsächlich zustande kommen, macht die ganze Sache suspekt und reiht diese „Staumeldung“ ein in die wachsende Zahl von Quatschstatistiken, die in deutschen Medien zu Schlagzeilen gemacht werden, obwohl nichts dran ist.

Noch seltsamer wird es, wenn die Inrix-Rechner versuchen, auch noch Staukosten zu berechnen und einfach mal 10 Euro je Staustunde annehmen. Ganz so, als würden die Leute, die da jeden Tag ihre Stockungen im Verkehr produzieren, dabei auch noch Geld verlieren. So kommen die Inrix-Rechner nicht nur auf flotte 92 Millionen Euro Staukosten für Leipzig, sondern auch auf 200.000 Autofahrer (glatt), von denen sie annehmen, sie stünden regelmäßig im Stau.

Wenn selbst Ampel-Wartezeiten zum Stau werden

Und zu den von Inrix genutzten Tools gilt auch 2022 weiterhin: „Der Nutzen für professionelle Verkehre bleibt wegen der heterogenen Informationsstrukturen mit ortsfesten Sensoren und an das Fahrzeug gebundenen Sensoren sowie Telefonmeldungen zweifelhaft. Bezogen auf die Anzahl der Verkehrsteilnehmer auf deutschen Straßen ist die Anzahl der Nutzer von FCD-Diensten verschwindend gering. Die Veröffentlichungen zum Kundennutzen liefern lediglich Marketingdaten, aber keinen Nachweis eines hinreichenden Nutzens.“

Wenn man davon ausgeht, dass die von Inrix genannten 1,2 Millionen mobilen Datenquellen ebenso vielen Fahrzeugen entsprechen, dann sind das bei registrierten 48,5 Millionen Fahrzeugen in der Bundesrepublik rund 2,5 Prozent, die Daten liefern. „Alle 5 Sekunden“, wie Inrix betont. In Leipzig also rund 6.700.

Da werden dann auch Wartezeiten an der Ampel zum „Stau“.

Und es gilt auch weiter, was die Stadt Leipzig 2019 dazu sagte: “Ein Sprung um 41 Ränge bedarf einer Erklärung, und diese liefert das Unternehmen auch auf Nachfrage der Stadt Leipzig nicht. Weder auf telefonische noch auf schriftliche Anfragen gibt es eine Reaktion. Die Stadt Leipzig hätte gerne zu der genannten Stau-Studie Stellung bezogen, ohne die dazugehörige Datenbasis ist dies aber nicht seriös.”

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Es gibt 8 Kommentare

@radograph
Ja, eben. Die “Grundverzögerungen” des Tages gehen völlig unter.

@fra
Man könnte z.B. die 10 schnellsten Tagfahrten im Jahr als Basis nehmen.
Nicht perfekt korrekt, aber korrekter 🙂

@radograph
Wenn man aber nur die Differenz betrachtet ist das aber egal, ob die Ermittlung der Ausgangsbasis methodisch falsch ist. Da es die selbe Ausgangsbasis ist.

@fra: Wenn ich die gemessene nächtliche Fahrzeit als Grundlage nehme, die durch nur am Tag geltende Geschwindigkeitsbegrenzungen gar nicht legal gefahren werden kann, dann ist es schlicht methodisch falsch, dies der ‘congestion’ (übersetzt als ‘Stau’) als Ursache zuzuschreiben, wie die Inrix-Studie das macht. Zusammen mit detaillierten Straßendaten könnte man diese Effekte trennen.
@Christian: Die Fahrzeit hat schon einen realen, d.h. nachts gemessenen, Bezug. Nur ist der nicht ohne weiteres auf die Verkehrsregelung am Tag anwendbar.

@fra
> Interessant, jeder fährt jeden Tag (ohne Urlaub, Wochenende…) zur Arbeit.
Ja, bei groben Durchschnittsbetrachtungen ist das so. Kann man sicher genauer berechnen wenn einem mehr Daten zur Verfügung stehen. Dann teilt man halt die 46 Stunden durch 220 (Arbeits-) Tage und kommt auf ca. 12 Minuten. Ist jetzt auch nicht so wahnsinnig mehr und sicher nicht 100%ig korrekt. Aber relativ unerheblich. Das Auto steht im Durchschnitt schließlich auch ca. 23,2 Stunden pro Tag ungenutzt herum. Da kann man jetzt noch die 12 Minuten abziehen, dann sind es im Durchschnitt immer noch 23 Stunden. Und selbst wenn es “nur” 22,8 Stunden wären wäre das Auto jetzt nicht so wahnsinnig effektiver…

“Und wenn sie nun 2022 auf 46 Stunden kommen, macht das natürlich erstaunliche 38 Prozent Steigerung zum Vorjahr. Aber was kommt dabei heraus, wenn man 46 Stunden durch 365 Tage dividiert? Dann kommt man auf 7 bis 8 Minuten am Tag, die Leipzigs Autofahrer herumstehen und nicht weiterkommen.”
Interessant, jeder fährt jeden Tag (ohne Urlaub, Wochenende…) zur Arbeit.

@Christian:
Welche Fahrzeit würden Sie denn als Grundlagen nehmen und natürlich erhöht jede neue Geschwindigkeitsbeschränkung die entsprechende Zeit im Verhältnis zur vorherigen Studie.
Für die prozentuale Erhöhung ist die Ausgangsbasis eigentlich egal, solange sie nicht verändert wird.

Letztlich ist die Ausgangsbasis für die “Stauzeit” eine ideale Fahrzeit ohne jeglichen realen Bezug.
In etwa das, was die ersten Navigationsgeräte der Welt getan haben.
Das ist sinnfreies Jonglieren mit Zahlen, die man auf solche Art nicht einfach ins Verhältnis setzen kann.
Aber für eine Schlagzeile eben gut.

Inrix macht im Report durchaus Angaben zum Zustandekommen der Daten. Die Berechnung des sog. Zeitverlustes offenbart dabei einen systematischen Fehler: “Total time lost is the difference in travel times experienced during the peak periods compared to free-flow conditions on a per driver basis. In other words, it is the difference between driving during commute hours versus driving at night with little traffic.”
Dabei werden also alle Geschwindigkeitsbeschränkungen vor Schulen, Kindergärten usw., die von 6:00 bis 18:00 Uhr gelten, als “Zeitverlust” gewertet und letztlich unter congestion/Stau eingeordnet, auch wenn man die nächtliche Fahrzeit in den Tagesstunden selbst ohne jeglichen anderen Verkehr nie legal erreichen könnte. Da fehlt bei der Betrachtung aus der Ferne die Sensibilität für die lokalen Verhältnisse.
Auch ausgeschaltete Lichtsignalanlagen, Bedarfsanforderungen, die im normalen LSA-Programm nachts eben nur selten vorkommen, ÖPNV-Vorrang u.ä. verzerren das, was als unreflektiert als “Zeit im Stau” betitelt wird.

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