Manchmal brauchen die Dinge einige Zeit. Manchmal auch ein Jahr. Das passiert selbst Volksparteien wie der CDU. "Wir sind ja die letzte verbliebene Volkspartei", sagt Robert Clemen, Kreisvorsitzender der Leipziger CDU, am Donnerstag, 29. Oktober. Die CDU hat zu ihrer ersten kleinen Pressekonferenz eingeladen. Nur Uwe Rothkegel, Vorsitzender der CDU-Fraktion im Stadtrat, musste absagen aus persönlichen Gründen.

Seinen Part übernimmt Michael Weickert, neben seiner Arbeit als Stadtrat auch Pressesprecher der Leipziger Union. Ein sichtbares Zeichen für eine Partei, die sich nicht nur verjüngt hat – 10 der 19 Stadtratsmitglieder sind im Herbst 2014 neu in die Ratsversammlung eingezogen – sondern auch ein neues Profil zu finden versucht. Immer wieder fällt das Stichwort Dresden, eher mit kritischer Sicht auf die Koalition von SPD, Linken und Grünen in der Landeshauptstadt. Das gebe es in dieser Form in Leipzig noch nicht, betont Weickert, sieht aber trotzdem eine verstärkte Zusammenarbeit von Links-, SPD- und Grünen-Fraktion. Da sei dann auch die große bürgerliche Fraktion im Stadtrat in der Minderheit. Da brauche es Geschlossenheit.

Klammer auf: anders als in der letzten Legislatur, als es die CDU-Fraktion im Leipziger Stadtrat geradezu lähmte, weil sich zwei Flügel unversöhnlich zerstritten hatten. Was dann der Grund dafür war, dass sich die neu gewählte Fraktion mit Uwe Rothkegel einen Mann zum Fraktionsvorsitzenden gewählt hat, der fähig ist zu moderieren und nicht nur die Flügel der Partei (die sich auch in der Fraktion spiegeln), sondern auch die Generationen zum Konsens zu führen, der manchmal ein Kompromiss ist, manchmal auch etwas völlig Neues. Zum Beispiel die Erfahrung, dass man gar kein Profil verliert, wenn man sich trotzdem so lange streitet, bis man eine gemeinsame Formel gefunden hat.

“Uwe Rothkegel ist es eindeutig gelungen, die Fraktion zu einen”, sagt Weickert, der auch im Stadtrat hör- und sichtbar aufgetaut ist und noch viel öfter als seine Fraktionskollegen Stellung nimmt zu Themen, zu denen die alte CDU-Fraktion früher meist nur geschwiegen hatte, während sich die eher linken Fraktionen am Pult abwechselten. So war die Leipziger CDU oft genug eine Sphinx, die nicht recht zu enträtseln war, wenn sie gegen Stadtvorlagen stimmte. Manchmal braucht es am Pult die Erklärung, manchmal auch die Auseinandersetzung um Argumente, Haltungen, Sichtweisen.

Robert Clemen ist anzusehen, dass das kein leichtes Amt ist. Er musste ja für den Kreisverband leisten, was Rothkegel in der Fraktion geschafft hat. Belohnt wurde er für das Moderieren, Aushalten und Flöhehüten beim letzten Kreisparteitag mit seiner Wiederwahl: Über 90 Prozent, das hatte zuletzt die langjährige Vorsitzende Christine Clauß geschafft.

Da nimmt er sogar die Abwerbeversuche der AfD gelassen, die sich seit der “Zukunftskonferenz” der CDU in Schkeuditz anbietet wie ein Gesangsverein: Kommt zu uns, wir sind die Alternative!

Gab es Austritte? – “Ein paar”, sagt Clemen, “deutlich weniger, als wir befürchtet haben.” Er weiß nun schon aus ein paar Jahren CDU-Vorsitz, dass es einer Partei gar nicht gut tut, wenn sie ihre Diskurse nicht öffentlich austrägt. Genau das ist in Schkeuditz passiert. “Und das ist gut so. So etwas braucht eine Partei”, sagt Clemen. “Auch in einer Volkspartei muss es unterschiedliche Sichtweisen geben. Es wäre schlimm, wenn es anders wäre.”

Wer das nicht aushielte, der wäre auch in der CDU nicht wirklich zu Hause. Obwohl: Es gibt da ein kleines Obwohl, das Clemen beim Pressegespräch auch deutlich macht. Denn wenn man “die einzig verbliebene Volkspartei” ist, dann hat man auch eine Aufgabe, die die anderen Parteien entweder nicht mehr wahrnehmen können oder nicht wollen: Man muss sich um einen breiten bürgerlichen Konsens bemühen. Das schließe – so Clemen – eben auch all die Menschen ein, die jetzt ihre Bauchschmerzen mit der aktuellen Bundespolitik haben, jene Menschen, die schon seit längerem “das Gefühl haben, Politik gehe an ihnen vorbei”.

