Am 9. Juli traf sich der Leipziger Stadtrat extra zu einer 13-Minuten-Sitzung, um noch fristgerecht die Neuansetzung der Stadtratswahl im Wahlkreis 9 zu beschließen. Doch seit am Donnerstag, 17. Juli, der designierte SPD-Stadtrat Hassan Soilihi Mzé vorpreschte und Klage ankündigte gegen die Neuansetzung der Wahl, scheint auf einmal Vieles möglich. Auch die designierte Grünen-Stadträtin Alrun Tauché zieht vor Gericht.

Am Donnerstag, 17. Juli, hat auch die Stadt Leipzig gegen den Bescheid der Landesdirektion Sachsen vom 17. Juni zur Anordnung der Teilneuwahl im Wahlkreis 9 anlässlich der Kommunalwahlen Klage vor dem Verwaltungsgericht Leipzig erhoben.

“Ziel ist es, im Wege eines einstweiligen Rechtsschutzes noch vor der Durchführung der Teilneuwahl zu klären, ob die Teilneuwahl erforderlich ist oder der Bewerber, der nicht wählbar war, hätte gestrichen werden können. Bei einer Streichung des Bewerbers aus der Liste der Nachrücker wäre eine Neuwahl nicht erforderlich”, erklärt dazu Verwaltungsbürgermeister Andreas Müller. “Die Stadt Leipzig hält ein Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz für geboten, um vor Durchführung der Neuwahl diese rechtlichen Fragen klären zu können und nicht nach deren Durchführung weitere Anfechtungen zu riskieren. Damit soll gewährleistet werden, dass der neugewählte Stadtrat zügig seine Arbeit aufnehmen kann. Die Vorbereitungen für die Neuwahl werden jedoch fortgesetzt. Es bleibt die Entscheidung des Verwaltungsgerichts abzuwarten.”

Und auch die Anwälte von Hassan Soilihi Mzé melden sich zu Wort. Die beauftragten Rechtsanwälte Fabian Virkus von der Kanzlei Hönig und Partner sowie Rechtsanwalt Jürgen Kasek beabsichtigen, gegen den Bescheid der Landesdirektion Sachsen, der eine Neuwahl im Wahlkreis 9 vorsieht, im Namen ihrer Mandaten Hassan Soilihi Mzé (SPD) und Alrun Tauché (Grüne) anzufechten. Sie begehren im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes vor dem Verwaltungsgericht, dass die aufschiebende Wirkung der eingelegten Anfechtungsklagen wiederhergestellt wird. Hätte der Antrag Erfolg würde zunächst keine Neuwahl im Wahlkreis 9 bis zur Beendigung des Hauptsacheverfahrens stattfinden, auch nicht am 12. Oktober.

Rechtsanwalt Virkus, der den in der Wahl vom 25. Mai gewählten SPD- Stadtrat Hasan Solihi Mzé vertritt, erklärt dazu: “Der Bescheid der Landesdirektion ist in mehreren Punkten rechtlich bedenklich. Die Landesdirektion hat einen schweren Fehler als gegeben angesehen, da nach einer hypothetischen Betrachtung damit zu rechnen sei, dass, sofern die NPD nicht antrete, ein Teil der Stimmen auf die CDU übergehen werde und sich damit die Zusammensetzung des Stadtrates verändern würde. Diese Berechnung lässt außer Acht, dass § 27 Abs. 3 SächsKomWG eine ausdrückliche Regelung für den Fall enthält, dass ein Gewählter nicht wählbar ist. In diesem Fall ist die Zuteilung des Sitzes aufzuheben. Nichts anderes kann dann gelten, wenn eine Ersatzperson nicht wählbar war. Die offenkundige Regelungslücke ist dogmatisch korrekt durch eine Analogie zu schließen. Aus dem Bescheid der Landesdirektion geht dies nicht hervor und ist offenkundig nicht geprüft worden.”

Und Rechtsanwalt Jürgen Kasek: “Auch die Anwendung von § 27 Abs. I SächsKomWG durch die Landesdirektion ist fehlerbehaftet. Danach ist die Wahl für ungültig zu erklären wenn wesentliche Vorschriften missachtet wurden und das Ergebnis dadurch beeinflusst werden konnte. Die Landesdirektion setzt an diese Stelle auf die hypothetische Betrachtung, dass, sofern die NPD nicht angetreten wäre, die Stimmen auf die CDU übergegangen wären, was wiederum den Teiler bei der Sitzungsverteilung im Stadtrat verändert hätte. Diese Betrachtung stützt die Landesdirektion, ohne das näher aufzuführen, auf eine Analyse der Landtagswahl 2009. Die Wanderungsbewegung bei der Kommunal- und Landtagswahl sind nur bedingt zu vergleichen. Dabei wird außer Acht gelassen, dass mit der AfD in Leipzig eine weitere Partei das Protestwählerspektrum anspricht. Die Schlussfolgerung, dass ein Großteil der NPD Wähler die CDU gewählt hätten ist nicht ohne weiteres zulässig. Die hypothetische Betrachtung der Landesdirektion lässt zudem außer Betracht, dass durch die angeordnete Neuwahl auch die NPD wieder einen Bewerber aufstellen wird.”
Die Neuwahl im Wahlkreis 9 führt auch mit hoher Wahrscheinlichkeit dazu, dass sich möglicherweise die Sitzverteilung im gesamten Stadtrat ändert, da im Wahlkreis 9 bei der Neuwahl von einer stark fallenden Wahlbeteiligung auszugehen ist. In diesem Fall wären weitere Anfechtungsklagen programmiert und zudem zweifelhaft, ob die Neuwahl im vorliegenden Fall bei dem vorliegenden zeitlichen Abstand mit Art. 38 GG vereinbar wäre. Erst durch die seltsam enge Auslegung des Wahlrechts durch die Landesdirektion entsteht ein rechtliches Gemengefeld, in dem der eigentliche Wille des Wählers zu Fall für die Gerichte wird.

