Leipzig nennt sich zwar gern Fairtrade-Town. Aber statt wirklich einmal ein paar für alle gültige Leitlinien einzuziehen in der Beschaffungspolitik der Stadtverwaltung, muss jedes einzelne Detail extra von den Stadtratsfraktionen beantragt werden. Man sieht sie regelrecht schwitzen und stöhnen bei dem Versuch, die Verwalter zum Handeln zu drängen. Obwohl das mit den fairen Bällen doch eigentlich längst geklärt war.

Zumindest klang das so, als das Sportamt im Oktober fair gehandelte Bälle an Leipziger Fußballvereine austeilte. Nur irgendwie hat wohl niemand daran gedacht, dass die Stadt selbst regelmäßig Bälle einkauft – nämlich für den Sportunterricht in den Schulen. Nur: Da scheint niemand wirklich nachzudenken, wenn mal wieder die nächsten 100 Bälle geordert werden.

Gedankenlosigkeit macht jede gute Absicht zunichte.

Und das hat jetzt drei Stadträte aus drei verschiedenen Fraktionen dazu gebracht, einen Antrag zu schreiben. Der eigentlich gar nicht nötig gewesen wäre, wenn es da in der Stadtverwaltung irgendwo auch nur einen Sachbearbeiter geben würde, der sich verantwortlich fühlen würde, den längst erfolgten Stadtratsbeschluss zur fairen Beschaffung auch umzusetzen.

„Die Stadt Leipzig verfügt über einen Stadtratsbeschluss zur Vermeidung von Produkten aus ausbeuterischer Kinderarbeit. Über eine praktische Auswirkung gibt es jedoch keine Informationen. Der Vergabebericht trifft zum Thema handgenähter Bälle keine Auskunft. Gleichzeitig ist klar, dass zumindest im Schulunterricht Bälle regelmäßig zum Einsatz kommen und somit auch laufend neu beschafft werden müssen“, stellen deshalb Michael Schmidt, sportpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion, und seine Kollegen von den Linken, Adam Bednarsky, und Christopher Zenker von der SPD-Fraktion, fest. „Faire Beschaffung muss im konkreten Einzelfall beginnen. Das geht nicht mit jedem Produkt, aber bei Bällen ausgesprochen gut. Mit den zur Verfügung stehenden Siegeln ist sowohl anforderungs- als auch nachweisseitig die Qualifizierung des Produktes gesichert.“

Aber auch hier gilt wohl, was das Umweltdezernat etwas zerknirscht, aber völlig ohne Folgen zum Wettbewerb „Hauptstadt des fairen Handels“ erst im Mai feststellte: „Die Übersicht über die Leipziger Projekte in der Anlage und die Honorierung mit einem der fünf Hauptpreise im Wettbewerb in einem Bewerberfeld von langjährig aktiven Kommunen macht anschaulich, dass Leipzig in den verschiedenen Bereichen sehr gut gestartet ist, dass aber auf ganzer Breite weiterhin Handlungsbedarf besteht. Dazu gehört neben der kontinuierlichen Arbeit an der Umsetzung innerhalb der Stadtverwaltung und in den Unternehmen des Stadtkonzerns auch die Mitarbeit an der Ausdehnung in die Fläche, insbesondere auf der Ebene der kommunalen Gremien, des Landesnetzwerks und der sächsischen Agenden.“

So nennt man zwar die Verwaltung in ihrer zentralen Position irgendwie, verwässert die Kritik aber gleich wieder, indem man alle möglichen anderen Institutionen auffordert, bitteschön auch was zu machen. So scheitert Leipzig immer öfter in all den Wettbewerben, an denen es sich mit viel Aplomb beteiligt, um dann doch nur im besseren Mittelfeld zu landen.

Die drei Stadträte empfehlen den Blick nach München: „Die Stadt München hat die Schulen fair gehandelte Bälle testen lassen. Die Bälle wurden für gut befunden. Es werden dort nur noch Fairtradebälle aus dem Rahmenvertrag gekauft und die Kosten evaluiert – es entstanden keine Mehrkosten.“

Mit dem jetzt vorgelegten Antrag soll die Verwaltung beauftragt werden, ab dem 1. Januar 2017 handgenähte Sportbälle für den Sportunterricht an Schulen nur noch mit Gütezeichen des Fairen Handels einzukaufen. Dafür soll sie entsprechende Gütesiegel als Nachweis einfordern (Fairtrade-Bälle oder vergleichbare Produkte wie zum Beispiel Gepa-Bälle, so die drei Stadträte). Das Amt für Jugend, Familie und Bildung soll dazu in jährlichem Turnus berichten, betonen die drei Stadträte.

