Seit Donnerstag, 28. April, findet mal wieder ein merkwürdiger Vorgang in Sachsen statt. Oder besser in den Medien und bei der Polizei. Diese gab eine Öffentlichkeitsfahndung nach einem Teilnehmer eben jener Gruppe Hooligans heraus, welche am 21. Januar 2015 Journalisten aus während der Legida-Demonstration attackiert hatte. Das aktuelle Lebenszeichen der Polizei dazu: Eine deutlich verspätete Öffentlichkeitsfahndung, welche gegen die Verhältnismäßigkeit rechtswidrig im Netz stattfindet, weil sich die Medien nicht mehr an rechtliche Vorgaben halten.

Was Staatsanwälte in Leipzig bei Öffentlichkeitsfahndungen anordnen, interessiert demnach niemanden mehr. Ob es verhältnismäßig ist, einen Verdächtigen via Netz zu suchen oder nur in gedruckter Form, entscheiden nun die Medien. (Zu diesem Thema mehr hier “Menschenjagd im Boulevard” im Leserclub) All das wohl auch, weil es längst deutliche Zweifel an der Ermittlungsfähigkeit der Polizei geben muss. Die offenkundig bekannte Gewalttäter nicht mehr auf dem Radar hat. Ausreden inklusive. Ein Jahr und drei Monate liegt der Vorgang nun zurück, die zweite von unzähligen folgenden Legida-Demonstrationen zieht am 21. Januar 2015 über den Ring. Von Beginn an zeigt sich die Stimmung im Zug deutlich aggressiver als bei der Leipziger Premiere des Pegida-Ablegers am 12. Januar 2015.

Vermummte Gestalten, Gewaltbereitschaft liegt in der Luft. Ihre Legitimation ziehen sie neben den alten Links-Rechts-Konflikten offensichtlich auch daraus, dass es am 12. Januar 2015 neben dem friedlichen Protest von rund 30.000 Leipzigern auch Angriffe auf das rechte Legida-Bündnis gab. Bei späteren Legida-Ansprachen werden Redner wie „Friedrich Fröbel“ sie auf der Bühne zur neuen Schutz- und Sturmabteilung der „Bewegung“ erheben. Im Nachgang gesehen ein Gefühl wie München 1923.

Auf den ersten Blick ist an diesem Abend klar – hier marschieren auch größere Gruppen radikaler Fußballhooligans über den Leipziger Stadtring, die Anzahl ist im Vergleich zur vorherigen Versammlung deutlich angestiegen.

Man kennt sich offenbar in der Szene. Foto: L-IZ.de
Man kennt sich offenbar in der Szene. Foto: L-IZ.de

Die Polizei jedoch hat offenkundig klare Order, konzentriert sich auf den Gegenprotest, sichert die rund 5.000 Teilnehmer ab. Die genießen an dem Tag fast Narrenfreiheit, Vermummungen sind normal, einige Teilnehmer können auf dem Georgiring sogar Steine aus dem Gleisbett aufsammeln. Der Legida-Zug kann sich, trotz der knapp 4.000 eingesetzten Polizei-Beamten, vom Augustusplatz kommend so frei am Bahnhof vorbei, über den Georgiring und anschließend zum Wilhelm-Leuschner-Platz bewegen, wie danach wohl nie wieder.

Auf dem Wilhelm-Leuschner-Platz, Höhe Petersteinweg eskaliert die Situation, nachdem während der gesamten Demonstration bereits Drohungen gegen die Presse, gegen „die Antifa“ und alles, was man für links hält, eben aus diesen Gruppen heraus skandiert wurden. Eine gemeinsam agierende Gruppe löst sich zirka 20 Uhr kurzzeitig aus der Spitze des Zuges und kann von der Polizei ungehindert eine kleine Jagd auf Journalisten veranstalten. Einer der Gejagten kann nicht schnell genug weg, wird gestellt und stürzt zu Boden. Das Objektiv splittert, die Technik nimmt Schaden. Ebenfalls ungehindert kann sich der Schlägertrupp zurückziehen.

Während an diesem Tag bereits allen Beobachtern klar ist, was für ein Gewaltpotential sich da zu einer „friedlichen Versammlung“ zusammenfand, wie organisiert es auftrat und sich angesichts der lassenden Haltung entladen konnte, ist das polizeiliche Nachspiel irritierend bis heute.

