Wenn ein Anliegen in regelmäßigen Abständen im Leipziger Stadtrat neu auftaucht, dann muss ja was dran sein. Erst recht, nachdem in der L-IZ nun recht intensiv diskutiert wurde, warum ausgerechnet die Liegenschaftspolitik der Stadt nicht zu den strategischen Zielen passt, die sich die Verwaltung 2005 gegeben hat. Obwohl man sich nach Ausssage des Liegenschaftsamtes strikt bemüht, die Ziele einzuhalten. Jetzt macht das der SPD-Fraktion Kopfschmerzen.

Am Freitag, 13. März, hat sie einen Antrag eingereicht, der am 25. März erstmals in der Ratsversammlung auftauchen soll: “Die Strategische Ziele der Kommunalpolitik gem. Ratsbeschluss RB IV-1157/08 vom 16.04.2008 (basierend auf RB IV-392/05 vom 12.10.2005) werden bis zur Einbringung des Doppelhaushalts 2017/18 evaluiert.”

2005, als sich Leipzigs Verwaltung diese Strategischen Ziele setzte, waren sie ein Novum. Sie machten erstmals zwei wichtige Anliegen der Stadtpolitik auch zur Grundlage von Entscheidungsfindungen. Jede Vorlage im Stadtrat muss wenigstens die Kreuzchen aufweisen, mit denen die Vorlagenersteller einzuschätzen versuchen, ob die Anträge im Sinne dieser Strategischen Ziele sind oder nicht. Letzteres muss dann begründet werden.

Die beiden 2005 formulierten und dann 2008 noch einmal bestätigten Strategischen Ziele sind:

– Rahmenbedingungen für Arbeitsplätze: Hier geht es um die Verbesserung der Rahmenbedingungen für Wirtschaftsansiedlungen und Schaffung neuer Arbeitsplätze, letztlich die Senkung der enorm hohen Arbeitslosigkeit.

– Ausgeglichenere Altersstruktur: Hier geht es um die Verbesserungen der Rahmenbedingungen für Familiengründungen, bessere Chancen für junge Menschen als auch eine Verhinderung der zunehmenden Vergreisung der Stadt.

Beide 2005 hoch aktuelle Themen. Die Arbeitslosenzahl hatte 2005 mit 46.870 einen neuen Hochstand erreicht. Es war das Jahr der Einführung von “Hartz IV”. Leipzig drohte nicht nur mit seinem Schuldenstand von 904 Millionen Euro kaum noch handlungsfähig zu sein – der Sozialetat begann regelrecht auszuufern. Hoffnung machte die Tatsache, dass die Einwohnerzahl wieder stieg und erstmals wieder 500.000 Einwohner gezählt wurden. Die beiden strategischen Ziele als Rahmen für die Stadtpolitik lagen also auf der Hand. Sie waren auch 2008 noch logisch.

Aber 2010 meldete erstmals die Linksfraktion ihre Zweifel an, ob die beiden Ziele allein überhaupt noch ein gültiges Leitbild für die Stadt sein könnten. Immerhin hatte Ziel Nr. 1 unter dem neuen Oberbürgermeister Burkhard Jung tatsächlich seine Wirkung entfaltet: Die Arbeitslosenzahl war um über 10.000 auf 35.909 gesunken. Auch wenn sich beim genaueren Betrachten herausstellte, dass das zum größten Teil prekäre Beschäftigungsangebote waren – von befristeteten Arbeitsverträgen bis hin zum massiven Ausbau der Zeitarbeit.

20.000 Einwohner mehr binnen fünf Jahren

Die Bevölkerungsentwicklung hingegen hatte schon erstaunlich Schwung bekommen: Von 502.000 war die Einwohnerzahl auf 522.000 gestiegen. Ob freilich dabei das strategische Ziel Nr. 2 eine Rolle spielte, kann man bezweifeln: Leipzig profitierte da eindeutig von seiner Rolle als Metropole in Mitteldeutschland und als Universitätsstadt.

Doch irgendetwas schien schon damals zu fehlen, etwas, was die zumeist sehr separiert betrachteten beiden Ziele in ein greifbares Leitbild fasste.

“Doch beschreiben beide Ziele nicht das unverwechselbare Bild Leipzigs und bieten so den Bürgerinnen und Bürgern nur begrenzte Möglichkeiten, sich mit ihrer Stadt zu identifizieren. Darüber hinaus ist ihre Wirkung von vornherein auf den Haushalt der Stadt bezogen und nicht als qualitative Zielbeschreibung gedacht”, merkte die Linksfraktion seinerzeit an bei der Forderung nach einem umfassenderen Leitbild. “Leipzig hat reiche historische und kulturelle Traditionen. Aber das allein macht Leipzig nicht zur europäischen Großstadt mit internationalem Anspruch. So ist der dafür erforderliche selbsttragende wirtschaftliche Aufschwung bisher ausgeblieben. Eine breite Diskussion unter Einbeziehung der Bürgerinnen und Bürger soll dazu beitragen, klare Entscheidungen über das Leitbild Leipzig 2030 und den Weg dahin zu treffen.”

