Eigentlich war es nur eine Pressekonferenz, auf der das Aktionsnetzwerk „Leipzig nimmt Platz“ am 19. Januar über geplante Gegenaktionen gegen eine LEGIDA-Demonstration informierte und zur vielköpfigen Teilnahme an den Gegenprotesten aufrief. Aber für die fünf Teilnehmer der Pressekonferenz mündete das ganze in staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren. Vier wurden zwar bald wieder eingestellt. Für Juliane Nagel aber dauerte der Spaß über zwei Jahre.

Seit Januar 2015 lief gegen die in Leipzig direkt gewählte Landtagsabgeordnete der Linken, Juliane Nagel, ein Ermittlungsverfahren wegen des „Aufrufs zu Straftaten“. Im Rahmen einer Pressekonferenz des Aktionsnetzwerks „Leipzig nimmt Platz“ am 19. Januar 2015 soll die damalige Sprecherin des Leipziger zivilgesellschaftlichen Netzwerkes dazu aufgerufen haben, den Aufmarsch von Legida am 21. Januar 2015 zu verhindern. Inhalt der Aussagen war die von zahlreichen Akteuren der Stadt unterzeichnete Leipziger Erklärung, in der es unter anderem heißt, dass Naziaufmärsche „in gemeinsamen und gewaltfreien Aktionen“ verhindert werden sollen.

Die Staatsanwaltschaft Leipzig hatte infolge der Pressekonferenz gegen fünf Vertreterinnen und Vertreter des Aktionsnetzwerkes „Leipzig nimmt Platz“ Ermittlungsverfahren eingeleitet. Drei Ermittlungsverfahren wurden unverzüglich, das gegen die Bundestagsabgeordnete Monika Lazar (Grüne) dann im Dezember 2015 nach § 153 StPO (Geringfügigkeit) eingestellt. Lediglich das Verfahren gegen Juliane Nagel wurde fortgesetzt.

Am 16. März 2016 hob der Sächsische Landtag dann auch die Immunität der Abgeordneten Juliane Nagel auf. Durch die Staatsanwaltschaft beim Amtsgericht Leipzig wurde der Erlass eines Strafbefehls beantragt. Man wollte die Sache im verkürzten Gerichtsverfahren zu Ende bringen. Aber ganz so eindeutig war die Sache wohl nicht.

Die RechtsanwältInnen von Juliane Nagel intervenierten und erwirkten eine Einstellung des Verfahrens. Einzig eine Geldzuwendung an fünf gemeinnützige Einrichtungen in Leipzig wurde vereinbart. Die sei inzwischen auch entrichtet, teilt die Abgeordnete mit.

„Das Verfahren und die späte Einstellung zeigen zweierlei: Einerseits ist immer wieder beeindruckend, mit welcher Hartnäckigkeit und Vehemenz die sächsischen Staatsanwaltschaften gegen Antifaschist_innen ermitteln und Verfahren regelrecht bemühen“, erklärt Juliane Nagel zu dieser zweijährigen Prozedur um einen Aufruf, der sichtlich keine Straftat darstellte. „Ich habe mich natürlich gefragt, ob das Verfahren auch meiner politischen Arbeit galt. Andererseits ist die nicht gelungene Kriminalisierung zivilen Ungehorsams nun ein Zeichen an alle, die sich gegen Rassisten und Faschisten engagieren und denen auch nicht die Straßen überlassen wollen.“

Nicht das erste Verfahren, bei dem juristische Untersuchungen nach einem ersten medialen Aufschrei regelrecht im Sande verlaufen.

„Gerade auch nach den Presseberichten letzte Woche zum Verfahren gegen vierzehn Personen aus dem Spektrum der BSG Chemie Leipzig wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung, welches ergebnislos eingestellt wurde, nachdem 177 Personen vier Jahre lang mit enormem Aufwand überwacht wurden, frage ich mich, wie politisch neutral die sächsischen Ermittlungsbehörden agieren. Solche Justizpossen in Sachsen scheinen mir gegen Linke eher durch Übereifer zu entstehen – gegen extrem rechte Strukturen sind Ermittlungspannen meist ganz anders konnotiert“, geht Juliane Nagel auf ein Phänomen ein, das 2011 in Dresden schon sichtbar wurde.

Und mittlerweile auch immer wieder im Umfeld der LEGIDA-Demonstationen in Leipzig zu erkennen ist. „Ich bin froh, dass von diesem zweijährigen Verfahren jetzt letztendlich doch ein positives Signal in Richtung Zivilgesellschaft gesendet wird. Im Nachhinein kann man dieses Verfahren nur als absurd bezeichnen. Es hat mich und meine Unterstützer_innen einiges an Zeit, Aufwand und natürlich Geld gekostet. Ich danke den zahlreichen Menschen, die sich solidarisch gezeigt haben. Am Ende bleibt die Erkenntnis, dass ziviler Ungehorsam insbesondere in Sachsen nicht kriminell, sondern legitim und notwendig ist! In diesem Sinne hoffe ich, dass auch die Verfahren gegen die vielen Menschen, die sich am 2. Mai 2016 Legida in den Weg setzten, eingestellt werden! Dafür engagiert sich die Kampagne ‚Dazusetzen‘, die ich selbstverständlich unterstütze: http://dazusetzen.de/.“

In eigener Sache: Lokaler Journalismus in Leipzig sucht Unterstützer

In eigener Sache (Stand Mai 2017): 450 Freikäufer und weiter gehts

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar