Fast neun Monate sind herum – und es sind deutlich weniger Flüchtlinge nach Leipzig gekommen als im letzten Jahr. Die EU hat sich eingemauert, freut sich über einen verkniffenen Deal mit der Türkei, wieder ertrinken hunderte Flüchtlinge im Mittelmeer. Und das „Wir schaffen das“ bleibt in bürokratischen Mühlen stecken. Per 20. September hat das Leipziger Sozialamt die neuesten Zahlen vorgelegt.

Danach sind in diesem Jahr 1.645 Menschen in der Obhutnahme der Stadt Leipzig angekommen. Das sind zwar schon mehr als die 1.243 im gesamten Jahr 2014, aber deutlich weniger als die 4.230, die Leipzig 2015 unterbringen musste. Bekanntlich mit Kosten, die der Freistaat Sachsen nicht komplett ersetzt. 32 Millionen Euro hängen bislang in der Luft. Deutschland versucht zwar, viele Dinge zu lösen – aber wenn es an die Umsetzung geht, passt Vieles nicht zueinander, bleiben gute Ideen in bürokratischen Prozessen hängen. Oder es wird – wie bei der Asylunterbringung – deutlich, dass sich eine auf „Marktwirtschaft“ getrimmte Politik einfach nicht dazu aufraffen kann, schnell und flexibel Lösungen zu schaffen. Am Ende sind Kommunen, die sowieso schon Probleme haben, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen und verfügbare Grundstücke zu sichern, in einer Finanzklemme, die von einer Politik erzählt, in der Lösungskompetenz eher unerwünscht ist.

Da werden lieber Mauern gebaut und seltsame Regime zu Partnern gemacht.

Ergebnis ist ein rigide heruntergedrosselter Bach von Flüchtlingen, der es noch nach Deutschland schafft: „Die Zahl von Einreisen von Asylsuchenden in die Bundesrepublik wird mit dem IT-System des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge zur Erfassung und Erstverteilung von Asylsuchenden (EASY) registriert. Dabei können Fehl- und Doppelerfassungen nicht ausgeschlossen werden, da nicht alle Einreisenden erkennungsdienstlich behandelt und nicht alle persönlichen Daten erfasst werden. Im Monat August 2016 wurden 18.143 Zugänge von Asylsuchenden im EASY-System registriert, im Monat des Vorjahres waren es 104.460 gewesen.“

Trotzdem rechnet Leipzig 2016 noch mit einer relativ hohen Zahl von Asylsuchenden, die der Stadt zugewiesen werden: „Die Landesdirektion Sachsen hat am 24.08.2016 mitgeteilt, dass in den Haushaltsverhandlungen zum Doppelhaushalt 2017 /2018 von 25.500 Zugängen nach Sachsen im Jahr 2016, 20.400 Zugängen im Jahr 2017 und 15.300 Zugängen im Jahr 2018 ausgegangen wird, diese Planungsgröße jedoch mit großen Unsicherheiten verbunden ist. Als Anteil der Stadt Leipzig (13,52 %) lassen sich aus diesen Planzahlen folgende Soll-Zuweisungszahlen errechnen: 3.448 Zuweisungen im Jahr 2016, 2.758 Zuweisungen im Jahr 2017 und 2.069 Zuweisungen im Jahr 2018.“

Von den 25.500 Zugängen im Jahr 2016 ist Sachsen noch weit entfernt: „Bis Ende Juli 2016 kamen 10.109 Asylbewerber nach Sachsen. Im Jahr 2015 kamen im gleichen Zeitraum 14.575 Asylbewerber.“

Die Lage hat sich – in Sachsen – also deutlich entspannt. An den europäischen Grenzen überhaupt nicht. Aber die sind weit weg. Eigentlich wäre es eine Zeit, die Unterbringung jetzt systematisch zu verstetigen. Aber das dauert. Und die Stadt geht lieber vorsichtig zu Werke, denn ein jährliches Minus von 32 Millionen Euro kann sie sich nicht leisten. Fast 12.000 Euro kostet die Unterbringung eines Asylbewerbers in sächsischen Großstädten. Das hat mit den dort herrschenden Grundstückspreisen, den Mieten und den (nicht) verfügbaren freien Wohnungen zu tun. Da ist es schon ein Warnschuss, wenn die Landesregierung die Erstattung auf nur 9.000 Euro pro Kopf deckelt. Wo soll der Rest herkommen?

Also werden große Gemeinschaftsunterkünfte noch auf Jahre das Bild prägen. Wo Leipzig doch 2013 schon dabei war, die letzte große Gemeinschaftsunterkunft in der Torgauer Straße schließen zu wollen.  Die erste Zeit in so einer Gemeinschaftsunterkunft ist sinnvoll, betont das Sozialdezernat. Aber danach muss der Weg in normalere Wohnverhältnisse eigentlich zügig vonstatten gehen, betont das Sozialdezernat: „Der Aufenthalt in einer Gemeinschaftsunterkunft ist insbesondere in der Anfangszeit sinnvoll, um mit Hilfe von Sozialer Arbeit das Ankommen und den Integrationsprozess bestmöglich zu unterstützen. Asylsuchende sollen dann so bald wie möglich in eine eigene Wohnung ziehen können. 74 % aller Personen, die in einer Leipziger Gemeinschaftsunterkunft wohnen, halten sich dort maximal bis zu 12 Monate auf. 19 % der Bewohner leben 12 bis 24 Monate und 7 % länger als 24 Monate in einer Gemeinschaftsunterkunft.“