Leipzig wächst als Dienstleistungsstandort

Das mit dem “selbsttragenden wirtschaftlichen Aufschwung” wird sicher auch die Linksfraktion heute etwas anders sehen. Leipzig hat in den vergangenen fünf Jahren eindeutig eine positive wirtschaftliche Entwicklung genommen. Ob diese “selbsttragend” ist, ist eine besondere Frage. Denn bislang sind auch die Ökonomen noch darauf fixiert, nur eine breite industrielle Basis als selbsttragend zu betrachten. Kann aber eine Stadt, die derart stark auf Dienstleistungen setzt wie Leipzig, auch einmal den Sprung zur wirtschaftlichen Eigenständigkeit schaffen?

Aber auch das scheint nun in der Rückschau auf die jüngsten Diskussionen um Asylpolitik, Kita-Ausbau, Schulneubau und die gerade erst anrollende Problematik des sozialen Wohnungsbaus noch zu kurz gedacht zu sein. Sonst hätte nicht gerade die SPD-Fraktion jetzt das drängende Gefühl, dass die Strategischen Ziele auf den Prüfstand gehören.

Sie will die Strategische Ziele der Kommunalpolitik nicht nur bis zur Einbringung des Doppelhaushalts 2017/18 evaluiert sehen (was ja bekanntlich 2016 passieren muss), sondern: “Der Evaluierungsprozess erfolgt öffentlich im Rahmen ‘Leipzig weiter Denken’ oder in einem anderen geeigneten Format.”

Einfach so weitermachen wie seit 2005, das geht nicht mehr, befindet die SPD-Fraktion: “Seit Beschlussfassung der Strategischen Ziele der Kommunalpolitik haben sich wesentliche Parameter des demografischen und wirtschaftlichen Umfeldes, in denen Kommunalpolitik in unserer Stadt stattfindet, verändert. Das betrifft sowohl die Stadt Leipzig, als auch Sachsen, Deutschland und Europa. Diese, sich in einem ständigen Veränderungsprozess befindlichen Einflussfaktoren auf die Stadt Leipzig und damit auf die Kommunalpolitik sind deshalb in Kongruenz zu den aktuell gültigen Strategischen Zielen der Kommunalpolitik zu bringen und diese gegebenenfalls neu zu formulieren. Im Evaluierungsprozess ist auch zu klären, ob die insgesamt als positiv einzuschätzende demografische und wirtschaftliche Entwicklung der Stadt ursächlich mit der Strategischen Zielstellung zusammenhängt oder ob überwiegend äußere Einflussfaktoren maßgeblich waren und sind.”

Politische Rolle der Großstädte wächst

Ein durchaus ernstzunehmender Zweifel. Denn beide Prozesse haben ja schon vor 2005 begonnen und haben sich nach 2008 erst richtig verstärkt. Und sie haben beide mit der zentralen Rolle als Wirtschafts- und Forschungsstandort zu tun. Und – was fast immer vergessen wird – mit Leipzigs zentraler Rolle innerhalb der Metropolregion Mitteldeutschland. Eine Rolle, die die Stadt ausfüllt, obwohl wesentliche Weichenstellungen in der sächsischen Landespolitik gerade für Leipzig finanziell und strategisch negativ gelaufen sind.

In gewisser Weise steckt im SPD-Antrag auch eine Aufforderung an den SPD-Oberbürgermeister Burkhard Jung, sich auch verstärkt in die sächsische und die mitteldeutsche Politik einzubringen. Denn die “Parameter des demografischen und wirtschaftlichen Umfeldes” haben direkt damit zu tun. Und die Frage, die im Jahr 2015 eindeutig steht, ist nun einmal: Wie kann man die Region langfristig stabilisieren und stärken und den Wachstumseffekt von Leipzig auch für das gesamte Metropolgebiet fruchtbar machen? Denn irgendwann ist dieses – bis dato noch gut vernetzte Hinterland – ausgeblutet, dann lässt auch die Zuwanderung nach und Leipzig gerät doch wieder in den selbstgemachten deutschen Abwärtsstrudel der zunehmenden Vergreisung und des Bevölkerungsschwundes. Und da derzeit in den Landeshauptstädten keine Strategien entwickelt werden, die das Thema angehen, müssen augenscheinlich die Oberbürgermeister anfangen, über ihre Stadtgrenzen hinaus zu denken.

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