Erst am 5. Dezember hat der MDV die Ergebnisse der sechs Gutachten zur möglichen künftigen Finanzierung des ÖPNV im Raum Leipzig/Halle vorgestellt. Schon wenige Tage später startet Leipzigs Verwaltung einen Vorstoß, Nägel mit Köpfen zu machen, obwohl sich der Stadtrat noch nicht einmal ein Urteil über die Gutachten gemacht hat. Fünf Seiten dick ist die Begründung für den Antrag. Nur: Es steht gar keine Begründung drin.

Vorgelegt hat das Papier, das zusammen mit den Gutachten an die Ratsfraktionen ausgereicht wird, das Dezernat Stadtentwicklung und Bau. Der erste Punkt ist nachvollziehbar: „Der Stadtrat nimmt die vorliegenden Gutachten zu den ergänzenden Finanzierungswegen für den ÖPNV zur Kenntnis.“

Der zweite aber hat es in sich. Denn die sechs Gutachten zur Kenntnis zu nehmen ist noch etwas völlig anderes, als dazu eine fundierte Entscheidung zu treffen. Die öffentliche Diskussion im Rat hat ja noch nicht einmal begonnen. Aber Leipzigs Verwaltung scheint schon jetzt überzeugt, dass die Ratsversammlung sich gehorsam für einen der sechs Vorschläge entscheidet.

Die Krux bei allen sechs Vorschlägen ist: Sie sind ohne Zustimmung der Länder nicht umsetzbar. Die kommunalen Abgabenverordnungen müssen erst geändert werden.

Und damit das in Sachsen geschieht, möchte Leipzigs Oberbürgermeister gleich mal die Beauftragung durch den Stadtrat, genau dafür in Dresden vorstellig zu werden: „Der Oberbürgermeister wird beauftragt, sich beim Freistaat Sachsen sowie den Vertretern des Bundes für die Schaffung der notwendigen finanziellen und rechtlichen Rahmenbedingungen für die ergänzenden Finanzierungswege für den ÖPNV einzusetzen.“

Das Muster kommt einem erstaunlich vertraut vor: Erst beginnt die Diskussion im Stadtrat über die aus dem Ruder laufenden Preissteigerungen im MDV, dann kommt der Verwaltungsvorschlag, man könne ja alternative Finanzierungsmöglichkeiten suchen. Der MDV wird entsprechend beauftragt. Sechs mögliche zusätzliche Einnahmequellen werden gutachterlich untersucht.

Die liegen nun vor. Endlich zum Nachlesen, damit sich die Stadträte ein Bild machen können.

Aber eigentlich möchte die Verwaltung sofort Nägel mit Köpfen haben und möchte schon im Januar einen Beschluss, dass der OBM dafür in Dresden tätig wird. Dabei beginnt im Frühjahr gerade erst die Diskussion um den neuen Nahverkehrsplan der Stadt. Ende 2017 soll er fertig sein. Drei verschiedene Verkehrsszenarien sollen dazu entwickelt und diskutiert werden. Was die Vorlage aus dem Planungsdezernat auch noch einmal ausführlich auf fünf Seiten erläutert.

Irgendwie spielt die zusätzliche ÖPNV-Finanzierung da mit hinein. Warum aber, das erklärt die ganze Vorlage nicht. Und wenn man die Begründung dafür sucht, warum der OBM gleich im Januar den Auftrag bekommen soll, auf eine Gesetzesänderung hinzuwirken, steht dazu nicht mal ein Satz. Gar nichts.

Nicht mal zu der Frage, ob und wann die Verwaltung glaubt, dass der Stadtrat einem der sechs Finanzierungsmodelle zustimmen wird. Oder warum er das tun sollte. Die ganze Vorlage sieht aus wie ein Versuch, der eigentlichen Diskussion ausweichen zu wollen. Denn der Druck im MDV ist groß. Das wenigstens benennt die Vorlage.

