Am Montag, 13. April, wurde in der Leipziger Volkshochschule nicht nur die "Charta Leipziger Neuseenland 2030" in ihrer neuen Fassung vorgestellt - auch die drei Bürgerumfragen zur Charta wurden präsentiert. Die Charta selbst soll jetzt vom Leipziger Stadtrat und von den beiden Kreistagen bestätigt werden. Und noch ein Termin fiel in diese Woche: Die Frist für Stellungnahmen zu zwei Verfahren lief ab, welche die sogenannte „Feststellung der Fertigstellung“ des Störmthaler und des Zwenkauer Sees beinhalten.

Die Verfahren haben zum Ziel, die Umwandlung der ehemaligen Tagebaue in schiffbare Gewässer abzuschließen. Werden die Seen ohne Einschränkung von der Landesdirektion Sachsen für schiffbar erklärt, bedeutet das auch freie Fahrt für Motorboote, warnt nun der Ökolöwe Leipzig.

Die L-IZ hat alle vier betroffenen Kommunen angefragt, wie sie es nun konkret halten wollen mit der Zulassung von Motorbooten. Die Stadt Markkleeberg hat schon Stellung bezogen und eine Favorisierung von Elektrobooten betont. Was zwar auch die erklärte Zielvorstellung der “Charta Leipziger Neuseenland” in der neuen Fassung ist. Doch auch dort wird es nur als zukünftiges Arbeitsziel angegeben – spritbetriebene Motorboote will man deshalb erst einmal nicht ausschließen.

Und da steckt die Diskussion völlig im Schlamassel

Denn mit dem neu gefassten Wassergesetz von 2013 hat die sächsische Landesregierung seinerzeit einfach die Schiffbarkeit der Tagebauseen im Leipziger Südraum und auf ihren Verbindungsgewässern dekretiert. Völlig überflüssigerweise, weil alle Gewässer auch künftig keine Wasserstraßen sein werden, die irgendeiner Art Wirtschaftsverkehr dienen. Fast alle Nutzungen der Seen sind auch jetzt schon per Allgemeinverfügung regelbar.

Für die Kritiker der Gesetzesneufassung steht eindeutig die Absicht im Raum, die Seen und Kanäle für private Motorboote zu öffnen.

Noch sind die Regeln für die Erklärung der Schiffbarkeit nicht erlassen. Dazu dienen die jetzt von der Landesdirektion abgefragten Stellungnahmen der Kommunen und Verbände.

Und der Ökolöwe weist darauf hin, dass eine umfassende Schiffbarkeitserklärung auch aus jetziger Sicht schon mit geltenden Naturschutzrechten auf Bundes- und EU-Ebene kollidiert. Mit den Interessen der Mehrheit der Bewohner des Neuseenlandes sowieso. Die meisten wollen schlicht keinen privaten Motorbootbetrieb auf den Seen.

“Schade”, kommentiert der Ökolöwe deshalb die unbehelligte Abarbeitung des Schiffbarkeitsverfahrens. “Denn ebenfalls in dieser Woche hatte das Leipziger Amt für Statistik und Wahlen vom Wunsch vieler Leipziger nach Ruhe und Erholung an den Gewässern berichtet. Mit der motorisierten Schiffbarkeit dürfte damit dann Schluss sein. Und auch rechtlich ist die Schiffbarkeit äußerst heikel: In den bestehenden Raumordnungsplänen sind weite Teile der Seen für Erholung und Naturschutz vorgesehen. Und: es schließen sich hochrangige EU-Schutzgebiete direkt an die Seen an. Würden die Ziele, die mit den Schutzgebieten erreicht werden sollen, beeinträchtigt, verstieße die Motorschifffahrt gegen EU-Recht. Zudem brauchen unzählige geschützte Vogelarten die Seen als Brut-, Rast- und Überwinterungsstätten. Eine Störung durch Motorboote könnte sich dramatisch auf ihren Bestand auswirken und zugleich das Bundesnaturschutzgesetz brechen.”

„Wir warten daher mit Spannung darauf, welche unserer Hinweise von der Landesdirektion umgesetzt werden. Zum Sportboot-Vergnügen einiger Weniger ganze Seen zu verlärmen, scheint aus Sicht des Naturschutzes und der naturbezogenen Naherholung kein fairer Handel“, sagt dazu Anja Werner vom Ökolöwen.