Denn Fakt ist auch: Der NPD-Mann Alexander K., wegen dessen Auftauchen auf dem Wahlzettel nun alles wieder aufgerollt werden soll im Leipziger Nordwesten, wurde nicht gewählt.

Im Ergebnis habe der Bescheid der Landesdirektion schwerwiegende Fehler, stellen die beiden Rechtsanwälte fest. Mit einer Entscheidung des Verwaltungsgerichtes im Eilverfahren ist bereits in den nächsten Wochen zu rechnen. Sollte das Verwaltungsgericht die angeordnete Neuwahl zunächst kassieren, müsste die Entscheidung im Hauptsacheverfahren fallen. Und da würde es sehr spannend, denn dieses kann bis zu drei Jahren dauern.

Dass sich die Stadt so spät zur Klage entschieden hat, verwundert nun besonders Alrun Tauché. Denn zwei Tage vor Fristablauf diese einzureichen, zeuge nicht von einem wohlüberlegten strategischen Handeln der Stadt, mit diesem Problem umzugehen. Zumal ein frisch gewählter SPD Stadtrat ebenfalls zuvor gegen die Entscheidung der Landesdirektion in Widerspruch gegangen war. Fehlen der Stadt inzwischen die nötigen juristischen Kompetenzen, mit solchen Problemen umzugehen?

“Nach der Zeit des wahlkämpfens wollte auch ich mich gezielt auf meine neuen Aufgaben als Stadträtin mit Schwerpunkt im Norden Leipzigs, vorbereiten. Leider wird es vorerst nicht dazu kommen”, sagt Tauché.

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Dann, am 18. Juni, kam dann die Mitteilung der Stadt und der Beschluss der Ratsversammlung, dass die Wahl im WK 9 wiederholt werden muss, weil für die Stadtratswahl im WK 9 ein mängelbehafteter Wahlvorschlag zugelassen war.

Der betreffende vorbestrafte NPD Kandidat hatte sich sogar für den Landtag nominieren lassen und erst da fiel die Täuschung auf. Durch mehrfache Ummeldungen des NPD Kandidaten waren relevante melderechtliche Vorgänge wegen § 26 Abs. 2 Sächsisches Meldegesetz automatisch durch das Computerprogramm gelöscht worden.

“Ist es nicht unverhältnismäßig, eine Teilneuwahl anzuordnen, obwohl der betreffende Kandidat gar nicht in den Stadtrat gewählt wurde. Man bedenke die avisierten Kosten von 40.000 Euro. Und kann man wirklich davon ausgehen, dass dessen Wähler eine andere Partei wählen, wenn dieser nicht angetreten wäre? Oder sind das nicht nur Spekulationen?”, fragt Tauché. “Es ist gut, dass dieser Vorgang nun noch einmal juristisch überprüft wird und endlich wieder Rechtssicherheit zu diesem Vorgang hergestellt und eine Teilneuwahl unter Umständen obsolet wird.”

Jürgen Kasek, ihr Rechtsanwalt und zugleich Vorstandssprecher der Leipziger Grünen, ergänzt: “Offensichtlich hat die Landesdirektion das Verfahren nicht in der notwendigen Tiefe geprüft. Denn das Kommunalwahlgesetz geht davon aus, dass auch ein ‘Gewählter’, der nicht hätte gewählt werden dürfen, ansatzlos gestrichen wird. Die hypothetischen Ausführungen im Bescheid der Landesdirektion an wen die Stimmen gegangen wären, entbehren jeder Grundlage und sind dogmatisch fehlerhaft. Zudem fordern wir die Stadt auf, ein Ermittlungsverfahren gegen die NPD und Herrn K. anzustrengen. Regressansprüche gegenüber der Stadt behalten wir uns ausdrücklich vor. Sollte die Entscheidung der Landesdirektion Bestand haben, obliegt es zukünftig den Parteien das Wahlergebnis hernach anzufechten. Dass die NPD hier die Demokratie vorführt muss verhindert werden.”

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