Die SPD-Fraktion war die erste, die auf die Vorlage „Präventionskonzept ‚Graffiti‘ der Koordinierungsstelle Graffiti Leipzig“ des Ordnungsdezernats reagierte. Denn das hatte reumütig zugeben müssen, dass die Projektarbeit der Koordinierungsstelle in diesem Jahr finanziell gefährdet ist. Und wirklich belastbare Finanzierungsvorschläge konnte das Dezernat nicht vorlegen.

Nur vereinnahmte Claus Müller, ordnungspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, die Idee der Koordinierungsstelle gleich mal für die eigene Fraktion: „Das jetzt vorliegende Präventionskonzept ‚Graffiti‘ ist die Umsetzung eines Antrages der SPD-Fraktion aus dem Jahr 2013. Wie immer in solchen Fällen sind wir verwundert, warum die Umsetzung von Ratsbeschlüssen so lange gedauert hat. Ziel unseres Antrages war es, legale Graffiti-Angebote finanziell zu sichern, das Angebot an Graffitiflächen und Angebote in Schulen und Jugendclubs zu erweitern und neue Wege zu entwickeln, um die bestehenden Projekte auf eine breitere Basis zu stellen. Während auf die Punkte Erweiterung und Weiterentwicklung von Graffiti-Angeboten in der Informationsvorlage gut eingegangen wird, sind uns die Aussagen zur weiteren Finanzierung der Projekte völlig unzureichend.“

Aber dagegen protestiert nun die Linksfraktion.

„Zur bereits erfolgten Äußerung der SPD, die die Koordinierungsstelle und das Präventionskonzept für sich reklamiert“, korrigiert die Linksfraktion: Die Einrichtung der Stelle im Sinne eines Paradigmenwechsels weg von einem rein repressiven hin zu einem akzeptierenden Umgang mit Graffiti gehe auf einen Antrag der Linksfraktion zurück. „Diese hatte dem SPD-Antrag, der lediglich die Weiterführung bestehender Klein-Projekte im Bereich Graffiti forderte, in der Ratsversammlung am 19.03.2014 folgenden Passus hinzugefügt: ‚Die Stadtverwaltung ergänzt und bündelt die bestehende Präventionsarbeit im Bereich Graffiti. Dazu wird eine pädagogisch orientierte Personalstelle eingerichtet, die bei einem etablierten und in der Szene anerkannten Träger der Jugend-/Kulturarbeit angesiedelt wird. Die Stelle wird mit der Erarbeitung und Koordinierung eines Präventionskonzeptes beauftragt, das die bestehenden Einzelmaßnahmen ergänzt und die Betreuung zusätzlicher legaler Graffiti-Flächen umfasst.“

„Der Änderungsantrag wurde seinerzeit mit äußerst knapper Mehrheit beschlossen und führte zur Einrichtung der Koordinierungsstelle Graffiti“, betont Linke-Stadträtin Juliane Nagel.

Aber die Kritik der SPD-Fraktion richtete sich ja vor allem gegen die fehlende Projektfinanzierung, ein Vorgang, der – zusammen mit der Vertrödelung über drei Jahre – eigentlich zeigt, wie ungern die Verwaltung den Stadtratsbeschluss umsetzt.

Katharina Schenk, jugendpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, kritisierte: „Es ist für uns unverständlich, wie uns eine Vorlage mit so großen Finanzierungslücken vorgelegt werden kann und das zwei Monate nach Beschluss des Doppelhaushaltes 2017/18 und trotz zahlreicher Nachfragen an das Dezernat Umwelt und Ordnung seit dem Jahr 2016. Durch diese Zeitverzögerung ist das gesamte Vorhaben gefährdet. Bürgermeister Rosenthal hat die Vorlage offensichtlich auf die lange Bank geschoben. Nun wünscht er sich, dass andere Ämter die Kofinanzierung für die Graffiticorner, die Schulprojekte sowie die Wall of Fame mittragen. Diesen Wunsch hätte er im Rahmen der Haushaltsaufstellung äußern können. Bei der Behandlung der Vorlage im Jugendhilfeausschuss werden wir Bürgermeister Rosenthal kritisch fragen müssen, warum es sein Dezernat nicht schafft, die Mittel in Höhe von 21.064 Euro für die drei Projekte selber zu tragen. Die Verzögerungstaktik von Bürgermeister Rosenthal kann dazu führen, dass eine Teilfinanzierung aus dem Budget des Jugendamtes erst ab 2019 möglich ist.“

Augenscheinlich haben mittlerweile einige Fraktionen ihren berechtigten Ärger mit Bürgermeistern, die sie einstmals selbst aufgestellt haben und die mittlerweile eine Politik machen, die sich teilweise deutlich von den Erwartungen des Stadtrats unterscheidet.

Juliane Nagel, kinder- und jugendpolitische Sprecherin der Linksfraktion, wird dabei sehr deutlich: „Durch das zu langsame Agieren der Verwaltung wurde die Arbeit der Koordinierungsstelle Graffiti sinnlos hinausgezögert und nicht zuletzt gefährdet. Wie die Verwaltung in der Vorlage selbst schreibt, entstand ‚für die betroffenen Jugendlichen und Heranwachsenden sowie die involvierten Partner mit der Einrichtung der Koordinierungsstelle eine hohe Erwartungshaltung.‘ Dass nach der anfänglichen und in kurzer Zeit geleisteten qualifizierten konzeptionellen Arbeit der von Urban souls e.V. und dem Graffiti-Verein getragenen Stelle auch praktische Projekte folgen müssen, liegt auf der Hand. Doch mit der in der Rahmenvereinbarung mit dem Ordnungsamt festgelegten Ausstattung mit nur 7.000 Euro Sachkosten lassen sich keine Projekte durchführen.“

Darauf habe die Linksfraktion des Öfteren hingewiesen und Nachbesserung gefordert.

„Dass nun die finanziellen Untersetzungen für die ambitionierten Vorhaben der Koordinierungsstelle erfolgen soll, ist überfällig – unterm Strich sind die Finanzen aber zu niedrig angesetzt“, stellt Nagel fest. „Die Koordinierungsstelle hat ihre Finanzbedarfe für 2016 bei 97.000 Euro benannt – die aktuelle Vorlage der Verwaltung sieht für 2017 Mittel in Höhe von 25.900 Euro vor. Die vom Ordnungsdezernat in der Vorlage eingeforderte Beantragung von Fördermitteln bei anderen Ämtern läuft schon deshalb ins Leere, weil beispielsweise die Förderung durch Kultur- und Jugendamt Eigenmittel erfordert, die die Koordinierungsstelle nicht hat bzw. haben kann, da sie keine eigene Rechtsform hat.“

Und nicht nur an dieser Stelle könnte man von möglicher Arbeitsverweigerung sprechen.

Denn jetzt läuft auch noch die Zeit davon, stellt Juliane Nagel fest: „Hinzuweisen ist nicht zuletzt auch darauf, dass die Rahmenvereinbarung mit der Koordinierungsstelle nur bis 31.10.2017 läuft. In nur fünf Monaten soll also die Arbeit für ein Jahr erfolgen.“

Die Linksfraktion fordere also in diesem Sinne eine Zusage zur Verlängerung und Nachbesserung der Rahmenvereinbarung damit die Koordinierungsstelle Planungssicherheit hat sowie eine angemessene Ausfinanzierung der Projekte bzw. Sachkosten.

Und warum ist die ganze Sache finanziell so vor den Baum gelaufen?

Dazu teilte das Ordnungsdezernat in seiner Vorlage mit, dass man ja die die Personalstellen in der Koordinierungsstelle finanziert habe: „Die Finanzierung der ‚Koordinierungsstelle Graffiti in Leipzig‘ wird in Höhe von 57.000 EUR (50.000 EUR für Personalkosten und 7.000 EUR für Sachkosten) pro Jahr abgesichert. Die Haushaltsmittel für die kommunale Querschnittsaufgabe sind beim Ordnungsamt eingestellt. Dabei wurden zunächst keine neuen Mittel für die Umsetzung von Maßnahmen und Projekten berücksichtigt.“

Damit war die Verwaltung des Ganzen gesichert – aber kein einziges Projekt. Da setzte man auf den alten Leipziger Wunderglauben, dass man vielleicht ein paar nette Spender finden würde, die den Rest beisteuern: „Hinsichtlich der Projektfinanzierung war in Abstimmung mit den Vereinen zunächst geplant, Potenziale durch Sponsoring, allgemeine Fördermittel, Mittelakquise etc. auszuloten. Trotz eines Empfehlungsschreibens des Ordnungsamtes, welches der Koordinierungsstelle zur Unterstützung der Mittelakquise zur Verfügung gestellt wurde, konnten zunächst keine externen Unterstützer gewonnen werden. Bedingt durch die städtischen Antragsfristen war zum Zeitpunkt der Einrichtung der Koordinierungsstelle keine strategisch ausgerichtete Beantragung von Fördermitteln (z. B. Amt für Jugend, Familie und Bildung, Kulturamt) für das Jahr 2016 mehr möglich.“

Da hat das Ordnungsdezernat also quasi einen Berechtigungsschein zum Einwerben von Spendengeldern ausgedruckt, aber nicht mal fertig gekriegt, einen offiziellen Aufruf der Stadt für Sponsoren zu starten. Da läuft also eine Menge nicht zusammen im Ordnungsdezernat.

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