Wenn es um neue technische Spielzeuge geht, dann werden auch Stadtratsfraktionen zuweilen närrisch. Es war tatsächlich die CDU-Fraktion, die vor einem Jahr den Antrag eingebracht hat, die Stadt Leipzig solle bis „zum II. Quartal 2016 ein Konzept vorlegen, wie sogenannte QR-Cobbles vor historischen Gebäuden verlegt und mit geeigneten vorhandenen IT-Strukturen verknüpft werden können.“ QR-Codes, um eine Stadt zu besichtigen?

Die Stadt schluckte ihre Verwunderung herunter und horchte sich tatsächlich um. Wer macht so etwas überhaupt schon? Und – die für Leipzig immer entscheidende Frage – was kostete der Spaß?

Nach einem Jahr liegt nun das Prüfergebnis vor. Und man hat es wieder mal mit einer Technologie zu tun, die scheinbar leicht zu machen ist, aber einen Haufen Geld kostet. Profitieren wird am Ende die Agentur, die den Auftrag dafür bekäme. Die würde nicht nur lauter Steine mit dem Code versehen, sondern auch noch die entsprechenden Websites anfertigen und betreuen müssen. Denn ohne Ziel-Website läuft auch so ein Code ins Leere.

Oder mit der Erläuterung der Stadtverwaltung (Planungsdezernat und Wirtschaftsdezernat haben gemeinsam geantwortet): „Laut Antrag sollen stadtgeschichtlich bedeutende Gebäude mit sogenannten QuickResponse-Codes (QR = schnelle Antwort) gekennzeichnet werden, um über das mobile Internet Informationen zu ihrer Geschichte abrufen zu können. Die Kommunikation mittels QR-Code erfordert einen individuellen Code für jedes Objekt; beim Scannen dieses Codes mit Hilfe eines Smartphones wird der Nutzer mit einer Internetseite verbunden. – Das System ‚QR-Cobble‘ nutzt dafür entsprechend präparierte Pflastersteine im öffentlichen Straßenraum. Die Graphik eines QR-Codes wird mittels Sandstrahlverfahren auf Pflastersteine übertragen. Die verwendeten Steine müssen eine homogene Struktur besitzen und einfarbig sein. Zwar gehen die Hersteller von einer langen Haltbarkeit aus; Beschädigung bzw. Vandalismus sind dennoch nicht auszuschließen. Von Fall zu Fall ist eine Reinigung erforderlich. – Die Kostenangaben für die Herstellung schwanken beträchtlich; sie betragen zwischen 200 € und 1000 € je Pflasterstein. Es sind Einzelanfertigungen erforderlich. Zusätzlich fallen noch Kosten für die Aktualisierung der Verknüpfungen mit dem Internet an. Erstellung und Betreuung der Internetseiten gehört nicht zum Leistungsumfang und erfordern weitere Aufwendungen.“

Nur noch aufs Smartphone starren?

Und dann kommt noch das Problem: Es gibt schon lauter solcher internetbasierter Angebote, die sich mittlerweile gegenseitig die Aufmerksamkeit abschneiden. Ganz davon zu schweigen, dass das allesamt wieder die üblichen einsamen Technologien einer Gegenwart sind, in der die Leute mit ihrem Mobilgerät allein durch die Welt latschen und sonst mit niemandem in Kontakt kommen. Was gerade bei einer Stadterkundung seltsam wirkt. Ist das wirklich Sinn eines Stadtbesuches, dort niemanden sprechen zu wollen?

Oder ist das Angebot so überflüssig wie ein sechster Zeh, weil Leipzig ein vorzeigbares Angebot an Stadtführern und Stadtexkursionen hat? Erstaunlich, dass die Verwaltung in ihrer Stellungnahme das nicht mal benennt.

Warum macht das kein Privatunternehmen?

Und auch nicht die Tatsache, dass schon ganz von allein ein Unternehmen angeklopft hätte, wenn es die Anbringung von lauter QR-Codes in Leipzig für ein gewinnbringendes Geschäft halten würde. So läuft der Antrag wieder nur darauf hinaus, dass die Stadt einem Privatunternehmen sinnlos teure Aufträge verschafft.