“So ein Gefühl, wie es Viele von uns noch von früher kennen: Die da oben machen ja doch, was sie wollen”, sagt Clemen. Man müsse die Befürchtungen dieser Menschen ernst nehmen. Aber wie macht man das? Das ist ein Spagat, gerade in Zeiten, da ausgerechnet die CDU-Bundeskanzlerin Angela Merkel mit ihrer Politik in der Kritik steht.

Da merkt man, dass das auch im Leipziger CDU-Verband (bis in die Fraktion) nicht einfach zu vermitteln ist.

“Auch in unserer Fraktion vertritt die Hälfte eher liberale, weltoffene Positionen”, sagt Weickert. Und das habe mit dem Alter der Stadträte eher nichts zu tun. Und dann gibt es die andere Hälfte, die eher besorgt ist und – so Clemen – doch eher hinter der deutlich härteren Position von Bundesinnenminister de Maizière stehe und der eigenen Bundeskanzlerin nicht so sehr folge. “Merkels Handeln ist durch das Grundgesetz abgedeckt, keine Frage”, sagt Clemen. Das Aber schwingt mit. Es ist eine schwer vermittelbare Position in Sachsen.

Oder nur eine heute schwer vermittelbare, weil Sachsens CDU sich schwer tat und tut mit dem Dialog? Weil es am öffentlichen Diskurs fehlte?

Im Leipziger Stadtrat auf jeden Fall. So sieht es auch Weickert: “Wir müssen deutlich mehr Diskussionen im Rat führen.” Nicht nur zur Leipziger Asylpolitik, die Oberbürgermeister Burkhard Jung im Sommer zur Chefsache gemacht hat. Was für die Faktionen eben auch heißt: Die Beschlüsse kommen im Wochentakt, große Freiräume zur Diskussion gibt es gar nicht. Darauf hat ja die Leipziger CDU-Fraktion bekanntlich schon mit einem Brief an OBM Jung reagiert. Und das wurde auch in der Ratsversammlung am 28. Oktober deutlich: Asylunterbringung ist nicht das einzige Thema, zu dem die Stadträte deutlich mehr Gesprächsbedarf haben. Nach 22 Uhr musste die Marathonsitzung abgebrochen werden, ohne die Tagesordnung geschafft zu haben. Jetzt gibt es endlich, was seit September eigentlich überfällig ist: eine Sondersitzung des Stadtrates am 11. November.

Weickert und Clemen mahnen beim Pressegespräch immer wieder an: Man müsse die Menschen mitnehmen. Gerade jene, die jetzt ihre ganze Unsicherheit und Verunsicherung artikulieren. Man könne sich nicht einfach hinter Eilvorlagen verstecken, dürfe “Ärger und Sorgen nicht ignorieren”, sagt Michael Weickert. “Unsere Aufgabe ist es, diese Stimmung ernst zu nehmen und zu artikulieren.”

Aber reicht das, dem Stadtrat wieder mehr Gewicht zu geben bei den Entscheidungen der Stadt? Es sind ja nicht nur die Eilvorlagen zur Asylunterbringung, die die Fraktionen in letzter Zeit auf dem falschen Bein erwischten. Und nicht nur aus der CDU-Fraktion kommen die Klagen über zu späte oder ungenügende Stadtratsvorlagen. “Man darf auch nicht vergessen, dass wir nur Ehrenamtler sind”, sagt Weickert. Heißt: Man muss sich oft erst auf den letzten Drücker durch viele Seiten oft überladener Stadtratsvorlagen arbeiten – und bekommt doch kein klares Bild. Was tun? “Wir haben uns angewöhnt, hart nachzufragen”, sagt Weickert. Und es gäbe durchaus Ämter und Dezernate in der Verwaltung, die sehr gesprächsbereit seien und auf Nachfragen schnell reagieren.

Andere tun sich schwer. Und da beißt sich dann auch die CDU-Fraktion fest, wie das zuletzt bei der Einflussnahme auf die Leitung der Tourismus und Marketing GmbH (LTM) gewesen wäre, aktuell beträfe es auch das neue Tourismuskonzept und  jüngst betraf es die hingeschluderte Vorlage zu den Jubiläen 2016. “Immerhin haben wir als Stadträte ein Recht darauf zu erfahren, was denn nun mit dem Geld, das wir zur Verfügung haben, wirklich bezahlt werden soll.”

Dass man auch Probleme benennen müsse, dessen ist sich Clemen sicher. Auch in der Asylpolitik. “Es ist auch in unserer Verantwortung, die Funktionsfähigkeit unseres Gemeinwesens zu erhalten.” Deswegen halte er die zunehmende Gewaltbereitschaft der Extremisten von rechts und links für besorgniserregend. “Und ich betone: Extremisten”, fügt er noch hinzu. “Mit rechts und links hat das nämlich gar nichts mehr zu tun.”