„Verschiedene politische Fraktionen der sieben am Mitteldeutschen Verkehrsverbund (MDV) beteiligten Gebietskörperschaften kritisierten zunehmend die durch die Verkehrsunternehmen initiierten jährlichen Fahrpreissteigerungen im MDV-Tarif. So wurde z. B. im Kreistag des Landkreis Leipzig der Beschluss gefasst, Fahrpreisanpassungen solange abzulehnen, bis ergänzende Finanzierungswege untersucht wurden. Auch die Stadtverwaltung Leipzig wurde beauftragt, sich für die Untersuchungen durch den MDV einzusetzen (Kenntnisnahme der schriftlichen Antwort zur Anfrage Nr. F-00765/14-AW-002 durch die Ratsversammlung am 10.12.2014). Vergleichbare Diskussionen – jedoch ohne Mehrheit zu einer Beschlussfassung – gab es im Kreistag Nordsachsen und im Stadtrat der Stadt Halle (Saale).“

Die damalige Antwort an die Linksfraktion betonte freilich auch das Dilemma: „Ohne einen angemessenen – und damit ist ausdrücklich gegenüber heute zukünftig signifikant höheren – Finanzierungsbeitrag des Bundes und des Freistaates für den SPNV und ÖPNV, wird ein bedarfsgerechter ÖPNV in einer wachsenden Stadt auf Dauer schwer finanzierbar sein, will man Zielvorgaben aus strategischen Konzepten (z. B. Luftreinhalteplan) und Programmen (z. B. Klimaschutzprogramm) in absehbarer Zeit auch erreichen.“

Und über die Frage, welchen Beitrag der eigentliche Aufgabenträger – die Stadt Leipzig – bringt, muss ebenfalls diskutiert werden. Aber im Rahmen des Nahverkehrsplans. Erst da wird sich herausschälen, welchen Weg Leipzigs Ratsversammlung eigentlich bevorzugt. Den OBM jetzt schon mal auf Dienstreise zu beordern, ist sichtlich übereilt.

Bis jetzt ist das Ganze noch immer ein reines Verwaltungsprojekt, das aber schon so gehandhabt wird, als hätten die bis jetzt einbezogenen Gremien schon finale Einschätzungen getroffen: „Am 29. August 2016 fand ein Arbeitsworkshop mit den Mitgliedern des Aufsichtsrats und Gesellschaftervertretern statt. Dabei wurden die Ergebnisse der 6 Gutachten zu möglichen ergänzenden Finanzierungswegen für den Nahverkehr in Mitteldeutschland von den jeweiligen Ingenieurbüros vorgestellt. Des Weiteren fand am 12. September 2016 eine vergleichbare Vorstellung der Gutachten vor den Verwaltungsspitzen aller ÖSPV-Aufgabenträger unter der Moderation des Leipziger Oberbürgermeisters statt. – Am 25. Oktober 2016 wurden im Rahmen einer MDV-Gesellschafterversammlung unter Beteiligung der Aufsichtsräte die nun fertiggestellten Gutachten vorgestellt und final diskutiert.“

Dabei ist selbst der nächste Schritt völlig ungewiss: „Weitere Arbeiten an den Gutachten machen nur dann Sinn, wenn einerseits von Seiten der Länder die Bereitschaft zur Anpassung der KAG erklärt wird und andererseits kommunalpolitische Gremien entsprechende Empfehlungen für eine ‚Umsetzungsoption‘ aussprechen.“

KAG sind die Kommunalen Abgabengesetze. Der OBM kann also bestenfalls erkunden, ob es eine Bereitschaft zur Änderung gäbe. Aber warum sollte es die geben, wenn sich noch nicht mal die Kommunalparlamente damit befasst haben?

Und warum soll der OBM auf Reisen gehen, wenn der MDV die Gutachten sowieso den Ländern übergibt?

Das alles sieht wieder mal nach dem Versuch einer Schaffung vollendeter Tatsachen aus, noch bevor der Leipziger Stadtrat überhaupt eine Entscheidung getroffen hat.

Die Vorlage zur Beauftragung des OBM.

Die Antwort an die Linksfraktion vom Dezember 2014.

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