Oder mit den deutlich vorsichtigeren Worten der Verwaltung: „Nach den Erfahrungen der Hersteller hängt die Akzeptanz und Nutzung der QR-Codes wesentlich davon ab, dass der Nutzer erkennt, welche Inhalte über den QR-Code abgerufen werden können. Bei einigen Projekten wurde daher der Projektname als Textergänzung eingearbeitet bzw. ein zusätzlicher Pflasterstein mit Text verlegt. Je nach Umfang der erforderlichen Schriftzüge sinkt damit die Integrationsfähigkeit in sensible Oberflächengestaltungen. Die eindeutige Kennzeichnung der QR-Codes im öffentlichen Raum als Informations- und Leitsystem ist aber andererseits erforderlich, um kommerzielle QR-Codes auf Gehwegen und Plätzen ausschließen zu können.“

Eine Stadt, zugepflastert mit Informationen

Man sieht: Die Grenzen sind fließend. Auf einmal wird der öffentliche Raum wieder zur kommerziellen Werbefläche. Und dann kommt die Antwort der Stadt auch auf die Tatsache zu sprechen, dass Leipzigs Innenstadt ja schon gepflastert ist mit Informationen. Wer da noch einen QR-Code braucht, leidet wohl wirklich unter Navi-Störung.

„Laut Antrag sollen QR-Codes als attraktives und zeitgemäßes Informationsangebot im öffentlichen Raum der Innenstadt angeboten werden. In der Leipziger Innenstadt sind in den letzten Jahren bereits mehrere Leit- und Informationssysteme eingeordnet worden. Doppelte bzw. sich überlagernde Informationssysteme sollten grundsätzlich vermieden werden. Die Anhäufung von Einbauten unterschiedlichster Art führt nicht zur optischen Verschönerung im Umfeld von Sehenswürdigkeiten.“

Und dann hat man natürlich auch die Kollegen aus anderen Städten gefragt, ob die Sache Sinn macht.

„Erfahrungen aus anderen Städten, u. a. München, verweisen auf Schwierigkeiten in der Umsetzung, da hinter dem QR Code eine Seite vorhanden sein muss, die für die mobile Nutzung geeignet ist und deren Erstellung teuer ist. Die Stadt Hannover hat sich ausführlich mit dem Thema befasst und kommt zu dem Schluss, dass in einer Großstadt mit einer Fülle von relevanten historischen Gebäuden eine flächendeckende Markierung weder sinnvoll noch umsetzbar ist.“

Stadt empfiehlt lieber die eigene Touri-App

Zukunftsfähiger seien Informationsportale auf der Basis von Augmented Reality, stellt die Stadtverwaltung fest. Augmented Reality steht für erweiterte Realität. Auf dieser Grundlage arbeite auch die an der Universität Leipzig entwickelte App „Zeitfenster“, die an unterschiedlichen Orten in der Stadt Ereignisse der friedlichen Revolution in Erinnerung ruft. Dabei werden historische Fotos, Film- und Tonsequenzen in eine aktuelle Ansicht auf dem Bildschirm eingeblendet. Die Grundlage bildet eine kostenfreie Software. Zusätzliche Markierungen im Straßenraum oder an Hausfassaden seien hingegen nicht erforderlich.

Für die touristischen Zielgruppen würde zudem die LTM GmbH die „Leipzig Travel App“ anbieten.

„Diese verfügt über eine hohe Marktabdeckung hinsichtlich des Bezugs der App über die Applikationsmärkte von Apple und Google. Die ‚Leipzig Travel App‘ bietet bereits umfassende Informationen zu Stadtgeschichte und Sehenswürdigkeiten auf Deutsch und Englisch“, schätzt die Verwaltung ein. „Seit 2015 stehen in der App drei Stadtrundgänge zur Verfügung. Zu den einzelnen Stationen liegen ausführliche Informationstexte und Bilder vor. Der Gast wird mittels GPS zur nächsten Station geleitet und kann alle Stationen auf einer Übersichtskarte anzeigen lassen.“

Was die Verwaltung in Bezug auf den Antrag zu der Einschätzung bringt: „Der Stadtrat unterstützt das Anliegen, Stadtgeschichte mittels moderner Informationsportale erlebbar zu machen, empfiehlt jedoch die Nutzung der ‚Leipzig Travel App‘ anstelle der QR-Cobble-Technologie. Diesem System sollte deshalb Vorrang gegeben werden, um nicht unter dem Einsatz öffentlicher Mittel ein Informationssystem zu installieren, was durch die schnelle Weiterentwicklung der Medien möglicherweise schon bald wieder veraltet ist.“

Oder schlicht überflüssig.

In eigener Sache – Wir knacken gemeinsam die 250 & kaufen den „Melder“ frei

https://www.l-iz.de/bildung/medien/2016/10/in-eigener-sache-wir-knacken-gemeinsam-die-250-kaufen-den-melder-frei-154108

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar