Ein Problem in Sachsen ist nicht nur die Schizophrenie in der ausgeübten Asylpolitik, wenn der regierende Ministerpräsident mehr Zuwanderung fordert und sein Innenminister die schärfste Abschiebungspraxis in ganz Deutschland zelebriert. Die nächtliche Abschiebung am 12. Dezember in der Markranstädter Straße zeigte in aller Deutlichkeit, wie egal der sächsischen Asylbürokratie die Schicksale der Betroffenen sind. Und was bitte schön hat Leipzig für eine Rolle gespielt, wollten die Grünen wissen.

Immerhin ist es die Stadt Leipzig, die die Betreuung der Asylsuchenden organisiert. Wer sollte die Asyl suchenden Menschen beraten, wenn es die sächsische Abschiebebürokratie nicht tut? Eine berechtigte Frage, erst recht vor dem Hintergrund der PEGIDA- und LEGIDA-Demonstrationen, bei denen nicht nur diverse Redner so tun, als wäre die sächsische Asylpraxis zu lasch und die Flüchtlinge aus den Krisengebieten der Welt würden gar mit Samthandschuhen angefasst.

Werden sie aber nicht. Und die Asylverwalter werden nicht mal munter, wenn sie als Herkunftsland Tschetschenien in ihren Akten lesen, wie es bei der 18-Jährigen der Fall war, die im Dezember mitten in der Nacht aus der Asylunterkunft geholt wurde.

Und so schrieben die Grünen: “Kurz vor Weihnachten wurde eine 18-jährige Bewohnerin der Gemeinschaftsunterkunft Markranstädter Straße in einer gnadenlosen nächtlichen Aktion von ihrer Familie getrennt und abgeschoben. Sie hatte über ihren Geburtstag die Volljährigkeit erreicht und offenbar die eigenständige Antragstellung auf Asyl aus Nichtwissen versäumt. Der Bescheid über die Abschiebung hat nach unserer Information die Betroffene nicht erreicht, obwohl sie in einer städtischen Gemeinschaftsunterkunft untergebracht war.”

Aber irgendwie scheint die Fraktion der Grünen mit der Leipziger Stadtverwaltung den Falschen gefragt zu haben. Denn die kann irgendwie nichts tun, wenn die Landesbehörden beschließen, wieder Menschen abzuschieben.

Und so fragte die Grünen-Fraktion: “Welche Handlungsleitlinie besteht bei der Beratung von Asylsuchenden in einem solchen Fall der Änderung einer Eigenschaft beim Asylgesuch?”

Und dann wird’s etwas kompliziert. Denn verstehen die gerade glücklich im ach so sicheren Sachsen Gelandeten, dass sie auf jeden Fall eine Rechtsberatung brauchen, weil die deutschen Abschiebebehörden mit juristischen Finessen arbeiten, weil der Freistaat nun einmal keine Lust auf persönliche Beratung hat. Und wer liest schon die deutsche Asylgesetzgebung, wenn er glaubt, das Schlimmste jetzt hinter sich gelassen zu haben?

Das Sozialdezernat zu dem Thema: “Die Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter in den Gemeinschaftsunterkünften weisen Flüchtlinge innerhalb der ersten zwei Wochen nach ihrer Ankunft darauf hin, dass sie keine Verfahrens- und Rechtsberatung anbieten, dass sie aber, wenn die Flüchtlinge einen diesbezüglichen Bedarf anzeigen, an entsprechende Stellen vermitteln, die dies tun. Die betreffende Familie war anwaltlich vertreten.”

Die zur Sanierung vorgesehene Massenunterkunft Torgauer Straße 290. Foto: Ralf Julke
Die zur Sanierung vorgesehene Massenunterkunft Torgauer Straße 290. Foto: Ralf Julke

Dumm nur, wenn man als gerade 18-Jährige gar nicht das Gefühl hat, eigentlich Bedarf zu haben.

“Hat die Stadt Leipzig Hinderungsgründe für die Abschiebung geltend gemacht?”, fragten die Grünen noch.

Hat sie nicht. Der Freistaat informiert die Kommune ja nicht darüber, dass man mal wieder Menschen abschiebt, die durchs juristische Raster gefallen sind. Und eine Abschiebung war das ja gar nicht, würde man ja nie behaupten, dass es eine war. Die Wortakrobatik beim bürokratischen Umgang mit den Menschen, die Zuflucht in Deutschland suchen, ist mittlerweile schon LTI-reif.

Oder in den Worten des Leipziger Sozialdezernates: “In diesem Fall handelte es sich nicht um eine Abschiebung, sondern um eine Überstellung in einen anderen Mitgliedsstaat der Europäischen Union, in welchem der Asylantrag erstmals gestellt wurde. Die Stadt Leipzig konnte gegenüber der Landesdirektion Sachsen beziehungsweise der Zentralen Ausländerbehörde keine Hinderungsgründe geltend machen, da sie darüber nicht vorab informiert wurde.”

Da wird ein junger Mensch eben einfach überstellt wie ein Päckchen. Übrigens ein Wesensmerkmal der LTI: die Verdinglichung von Menschen, sie werden aus lebendigen Subjekten zu persönlichkeitslosen Sachen gemacht. Die dann einfach überstellt werden. Was auch wieder zeigt, mit welcher bürokratischen Engherzigkeit die deutsche Asylgesetzgebung seit 1992 gefasst wurde.

Aber dass es mit der Beratung klemmt, ist nun einmal auch ein Leipziger Problem. Wer die Überstellung und Abschiebung einfach den rigorosen Behörden im Verantwortungsbereich von Innenminister Markus Ulbig (CDU) überlässt, macht sich mitschuldig. Da muss sich auch schon aus Leipziger Verantwortung heraus deutlich etwas ändern. Und so fragten die Grünen: “Welche Pläne hat die Stadt Leipzig als Unterbringungsbehörde, die Hilfe für Asylsuchende zukünftig besser zu koordinieren, insbesondere die Beratung über den Aufenthaltsstatus?”

So recht auf freudige Zustimmung traf ihre Frage im Sozialdezernat freilich nicht. Das wand sich bei dem Thema ein wenig und antwortete: “Es wird geprüft, in welcher Hinsicht die Beratungs- und Unterstützungsangebote noch besser verknüpft und gegebenenfalls ergänzt werden sollen.”

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