Wie schnell es auch im Leipziger Raum zu Hochwassersituationen kommen kann, in denen staatliche Behörden eine fast chaotische Betriebsamkeit entwickeln, haben die Anrainer von Weißer Elster, Pleiße und Parthe im Juni 2013 erlebt. Eine Situation, die sich auch immer weiter verschärft durch umfassend versiegelte Flächen, ausgeräumte Landschaften, überbaute und verschüttete Bäche und Flussarme sowie fehlende Hochwasserausbreitungsräume entlang der Fließgewässer.

Mit dem Anstieg der Grundwasser in Folge der Flutung der früheren Tagebaue ist zudem mit umfassenden Wiederanstiegen der Grundwasserstände zu rechnen.

Nach Auffassung des Arbeitskreises Hallesche Auenwälder zu Halle (Saale) e.V. (AHA) gilt es daher, auch im Raum der Städte Leipzig, Markkleeberg und Schkeuditz in verantwortlicher Zusammenarbeit mit dem Freistaat Sachsen, Begleitung durch wissenschaftliche Einrichtungen sowie massiver Einbeziehung der Bevölkerung und ihrer Vereine, Verbände und Initiativen unverzüglich eine aktuelle und nachhaltige Konzeption zum Schutz und Entwicklung der Auenlandschaft im Kontext zu einer darauf abgestimmten Hoch- und Grundwasserkonzeption zu entwickeln.

Die Zahlen dazu legte Dr. Hans-Dieter Kasparidus vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung im Rahmen des 5. Leipziger Auensymposiums am 16. April 2011 dar. Er bezifferte die Auenfläche mit 4.563 Hektar. Weiter führte er aus, dass davon 3.934 Hektar Altaue sowie 524 Hektar rezente Aue und 105 Hektar Fläche Fluss umfassen. Prozentual bedeutet dies, dass 86,22 Prozent zwar morphologisch Aue sind, aber in der Regel durch Deiche abgetrennt sind und keine Überflutung mehr erfahren, so wie nur 13,78 Prozent einer Überflutung zur Verfügung stehen.

Was in der simplen physikalischen Logik bedeutet: Hochwasser, die sich früher in den breiten Flussauen verteilten, drängen sich jetzt in den eingedeichten Fluss- oder Kanalbetten zusammen. Genau dort, wo dann die verantwortlichen Behörden immer wieder ihre bekannten Deichrettungsaktionen inszenieren.

Nach Auffassung des AHA ist das eine zutiefst besorgniserregende bzw. bedenkliche Ausgangssituation. Besonders, wenn man sich vor Augen führen muss, dass Aue und Fließgewässer eine enge Verbindung darstellen. Dass zum Beispiel große Teile von Auenwäldern im Süden Leipzigs – wo die Pleiße in die Weiße Elster mündet – und im Norden Leipzigs und in Schkeuditz großflächig naturgeschützte Auenwälder wie die Burgaue und Verschlossenes Holz in Schkeuditz hinter Deichen vom Hochwasser abgeschirmt sind, zeuge von einer nicht zu verbergenden Ironie.Andreas Liste, Vorsitzender des AHA, fragt sich auch, worin der Sinn und Zweck liegen soll, nun das 1970 gebaute Auslassbauwerk von der Nahle in die Burgaue für veranschlagte 3 Millionen Euro neu zu errichten, wenn umfassende Deichrückverlegungen Altauen wieder in die rezente Auen zurückführen würden und somit Nahle, Neue Luppe und Weiße Elster wieder einen umfassenden Überflutungsraum zurückerhielten.

Schwerpunkte sollten nach Ansicht des AHA daher an erster Stelle die Einstellung bzw. der Ausschluss von Verbauungen und Versiegelungen in bestehenden Auen und Altauen sowie in Bereichen von verschütteten Altgewässern sein. Ferner sei es erforderlich, bestehende versiegelte Flächen zu überprüfen, ob ein Rückbau erfolgen kann.

Eine besonders große Bedeutung komme zudem einer umfassenden, flächen- und raumdeckenden Rückverlegung von Deichen zu. Dies führe zur Erweiterung von Hochwasserausbreitungsraum, Verringerung von Hochwasserhöhen und damit einer Verringerung der Hochwasserkatastrophengefahr sowie nicht zuletzt auch zur wichtigen Wiederherstellung einer direkten ökologischen und hydrologischen Verbindung zwischen Aue und Fließgewässer. Insbesondere die Auen an Elster, Luppe und Nahle im Norden von Leipzig und im angrenzenden Schkeuditz würden davon profitieren.

Auch der Bereich der Elster-Pleiße-Aue sowie die in Flutung begriffenen Alttagebaue in den Städten Leipzig und Markkleeberg bedürften einer Einbeziehung in das Hoch- und Grundwasserkonzept.

Neben Hochwasser ist eben auch mit dem Wiederanstieg von Grundwasser zu rechnen. Hier sollte nach Auffassung des AHA zum Beispiel der Raum zwischen Markkleeberger See und Pleiße unter Einbeziehung bzw. Berücksichtigung des Geländes der Agra eine besondere Rolle erhalten. So könnte unter anderem die Wiederherstellung des alten Verlaufes der Mühlpleiße in Erwägung gezogen werden, um das Wasserabflusssystem zu verbessern sowie zudem eine weitere landschaftliche und ökologische Aufwertung des Raumes zu ermöglichen. Die Mühlpleiße fließt vom agra-Park über Dölitz nach Connewitz, wo sie wieder in die Pleiße mündet.