Einen entsprechenden Antrag, auch ein Aussteigerprogramm für linksextreme Gewalttäter aufzulegen, hat die Fraktion ja schon gestellt.

Und wie ist das mit den seltsamen Angeboten der AfD? – Für Weickert ist die Antwort klar: “Wir müssen als CDU wieder lernen zu diskutieren.”  Und: “Wir halten das aus. Den Spruch hab ich übrigens von Frau Hollick übernommen. Der passt einfach.”

Margitta Hollick ist Stadträtin der Linken mit langer Erfahrung im Stadtrat. Politik ist tatsächlich kein Kurzstreckenlauf, sondern eher Marathon. Manchmal über die doppelte Distanz.

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Es gibt 7 Kommentare

“Auch wenn ich mit dem Inhalt der Beiträge von Klaus nicht unbedingt übereinstimme, finde ich diese lesenswert und „kurzweilig“.”

Auch wenn ich mit dem Inhalt der Partei nicht unbedingt übereinstimme, finde ich die Menschen lobenswert und Feste „kurzweilig“.

Auch wenn ich mit dem Inhalt der Beiträge von Klaus nicht unbedingt übereinstimme, finde ich diese lesenswert und „kurzweilig“.
Es ist doch jeden L-IZ Leser frei gestellt, sich zum Inhalt konstruktiv und sachlich zu äußern

Das war schon alles?

Erstaunlich. dass Sie mein Fachwissen über die kommunale Finanzkontrolle nicht in Abrede gestellt haben.

Zum Einen: Wie Sie geflissentlich nicht wahrgenommen haben, habe ich mich nicht zu Ihrer Serie geäußert, sondern zu Ihren Kommentaren zu allen möglichen anderen Beiträgen in der L-IZ. Sie ziehen aus dem Selbstbild, dass Sie etwas Substantielles über die kommunale Finanzkontrolle zu sagen haben, was ich überhaupt nicht in Abrede stellen möchte, die fatale Schlußfolgerung, Sie hätten und müßten zu jedem anderen Thema auch etwas beitragen. Wie diese Kommentare in der Regel daherkommen, habe ich in den vier Attributen oben angemerkt.
Zum Anderen: Es ist vor allem eine Frage an die L-IZ, ob man glaubhaft Autoren präsentieren kann, die gleichzeitig die eifrigsten und eben leider selbstgerechtesten, belehrendsten, besserwisserischsten und reflexionsfreiesten Kommentatoren anderer Beiträge sind.
Und Zuletzt: Ich habe meinen Allerwertesten darauf verwettet, dass Sie sich und der Leserschaft die Blöße einer selbsthymnische Antwort nicht ersparen können. Nun kann ich ihn Gottseidank leider behalten.

Keiner zwingt Sie, diese Beiträge zu lesen.
Wir sind ein freies Land.

Meine Beiträge sind mit dazu gedacht, dass sich einige genervt fühlen sollen. Manche besonders.

Der überwältigend positive Zuspruch zu meiner Serie aus ganz Deutschland, was nicht vorhersehbar war, hilft mir lächelnd derartige Kommentare über mich ergehen zu lassen.

Viel Feind, viel Ehr!!!

Sind die selbstgerechten, belehrenden, besserwisserischen und reflexionsfreien Kommentare von Klaus zu fast allem und jedem schon für sich genommen regelmäßig schwer nervend, werden sie in der Kombination mit der eigenen Autorenschaft in der L-IZ ganz und gar unerträglich.

Ein sehr angenehmer Beitrag, der sich wohlwollend von nicht wenigen “Honig-um-das-Maul-schmieren-Beiträgen” zu politischen Aktivitäten / Äußerungen / Personalentscheidungen der sächsischen Linken und Grünen in der L-IZ abhebt. Solche Beiträge helfen diesen Parteien übrigens gar nichts, denn

“Es kommt alles zu Tage, was man unter dem Schnee verbirgt.”

“Lieber einen klugen Tadel, als ein dummes Lob.”

“Kritik tötet nicht, sie bessert.”

Beide Parteien haben sich in Sachsen längst ins Abseits katapultiert. Während das auch bei den Grünen auf Bundesebene (durch ihren Realitätsverlust) der Fall ist, sieht es dort bei der Linken wesentlich besser aus, was ein erheblicher Verdienst von Frau Wagenknecht ist.

Hinweis:
Morgen geht Folge 2 meiner Serie “Ist denn die Kontrolle unserer Steuergelder…..” an die L-IZ ab, welche die Ãœberschrift “Grundsätzliche Bemerkungen zur kommunalen Finanzkontrolle” trägt. Ich gehe davon aus, dass diese ab Donnerstag zu lesen sein wird.

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