Gemeinsam übern Ring. Foto: L-IZ.de
Gemeinsam übern Ring. Foto: L-IZ.de

Keine Maßnahmen vor Ort, keine Szenekenntnisse der Kriminalbeamten

Vor Ort finden trotz der anwesenden staatlichen Übermacht von von 4.000 Beamten seitens der Polizei keinerlei Feststellungen von Personalien der rechten Angreifer statt. Im Schatten der betont friedlichen Attitüde der Versammlungsleitung kann sich eine gewaltbereite Szene ungehindert versammeln. Der Vorfall selbst wird nach L-IZ-Informationen durch die verantwortlichen Beamten vor Ort nicht weitergemeldet, daraufhin fehlt er in der Pressemitteilung der Polizei. Am gleichen Tag legt sich die Leipziger Polizei auf eine Gesamtteilnehmerzahl von 15.000 bei Legida fest – erst Zählungen der L-IZ.de und der Initiative „Durchgezählt“ nach Schätzungen vor Ort, durch Luftbilder und Videonachweise ergeben binnen von weniger Stunden die reale Zahl von rund 5.000 Legida-Anhängern. Bei nachfolgenden Versammlungen Legidas werden die Zahlen nicht mehr genannt, Medien und die Initiative liefern seither durchaus verlässliche Einschätzungen dazu.

Kurz nach der Demonstration machen zudem (mittlerweile gelöschte) wochenlang Videosequenzen der Journalisten-Jagd die Runde im Netz, erste Kollegen beschweren sich über die unhaltbaren Arbeitsbedingungen in Leipzig. Was unter anderem zu einer Gesprächsrunde im März 2015 in der Leipziger Polizeidirektion und ersten Lösungen ein Jahr später führt.

Immer wieder auf den Fotos und Videosequenzen vom 21. Januar 2015 seitdem zu sehen: ein sichtlich aggressiver Teilnehmer, der zuvor mehrfach in der Gruppe fotografiert wurde, welche während der Versammlung durchgängig auffiel. Innerhalb der Fußballszene Leipzigs ist der laut der linksradikalen Webseite “Inventati” mutmaßliche Verdächtige Ricco W. ebenso wenig ein Unbekannter, wie Silvio Rösler, damals Anmelder der Legida-Aufmärsche. Diese Spur führt zum zeitweiligen Umfeld des SG Sachsen Leipzig e.V.. Dahin, wo man im Vorfeld des finanziellen Untergangs der Leutzscher über das „U-Bahnlied“ und Hitlergrüße auf der Dammkrone auf der L-IZ.de ebenso berichten musste, wie von abenteuerlichen Finanzkonstrukten und einer seltsamen Situation angesichts der als links geltenden BSG Chemie im gleichen Stadion.

Trotz der damaligen Ermittlungen wegen rechter Auswüchse bei einem Spiel der SG Sachsen Leipzig gegen den Roten Stern kann die Leipziger Polizei den eventuell passenden Verdächtigen vom 21. Januar 2015 nicht identifizieren, geschweige denn vorladen. Das letzte Mittel also eine Fahndung im öffentlichen Raum, von den Medien ins Netz ausgedehnt.

Die Gruppe um den späteren Angreifer zieht mit “Hasta la vista Antifascista”-Rufen (ab Min. 0:10) vom Bahnhof auf den Georgiring. Video: L-IZ.de

Die Verwunderung über einen fehlenden Gerichtstermin

Bis heute, über ein Jahr danach, ist es also der Leipziger Kriminalpolizei nicht gelungen, den Mann zu finden, welchen Szenekenner allein am Auftreten der Gruppe um ihn innerhalb von Hooliganstrukturen in Leipzig oder Dresden vermuten mussten. Am 29. April 2016 erklärt die Polizeidirektion Leipzig den Zeitverzug gegenüber dem MDR so: „Eine Polizeisprecherin hatte am Donnerstag im Gespräch mit MDR SACHSEN gesagt, die Anzeige sei erst Monate nach der Tat bei der Polizei eingegangen.“

Eine Ausrede, Unkenntnis, vielleicht auch einfach eine Schutzbehauptung angesichts der bisherigen Resultate. Eine Woche nach dem Vorfall wurde die Anzeige des Journalisten, welcher zum Zeitpunkt der Jagdszenen auch für die L-IZ.de tätig war, eingereicht durch eine anwaltliche Vertretung, aktenkundig. Da der Journalist Befürchtungen haben muss, aufgrund der Anzeige erneut und nun womöglich direkt attackiert zu werden, nutzt der Angegriffene dafür unter Absprache die Redaktionsadresse der L-IZ für weitere Korrespondenzen statt seiner privaten. Nur so lässt sich in der Praxis verhindern, dass die eigene Adresse in einer Ermittlungsakte landet und so einem Gewalttäter zur Kenntnis gelangen kann.