Aktuell betreibt die Stadt 60 Gemeinschaftsunterkünfte mit mehr als 60 Plätzen. Dort können insgesamt 4.215 Asylsuchende untergebracht werden. In Gemeinschaftsunterkünften mit weniger als 60 Plätzen können weitere 710 Menschen untergebracht werden. Insgesamt beträgt die Kapazität 5.710 Plätze. Darin ist auch eine Großunterkunft mit 400 derzeit freistehenden Plätzen als Reserve. „Für 2016 werden derzeit 819 neue Plätze geplant und für 973 Plätze wird die Nutzung beendet. Für 2017 sind derzeit 3.132 neue Plätze geplant und für 1.269 Plätze soll die Nutzung beendet werden.“

Gerade sind die Interim-Unterkünfte in der Schule in der Karl-Heine-Straße 22b mit 306 Plätzen und in einem Autohaus in der Lindenthaler Straße mit 225 Plätzen in Betrieb gegangen. Das Interim in der Schomburgkstraße 2 endet im Dezember genauso wie das im ehemaligen Schulgebäude der 3. Grundschule in der Bernhard-Göring-Straße 160.

Aber die aktuelle Vorlage des Sozialdezernats zeigt auch, wie schwer es Leipzig fällt, den Übergang der betroffenen Menschen aus den großen Unterkünften in kleinere, dezentrale Wohnungen zu organisieren. Der Leipziger Wohnungsmarkt ist eng und ein sozialeres Wohnungsbauprogramm, das für Entspannung sorgen könnte, gibt es noch nicht. Und das, das angekündigt wurde, reicht hinten und vorne nicht, schafft auch den wachsenden Großstädten nicht die flexiblen Möglichkeiten, auf einen so stark wachsenden Bedarf zu reagieren.

Oder vorsichtig mit den Worten des Sozialdezernats formuliert: „Alle in Leipzig verfügbaren kommunalen Platzkapazitäten für die Unterbringung von Asylsuchenden und Geduldeten in Gemeinschaftsunterkünften und Pensionen sind derzeit überwiegend ausgelastet. Die vorhandenen Kapazitäten reichen noch nicht aus, um die für das Jahr 2016 zu erwartende Zahl von Personen aufnehmen zu können, da verschiedene Unterkünfte aufgrund ihres Übergangscharakters noch in diesem Jahr durch Plätze in dauerhaften Unterkünften abgelöst werden sollen. Weitere Unterkünfte müssen deshalb für eine Nutzung vorbereitet werden.“

Da hätte Angela Merkel wohl besser gesagt: „Wir könnten es schaffen …“

… wenn ein paar Etagen tiefer nicht gespart werden würde, als gäbe es gar nichts zu lösen und die Bedarfe würden sich einfach selber befriedigen. Irgendwie.

Und das in einem Freistaat, wo die Landesregierung sich in vielen Regionen über Jahre selbst heftige demografische Probleme geschaffen hat, die es Asylsuchenden verdammt schwer machen, dort bleiben zu wollen.

Die aktuelle Vorlage des Sozialdezernats zur Flüchtlingsunterbringung.

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Es gibt 2 Kommentare

Hallo Namensvetter 😉

da auch ich gern ehrenamtlich geholfen habe, dennoch hier mal der Hinweis wegen der “Quengelei”. Bereits jetzt hängen 32 Millionen Euro “in der Luft”. Hinzu kommen neben aller absolut gegebenen kollegialen Bemühung von Menschen, weitere Integrationskosten, welche erneut verhandelt werden, als ob es um Frachtgut und nicht Menschen ginge.

Und: Auch das kollegiale Verhalten kann erst stattfinden, wenn jemand überhaupt arbeiten darf und dazu befähigt wird/ist.

Ich sehe es so: Schritt eins ist einigermaßen getan, Schritt 2 fehlt. Und die schrecklichen Sammellager am Mittelmeer sind erneut zum Bersten gefüllt, weil es weiter auf der Erde knallt und rummst.

Die Leipziger und ihre – unsere – Stadtverwaltung haben es geschafft und das Jahr des großen Ansturms gut überstanden, tausenden Menschen Unterkunft und Versorgung gegeben und Konzepte für das mittelfristige Vorgehen in’s Werk gesetzt. Alle Lösungsansätze mussten dabei kurzfristig entwickelt und realisiert werden, weil niemand vorsorglich über Jahre Eventualkapazitäten vorhalten kann. Allen üblen Vorhersagen zum Trotz ging das weitestgehend friedlich und ohne größere Probleme von statten.
Wir haben das noch nicht endgültig geschafft, weil die Integration oder die geförderte Rückkehr von Migranten eine Jahrzehnte-Aufgabe ist. Vor dem Hintergrund der hervorragenden Leistungen der Leipziger Zivilgesellschaft, die Konversationskurse, Behördenhilfe, Kinderfeste und vieles anderes ehrenamtlich organisiert und durchgeführt hat, finde ich den quengeligen Tonfall des Berichts über die Entwicklung der Migration nach Leipzig unangemessen.
Ich freue mich an den erreichten Schritten zum menschlichen Umgang mit der großen Migrationsbewegung und der Messestadt Leipzig tut ein bisschen Internationalisierung gut.
Beste Grüße!
PS: Dieser Tage beobachtete und hörte ich in der S-Bahn, wie drei DHL-Packer auf dem Weg zur Arbeit einen vierten, der offenbar neu in der Gruppe war, Tipps für das Beladen von Transportbändern gaben. In einem Gemisch aus Deutsch und (ziemlich gutem) Schulenglisch beschrieben sie dem afrikanisch aussehenden Neuen einzelne Arbeitsschritte. Das war einfach und umstandslos kollegial. So habe ich es in München und in Frankfurt am Main erlebt und so finde ich es in Leipzig gut.

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