Schon vor der Abstimmung wurde in der Versammlungs-Pause diskutiert. Nicht nur im Saal. Auf dem Flur überreichte der "Initiativkreis: Menschen.Würdig." OBM Burkhard Jung (SPD) eine Petition. Bei der anschließenden Diskussion konnte die Antira-Gruppe den Verwaltungschef nicht überzeugen. Jung argumentierte mit der sozialen Betreuung in den Sammelunterkünften. "Ich bin weiterhin dagegen, Flüchtlinge sofort dezentral in Wohnungen unterzubringen." Es sollte eine muntere, wenn auch letztlich weitgehend einhellige Debatte im Stadtrat selbst folgen.

Auf die bisherigen Stärken der Flüchtlingspolitik in Leipzig hatte der Leipziger OBM auch die Überbringer der Petition für eine Schließung der Torgauer Straße hingewiesen. In der angeregten Pausendebatte bekamen bereits ähnliche Argumente Raum, wie anschließend im Saal. Der durchaus gute Betreuungsschlüssel von einem Betreuer auf 50 Flüchtlinge in Leipzig, die immer noch bei 51 Prozent liegende, dezentrale Unterbringung bei steigenden Flüchtlingszahlen und die weiteren Bemühungen der Verwaltung.

Der Erhalt der Einrichtung Torgauer Straße 290 ist darüber hinaus nicht für null zu haben – dass Gebäude ist weitgehend „am Ende“. Die Gesamtkosten der geplanten Baumaßnahmen belaufen sich auf rund 5,8 Mio. Euro. Die SPD beantragte überdies, auch die Freiflächen umfassend zu erneuern und herzurichten.

Die Stadt Leipzig sieht sich selbst unter extremen Druck gesetzt. Die Flüchtlingszahlen steigen und die einzige Option, die die Verwaltung sieht, ist, an der Torgauer Straße 290 festzuhalten. „Es sind doppelt so viele Menschen wie im letzten Jahr und das Zehnfache im Vergleich zu 2011. Diese Zahlen nenne ich ihnen, um den Handlungsdruck uns gegenüber zu zeigen“, so warb Bürgermeister Thomas Fabian für den Beschluss zur Sanierung der maroden Einrichtung. Der Gestaltungsrahmen der Verwaltung wäre dabei denkbar einfach, weil sich die Immobilie bereits in Nutzung und im Besitz der Stadt befinde.

Dass es mit dem Objekt im derzeitigen Zustand einfach nicht weitergehen kann, war fast jedem Stadtrat am Mittwochabend klar. „Sie sieht zurzeit nicht gut aus, deshalb planen wir die Sanierung“, begründet Fabian das umstrittene Projekt und hob zugleich die Vorteile heraus. Es gibt abgegrenzte Wohneinheiten. „Sie ermöglichen ein hohes Maß an Privatheit“.

Stadträtin Katharina Krefft (Bündnis 90/ Die Grünen)
Katharina Krefft. Foto: Alexander Böhm

Katharina Krefft wies im Rahmen der Debatte darauf hin, was nun bereits seit 2012 durch den Oberbürgermeister selbst versprochen worden war: „Die Torgauer wird geschlossen“. Sie rief erneut zur Initiierung eines runden Tischs auf, an dem sich die Stadträte, die Verwaltung und die Wohnungsgenossenschaften beteiligen müssten.

Echter Kontrapunkt und ebenfalls einig mit den Petitenten für die Schließung des Gebäudes, waren fünf Mitglieder der Linksfraktion, unter ihnen Juliane Nagel. Sie stellten einen umfassenden Änderungsantrag zur Abstimmung. Tenor: “Von der Erweiterung des Asylbewerberheims Torgauer Straße 290 wird abgesehen.” Es solle nur noch eine Art Übergangssanierung stattfinden, keine vollständige Sanierung, welche zudem 1,5 Jahre dauern würde. Eine Frage des Mitteleinsatzes, denn stattdessen solle die Verwaltung ihre Bemühungen um kleinere Unterkünfte fortsetzen. Und außerdem einen Termin zur endgültigen Schließung des Heims festlegen.