Ferner sei das gesamte Gebiet von neuen Verbauungen freizuhalten und zu prüfen, inwieweit bestehende Verbauungen und Versiegelungen einen vollständigen bzw. zumindest einen teilweisen Rückbau erfahren können. Ein zweiter Versuch der Leipziger Stadtverwaltung, die Auewiesen zwischen agra-Park und Dölitz mit neuen Eigenheimen zu bebauen, ist gerade im Frühjahr von der Stadtverwaltung wieder zurückgezogen worden.

Der AHA warnt jedoch davor, die Alttagebaue verstärkt als Auffangbecken für Hochwasser zu nutzen. Mit einer, laut Leipziger Umweltbürgermeister Heiko Rosenthal, bestehenden Aufnahmekapazität des Zwenkauer Sees im Umfang von 15 Millionen Kubikmetern Flutwasser seien nach Auffassung des AHA aber auch massive Gefahren durch Eintrag von in die Weiße Elster eingespülten Sedimenten, Nährstoffen und Pestiziden verbunden. Diese seien gerade während solcher massiven Hochwasser wie Anfang Juni 2013 in dem Fließgewässer enthalten und könnten langfristig die Wasserqualität beeinträchtigen sowie zur schrittweisen Verlandung beitragen.Der Ansatz zur Wiederherstellung des verschütteten Elsteraltarmes zwischen zwei Abschnitten des Elstermühlgrabens, welche Umweltbürgermeister Heiko Rosenthal als eine mögliche Hochwasserschutzmaßnahme anführt, klinge sehr interessant, so Liste. Tatsächlich existieren die Pläne zur Wiederöffnung der Alten Elster schon länger – sie sind Teil des Leipziger Hochwasserschutzkonzeptes, das nach der Flut von 2002 entwickelt wurde. Nur die Umsetzung der Maßnahme, die ursprünglich ab 2012 geplant war, verschiebt sich immer weiter. Eine Umsetzung erst im Jahr 2027 anzusetzen, hält der AHA für nicht angemessen. Eine umfassende Konzipierung sollte bereits in diesem Jahr beginnen bzw. Fortsetzung finden und mittelfristig eine Umsetzung bis zum Jahr 2020 erfolgen.

Hinsichtlich der Parthe könnte der AHA sich vorstellen zu prüfen, inwieweit eine Umsiedlung von Gewerbeflächen sowie der Kleingartenanlage “An der Parthe” entlang des Fließgewässers zwischen Volbedingstraße, Mariannenpark, Rackwitzer Straße und Brandenburger Straße mit einhergehender nachfolgender Entsiegelung der Flächen und des Fließgewässers möglich sei. Darüber hinaus gilt es eine schrittweise Beräumung der Garten- und Sportanlagen im Mündungsgebiet der Parthe in die Weiße Elster im Raum nordwestlich des Heuweges bis Slevogtstraße und Luppe sowie südöstlich bis Waldstraße zu untersuchen. Die Gartenanlagen könnten beispielsweise schrittweise durch Nichtneuverpachtung aufgegebener Gärten reduziert werden, bis sie letztendlich komplett beräumt sind und eine Rückgabe als Überflutungsraum für Weiße Elster/Luppe und Parthe möglich ist.

Passieren muss in diesem Gebiet sowieso etwas, denn die Stadt Leipzig plant hier von der Weißen Elster einen Durchstich zur Neuen Luppe, um die Hochwasser aus der Parthe direkt in Richtung Burgaue ableiten zu können.

Für die Pleiße gelte es, unbedingt den naturnahen Zustand im Bereich des Südlichen Auenwaldes zu erhalten, um dem Fließgewässer seine Strukturvielfalt zu erhalten, verbunden mit der Retentionsfläche ein schnelles Einströmen in das engere Stadtgebiet von Leipzig auszuschließen sowie durch die Wechselwirkung von Prall- und Gleithang dem Wasser Energie zu nehmen, so Liste.

Das gleiche müsse auch für alle Nebengewässer der Pleiße gelten. Der südliche Leipziger Auenwald, welcher Bestandteil des Landschaftsschutzgebietes “Leipziger Auwald” ist und wo sich mit den beiden Naturschutzgebieten “Elster-Pleiße-Auwald” und “Lehmlache Lauer” zwei besonders bedeutsame Bereiche der Aue befinden, sollte zudem künftig unbedingt noch umfassender wieder mehr der Aufnahme von Hochwasser dienen.

Und Liste betont, der AHA sei natürlich bereit, im Rahmen seiner ehrenamtlichen Möglichkeiten an der Prüfung und Erarbeitung aktueller Konzeptionen zum nachhaltigen Schutz und Entwicklung der Auen und einer eng damit verknüpften Hoch- und Grundwasserkonzeption mitzuwirken. Darüber hinaus ruft der AHA zur aktiven Mitwirkung interessierter Bürgerinnen und Bürger in den Städten Leipzig, Markkleeberg und Schkeuditz auf, sich mit einzubringen.

Kontakt zum AHA: www.aha-halle.de

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Redaktion über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar