Lange hat sich Leipzigs OBM Burkhard Jung zurückgehalten, wenn es um die Polizeiausstattung der Stadt Leipzig ging. Das war Landessache. Und man konnte davon ausgehen, dass der Innenminister wusste, was er tat und wo er wie viele Polizisten stationierte. Selbst als Jung im OBM-Wahlkampf 2013 hart angegangen wurde für die Sicherheitsproblematik in Leipzig. Doch jetzt belegen genug Zahlen, dass der Innenminister keineswegs weiß, was er tut.

Und dass auch alle Angriffe auf den in Sicherheitsfragen scheinbar so untätigen Leipziger OBM immer nur vorgeschoben waren. Sie haben die schlichte Tatsache kaschiert, dass der Polizeibezirk Leipzig seit 2007 über 200 Polizisten einbebüßt hat, allein seit Start der von Ulbig forcierten „Polizeireform 2020“ über 100. Und dass, obwohl die Stadt Leipzig in dieser Zeit permanent gewachsen ist, also zwingend einen Zuwachs an Polizisten gebraucht hätte.

Im Frühjahr freute sich Jung ja dann fast königlich, als Polizeipräsident Bernd Merbitz in diesem Jahr 100 zusätzliche Polizisten ankündigte. Doch der Blick ins Zahlenwerk zeigt: Die Beamten ersetzen gerade einmal den Altersabgang von älteren Kollegen. Tatsächlich geht es bei der sächsischen Polizei genauso zu wie im sächsischen Schulsystem: Mit den nachrückenden Kräften wird versucht, Löcher zu stopfen, was aber nicht mal mehr zeitweise gelingt.

Jetzt waren es die gewalttätigen Vorfälle in Bautzen, wo die Polizei sich ziemlich ratlos einer zunehmenden Aggression und sich aufstauender Konflikte zwischen den abgehängten Bevölkerungsgruppen in der Provinz (die nicht unbedingt alles Rassisten und Nazis sind, bloß weil sie mit den politischen Verantwortlichen nicht mehr kommunizieren) und den ziemlich hilflos abgeladenen Flüchtlingen gegenüber sah.

Und Angela Merkel ist daran wirklich nicht schuld. Eine Bundeskanzlerin muss sich darauf verlassen können, dass die Verantwortlichen vor Ort sich auch bemühen, ein mit Bundesgeld unterfüttertes Unterbringungs- und Integrationsprogramm umzusetzen und dabei alle Beteiligten mitnehmen.

Was in Bautzen schon schwierig ist. Hier hat man die Kommunikation und die Problemanalyse über Jahre unterlassen. Was da jetzt hochkocht, sind die unbeantworteten Fragen der jüngeren Vergangenheit. Der Konflikt mit den Flüchtlingen ist nur der Auslöser.

Und zu den unbeantworteten Fragen gehört auch der Umgang mit all jenen, die sich nach Jahren des Abgehängtseins nun fragen: Wo sind die Integrationsprogramme für die eigene Bevölkerung? Die Angebote für diejenigen, denen Bildungschancen verbaut waren und attraktive Arbeitsangebote fehlen?

Leipzig steht noch relativ gut da. Aber auch die Leipziger Zahlen zeigen, dass sich Armut in weiten Teilen der Stadtgesellschaft verfestigt hat. Was auch ein Grund für zunehmende Aggression auf den Straßen und auch zunehmender Einbruchsdiebstähle ist.

Insofern korrigiert Burkhard Jung in letzter Zeit zumindest seine Haltung zur Polizei. Er verlässt sich nicht mehr darauf, dass diese Probleme mit Wirtschaftswachstum und Bevölkerungswachstum verschwinden. Dazu gab es inzwischen auch auf Leipzigs Straßen zu viele Vorfälle und Konfrontationen – und bei einigen fühlten sich die eingesetzten Polizisten zu Recht zwischen die Fronten geschickt, zunehmend mit dem Wissen darum, dass es hinter ihnen keine Reserven gibt. Die ewigen Demonstrationen von Legida & Co. haben zusätzlich an der Kraft gezehrt. Und allein die Leipziger Polizei schiebt einen Berg von über 2.000 Überstunden vor sich her.

Und richtig sauer reagiert Jung nun auf Ulbigs Wortwahl von „Leipziger Verhältnissen“, die er in Dresden nicht sehen wolle: „Auch in Dresden reagiert der Innenminister, indem er Bereitschaftspolizei in die Neustadt schickt. Er spricht von ‚Leipziger Verhältnissen‘, die er in Dresden nicht dulde. Es stellt sich die Frage, wieso ein Durchgreifen, das Ulbig in der Dresdner Neustadt für selbstverständlich hält, für Leipzig zu fordern und durchzusetzen immer ein zäher politischer Kampf ist. Der Minister scheint mit seiner Wortwahl der ‚Leipziger Verhältnisse‘ die Situation hier für bemerkenswert zu halten – dann müssen aber auch die entsprechenden Konsequenzen folgen: Mehr Polizei, sichtbar auf der Straße. Was Minister Ulbig in Dresden für selbstverständlich hält, kann in Leipzig nicht die Ausnahme sein.“

Es ist eben nicht nur so, dass Ulbig die Polizei in allen Landkreisen ausgedünnt hat – er hat auch in Leipzig Löcher in der Personalausstattung aufreißen lassen, die viele Leipziger direkt mit einem Gefühl zunehmender Unsicherheit verbinden.

Burkhard Jung: „Sicherheit ist immer auch gefühlte Sicherheit. Und nichts stärkt das Sicherheitsgefühl der Bürgerinnen und Bürger so sehr wie öffentlich sichtbare und ansprechbare Polizisten. Polizisten, die sich zeigen, die gleich vor Ort einschreiten können, bevor sich Gewalt aufschaukeln kann. Polizisten, die Streife gehen.“

Das komplette Statement des OBM:

Oberbürgermeister Burkhard Jung: Zugrunde gespart – Plädoyer für mehr Polizisten auf den Straßen

Der sichtbare Polizist ist aus dem öffentlichen Leben so gut wie verschwunden. Streifenpolizisten, die zu Fuß durch ein Wohnviertel gehen – ich kann mich kaum erinnern, wann ich das das letzte Mal gesehen habe.

Die Polizei kommt, wenn man sie ruft – mit dem Auto im Regelfall sehr schnell, wenn man Pech hat (oder auf dem Land lebt) kann es aber auch lange dauern, bis Hilfe vor Ort ist. Wir nehmen Polizisten oftmals nur noch wahr als Beamte, die Schadensfälle aufnehmen; bei vielen Delikten erwarten die Bürger gar nicht mehr, dass die Tat aufgeklärt wird. Fahrrad gestohlen? Man braucht die Polizei eigentlich nur wegen des Aktenzeichens für die Versicherung. Und das geht auch online. Oder die Bürgerinnen und Bürger begegnen der Polizei, wenn sie hochgerüstet und hinter Helmen und Schilden geschützt bemüht ist, die öffentliche Sicherheit aufrecht zu erhalten. Mein Respekt gilt diesen Männern und Frauen, die sich für unsere Sicherheit einsetzen. Aber es sind zu wenige.

Mit Entsetzen schauen wir dieser Tage nach Bautzen, werden (erneut) Zeuge, wie unter den Augen der Öffentlichkeit Straßenschlachten ablaufen. Der sächsische Innenminister Markus Ulbig hat erklärt, der Staat werde solche Gewaltexzesse nicht tolerieren und mit aller Konsequenz gegen die Gewalttäter vorgehen. Dazu wurde auch Bereitschaftspolizei nach Bautzen geschickt. Das klingt zunächst nach Tatkraft und Entschlossenheit, aber es legt den zentralen Mangel in der inneren Sicherheit in Sachsen offen: Der Staat ist offenbar nicht in der Lage, Pöbeleien und sich aufschaukelnde Gewalt im Zentrum einer Stadt bereits im Vorfeld mit regulären Polizisten in den Griff zu bekommen. Und die Erklärung ist sehr einfach: Es gibt diese Polizisten an vielen Orten in Sachsen gar nicht. Dienststellen, die am Abend und am Wochenende nicht besetzt sind, sind die Regel, nicht die Ausnahme. Vielerorts wird innere Sicherheit nur noch verwaltet, aber nicht garantiert. Der Staat beansprucht das Gewaltmonopol für sich, im Gegenzug verspricht er den Bürgerinnen und Bürgern Schutz. Diese Abmachung ist in den letzten Jahren, nicht nur in Sachsen, als Folge eines permanenten Personalabbaus und rigoroser Sparbemühungen in Schieflage geraten.

Auch in Dresden reagiert der Innenminister, indem er Bereitschaftspolizei in die Neustadt schickt. Er spricht von „Leipziger Verhältnissen“, die er in Dresden nicht dulde. Es stellt sich die Frage, wieso ein Durchgreifen, das Ulbig in der Dresdner Neustadt für selbstverständlich hält, für Leipzig zu fordern und durchzusetzen immer ein zäher politischer Kampf ist. Der Minister scheint mit seiner Wortwahl der „Leipziger Verhältnisse“ die Situation hier für bemerkenswert zu halten – dann müssen aber auch die entsprechenden Konsequenzen folgen: Mehr Polizei, sichtbar auf der Straße. Was Minister Ulbig in Dresden für selbstverständlich hält, kann in Leipzig nicht die Ausnahme sein.

Nur eine Zahl: 2.189. Das ist die Zahl der Überstunden, die die Polizisten in der Stadt Leipzig im vergangenen Monat vor sich hergeschoben haben. Das ist seit Jahren so, und das weiß im Innenministerium auch jeder. Allein: es tut sich nichts. Der Stellenabbau bei der Polizei ist zwar sachsenweit gestoppt. Aber dadurch ist noch nicht eine einzige Stelle neu hinzugekommen. Allein in Leipzig als am schnellsten wachsende Stadt in Sachsen bräuchten wir 200 zusätzliche Stellen bei der Polizei, um die eklatantesten Mängel abstellen zu können.

Sicherheit ist immer auch gefühlte Sicherheit. Und nichts stärkt das Sicherheitsgefühl der Bürgerinnen und Bürger so sehr wie öffentlich sichtbare und ansprechbare Polizisten. Polizisten, die sich zeigen, die gleich vor Ort einschreiten können, bevor sich Gewalt aufschaukeln kann. Polizisten, die Streife gehen.

Ihr Burkhard Jung

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