Der Antrag der fünf Linksabgeordneten: Nur Teile instandsetzen – Mehr dezentrale Unterbringung

Juliane Nagel (Die Linke)
Juliane Nagel (Die Linke). Foto: Alexander Böhm

Juliane Nagel (Die Linke) führte zum letztlich einzigen der Sanierung der Torgauer Straße entgegenstehen Antrag aus: „Wir haben auch innerhalb unserer Fraktion sehr emotional diskutiert.  Nun liege hier eine als Bauvorlage deklarierte Beschlusslage vor, statt dass eine Grundlagendebatte geführt worden wäre. Seit 2009 drehen sich Beschlüsse rings um die Torgauer Straße 290, doch nie rückte die einst bereits für 2016 geplante Schließung wirklich näher. Nun wird wieder viel geredet, auch über Container und Zelte“, spielte Nagel auch auf die Informationsveranstaltung am Abend des 24. Februar zur Erstaufnahmeeinrichtung in der Friederikenstraße, Leipzig-Dölitz an.

Darüber hinaus haben die Genossenschaften mindestens 3.000 leerstehende und verfügbare Wohnungen im Bestand und auch am gestrigen Tage Bereitschaft signalisiert, hier auch Lösungen zu finden. Dies haben nun jedoch, entgegen der Aussagen der Stadt Leipzig noch Ende 2014 “man könne nicht mit den Wohnungsgenossenschaften in Leipzig”, verschiedene Initiativen eingeleitet und geklärt. Die Sanierung würde überdies 1,5 Jahre dauern – dies müssten die wissen, die hier schnelle Hilfe versprechen würden.

Nagel forderte nochmals deutlich, die Torgauer Straße 290 nicht zu sanieren, nur noch teilweise und temporär instandzusetzen und endlich die Alternativen nutzen, die nun auf dem Tisch lägen.

Stacheldraht ist nicht menschenwürdig

Das eigentliche Dilemma erläuterte anschließend Margitta Hollick (ebenfalls Die Linke) mit ihren Zahlen. Derzeit lebten 2.400 Asylbewerber und Flüchtlinge in Leipzig. Und es wird nicht weniger, so Hollick, für 2015 würden nun nochmals 2.000 Flüchtlinge erwartet. Und bereits da läge das Problem, 2015 werden in der Bornaischen-, Püschel-, Stöckelstraße für rund 160 Menschen eröffnet. Dies wird genügen, um den Status quo hinzubekommen. Doch was geschieht mit den 2.000 neu Ankommenden? Letztlich konnte Margitta Hollick nur attestieren, dass die Fraktion sich hierzu tatsächlich intensiv unterhalten hätte und nicht alle einer Meinung sind. Für sie ginge es jedoch ohne die große Leipziger Unterkunft mit derzeit 390 Bewohnern letztlich nicht.

Margitta Hollick. Foto Sebastian Beyer
Margitta Hollick. Foto: Sebastian Beyer

Was Hollick dennoch wichtig war, der Stacheldrahtzaun müsse sofort weg. “Das ist nicht menschenwürdig”, so Hollick. Und sie verwies auf das, was letztlich noch wichtiger sei: „Viele Vereine und mehr als 100 Leipziger Paten engagieren sich persönlich, dass nenne ich Willkommenskultur.“

Tobias Keller (AfD) forderte die Sanierung der Torgauer Straße, da aus seiner Sicht keine andere, dezentrale Lösung kurzfristig in Sicht sei. Michael Weickert (CDU) betonte anschließend, dass es leider keine Alternative zur Sanierung der Torgauer Straße gäbe. Alle die dagegen seien, wären letztlich schuld daran, wenn gegen Ende des Jahres Menschen in Turnhallen untergebracht werden müssten.

Alle Redebeiträge hatten eines gemeinsam: Das Problem wird gesehen, die Lösungen bleiben verschieden. Der Stadtrat stimmte mehrheitlich über alle Fraktionen hinweg für das scheinbar Unabwendbare.

Einige gegen die eigene Überzeugung, andere in der Meinung, es wäre schon ganz in Ordnung so und somit in der Mehrheit für die Sanierung und Erweiterung der damit größten Asylbewerberunterkunft in Sachsen in der Torgauer Straße 290.

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