Die Lesart seitens der Polizei heute gegenüber den Medien: So habe „das damals 21 Jahre alte Opfer erst mehrere Monate später seine Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit Polizei und Staatsanwaltschaft erklärt.“

Statt den Täter zu ermitteln, war der Fotojournalist vorgeladen worden. Statt selbst zu ermitteln, sollte er offenbar seiner Strafanzeige weitere eigene Erkenntnisse nachlegen, Verfolgungseifer zeigen und bestenfalls selbst herausbekommen, wer ihn da angegriffen hatte. Unterdessen wurden Szenebeamte auf den folgenden Legida-Veranstaltungen dabei beobachtet, wie sie sich mit einschlägig bekannten Leipziger Hooligans unterhielten. Ihr Job, doch Erkenntnisse scheint es dabei keine gegeben zu haben oder der Fall spielte in den Gesprächen keine Rolle.

Am Ende steht eine unnötige Öffentlichkeitsfahndung am 28. April 2016. Und die Lösung des Rätsels, warum es eigentlich so lange nach dem Vorfall keinen Gerichtstermin gab.

Das Fazit 1

Ein einziger Sachbeamter sei laut Polizei gegenüber MDR für sämtliche Anzeigen zuständig, welche rings um die Demonstrationen am 21. Januar 2015 gestellt wurden, weit über 100 scheinen bis heute offen zu sein. So sieht polizeiliche Personalnot in der sächsischen Praxis dann eben aus. 4.000 Beamte waren vor Ort nicht bereit, den oder die Täter festzustellen und seine Personalien aufzunehmen. Die Öffentlichkeitsfahndung nach einem Mann, der offenkundig szenebekannt ist, ist übertrieben und schützt wiederum seine Rechte in der Öffentlichkeit nicht. Vor allem deshalb, weil die öffentliche Fahndung in sich eigentlich ein Witz ist – es sei denn, der Verdächtige ist im Ausland abgetaucht, wie einst der NSU. Notwendig wurde sie nur, weil keine Beamten vorhanden scheinen, die mit normaler Ermittlungstätigkeit vorankommen.

Das Fazit 2

Journalisten sind vor allem in der juristischen Nachbetrachtung solcher Vorfälle ziemlich allein und müssen aufgrund des polizeilichen Versagens Geld, Zeit und hier und da die Überwindung ihrer Angst investieren, um einigermaßen geschützt zu sein. Bezahlt wird dies, statt gerechtfertigterweise über steuerliche Mittel bei der Polizei am Ende privat. Die einfache Strafanzeige unter Nennung der eigenen Wohnadresse jedenfalls sollte man vermeiden.

Ausblick

Ricco W. wird wohl, sollte die Spur stimmen, vor Gericht landen, nun, da sein Bild ohne staatsanwaltliche Freigabe als Portraitaufnahme im Netz kursiert. Und er wird angesichts des letztlich einfachen Angriffes zu Recht eine geringe Strafe erhalten. Es sei denn, es stehen noch ganz andere Delikte zu Buche. Vielleicht wird die Frage, wer sich eigentlich anmaßen darf, Journalisten zu attackieren und warum die anwesende Polizei nichts dagegen tut, vor Gericht der eigentlich spannende Punkt? Seine Freunde werden sich angesichts zahnloser Behörden eher nicht abschrecken lassen.

Auf L-IZ.de: Journalisten werden gejagt und die Polizei bleibt untätig

Der MDR auf der Jagd vom 29. April 2016

Der MDR beginnt die Öffentlichkeitsfahndung am 28. April 2016

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Es gibt 2 Kommentare

Was soll das bedeuten: „Hooligans Gegen Satzbau“?
Für mich hat das Wort Hooligans einen faden Beigeschmack!

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