„Viel zu oft kommen die täglich genutzten Bälle aus ausbeuterischer Kinderarbeit. Leipzig als Stadt des Fairen Handels muss sich hier sehr viel stärker positionieren als bisher und so einerseits ein deutliches Zeichen an die Industrie senden, vor allem aber bei den Leipzigerinnen und Leipziger Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen ein Problembewusstsein erzeugen und einen verantwortungsvollen Weg ebnen“, betont Michael Schmidt. „Es ist erfreulich, dass sich auch das neue Sportprogramm 2016-2024 dem Thema annimmt.“

So sieht es auch Christopher Zenker, Sportpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion und Vorsitzender des Sportausschusses: „Die Beschaffung von fair hergestellten Bällen wäre ein weiterer Baustein um den Anspruch ‚Fair Trade City‘ zu verwirklichen. Bälle eignen sich besonders gut, da diese im Einkauf nicht teurer sind als konventionell hergestellte Bälle. Das hat die Stadt München beispielhaft gezeigt.“

Was ja nicht bedeuten muss, dass man nur bei Bällen auf die faire Produktion achtet. Im Grunde ist eine Durchsicht aller Produkte, die die Stadt Leipzig regelmäßig kauft, auf die Sicherung eines Fairtrade-Labels hin überfällig. Das wird sich noch nicht bei allen Produkten machen lassen. Aber erst wer die Übersicht hat über die schon existierenden Angebote, kann die Beschaffung auch systematisch umstellen.

Und vor allem auch Vorbild sein, wie Adam Bednarsky, Sportpolitischer Sprecher der Linksfraktion, betont: „Wir wollen auch an die Leipziger Sportvereine appellieren, in Zukunft fair hergestellte und gehandelte Sportbälle zu erwerben. Das ist ein kleiner Beitrag, darauf aufmerksam zu machen, unter welchen ausbeuterischen Umständen viele Sportgeräte in der sogenannten ‚Dritten Welt‘ hergestellt werden. Hier kann der Leipziger Sport ein deutliches Zeichen setzen.“

Und er benutzt bewusst das Wort Sportgeräte. Bälle sind quasi erst der Türöffner zum Verständnis dafür, was eine faire Beschaffungspolitik eigentlich ausmacht.

Ein „Konzept der Stadt Leipzig zur fairen und nachhaltigen Beschaffung“ hat die Stadt Leipzig übrigens seit 2014. Der Stadtratsbeschluss zur fairen Beschaffungspolitik stammt vom Januar 2013. Der entsprechende Passus darin lautete dann: „Mit Beschluss vom 23.01.2013 hat die Stadt Leipzig beschlossen, dass sich die ‚Fair Trade‘-Stadt Leipzig das Ziel setzt, bei der Beschaffung von Produkten, die aus Nicht-EU Ländern importiert werden (z. B. Kaffee, Schnittblumen, Steine) darauf verstärkt hinzuwirken, dass international anerkannte Zertifikate bzw. Siegel (u.a. ‚Transfair‘ Siegel) vorzuweisen sind, um dem Verlust von Regenwäldern, Biodiversität und der Ausbeutung von Arbeitskräften zu begegnen.“

Da hat der Stadtrat selbst die Sache eigentlich falsch herum definiert und quasi sich selbst die Definitionsrolle übergeholfen, indem man gleich ins Spezielle ging mit Kaffee, Schnittblumen, Steinen – alles Dinge, bei denen man schon Erfahrungen hatte. Übrigens auch bei Holz respektive Tropenholz. Jetzt noch die Bälle dazu, da ahnt man, was das für eine Kleckertour wird, bevor Leipzig wirklich eine systematisch faire Beschaffungspolitik hat.

Eigentlich müsste die städtische Beschaffungspolitik komplett unter dem Prüfauftrag stehen: Gibt es fair produzierte Alternativen? Und im Beschaffungsbericht müsste zu lesen sein, welche Produkte man entsprechend in die Beschaffungspolitik aufgenommen hat. So erführe auch der Stadtrat, wo die Verwaltung gerade steht und müsste nicht jedes einzelne Produkt extra beantragen.

So wie jetzt die drei Sportstadträte: „1. Die bisherigen und möglichen künftigen Lieferanten werden rechtzeitig über die geänderte Vergaberegelung informiert, um sich auf die neue Vorgabe einstellen zu können. 2. Das Amt für Sport wird weiter in geeigneter Weise auch bei Sportvereinen, für die die städtischen Beschaffungsregeln nicht gelten, für den ausschließlichen Einsatz fair gehandelter Bälle werben.“

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