Der Lärm wäre nicht das einzige, worauf sich die Leipziger künftig einstellen müssten

Absehbar sind auch deutliche Schadstoff- und Geruchseinträge in die Seen und ihre Umgebung. Gerade neue Seen reagieren besonders empfindlich auf solche Einflüsse. Gern werde in Tourismuskonzepten ausgeblendet, dass die Schiffbarkeit auch indirekte Folgen hat: Mit ihr erhöht sich der Nutzungsdruck auf die Gewässer. Und dieser zeigt sich beispielsweise in einer Verbauung der Ufer oder steigenden Mülleinträgen durch größere Touristenströme. Wer sich dann noch hier erholen mag, fragt der Ökolöwe.

Und das Vorhaben kollidiert nicht nur mit dem Wunsch der Neuseenländer nach Ruhe und Erholung. Die haben auch in der zur “Charta” gestarteten Befragung mehrheitlich Prioritäten benannt, die durch die Freigabe für Motorbootnutzung eindeutig gefährdet werden.

Sowohl in den Landkreisen als auch in Leipzig stand das Thema “gute Wasserqualität” mit 95 bis 98 Prozent der Nennungen ganz oben auf der Agenda.

Dicht gefolgt von “intakte Natur” mit 95 bis 96 Prozent der Nennungen.

Noch vor “öffentlich kostenfreiem Zugang” (89 bis 96 Prozent).

Und vor einem funktionierenden Rad- und Wanderwegenetz (89 bis 90 Prozent).

Gleich danach folgte der ÖPNV mit 68 bis 76 Prozent der Nennungen.

Das Thema Schiffbarkeit wurde ja bekanntlich vertagt und aus der “Charta” erst einmal komplett herausgenommen. Deswegen taucht es in der Befragung auch nirgendwo auf, obwohl das die ideale Gelegenheit gewesen wäre, die Bewohner des Neuseenlandes wirklich einmal dazu zu befragen.

Aber bei den Prioritäten durften die Befragten zumindest auch noch als offene Frage angeben, was sie zusätzlich als Priorität wünschen – und was von ihnen abgelehnt wird.

Und unter den Ablehnungen dominieren eindeutig “Haus-Bauprojekte/Privatisierung” mit 16 Prozent der Nennungen in Leipzig (in den Landkreisen 7 und 4 Prozent) und gleich dahinter “Motorboote/Sport” – von 7 Prozent der Leipziger extra erwähnt, in den Landkreisen von 6 und 4 Prozent der Befragten. Übrigens in Nordsachsen deutlich geringer, weil die dortigen Seen eben nicht für schiffbar erklärt werden sollen und auch durch keine Gewässerverbindungen in irgendeine Art touristisches Nutzungskonzept eingebunden sind.

Zumindest erwähnen muss man an dieser Stelle: 1 Prozent der Befragten sprach sich auch “pro Schifffahrt aus”, 1 Prozent aber auch noch dezidiert “kontra Schifffahrt”.

4 Prozent der Leipziger lehnten auch noch extra “Massentourismus” ab, weitere 4 Prozent “Kommerz/Profit”.

Intensiver Tourismus erreicht im Maximalfall 17 Prozent Zustimmung

Fakt ist aber auch, dass die Zulassung von privaten Motorbooten unter das Thema “intensiver Tourismus” gehört. Und der wurde ja zumindest bei den “Strategien für die einzelnen Gewässerentwicklungen” abgefragt. Die höchsten Werte gab es übrigens bei “intensivem Tourismus” für den Lindenauer Hafen, den Stadthafen Leipzig und den Cospudener See mit 17, 17 und 15 Prozent Zustimmung. Wenn man das so nennen kann, denn die Befragten durften immer nur eine Kategorie ankreuzen.

Aber allein beim Cospudener See stehen 15 Prozent Zustimmung für “intensiven Tourismus” gegen 21 Prozent naturnahe Gewässerentwicklung und 59 Prozent für “sanften Tourismus” (dazu noch 1 Prozent für naturbelassen, macht 81 Prozent sanfter Betrieb gegen 15 Prozent intensiver Betrieb).

Wenn die Veranstalter der Umfrage ehrlich zu sich sind, ist damit jede Schiffbarkeit abgelehnt.

Beim  Zwenkauer See ist es übrigens nicht anders: 4 Prozent der Leipziger wünschen sich einen naturbelassenen See, 21 Prozent einen naturnahen See und 44 Prozent sanften Tourismus. Macht nach Adam Ries 69 Prozent. Nur 12 Prozent plädieren für intensiven Tourismus.

Und die Bewohner des Landkreises Leipzig sehen es ganz ähnlich: Hier wünschen sich sogar 13 Prozent einen naturbelassenen, 24 Prozent einen naturnahen See und 40 Prozent sanften Tourismus. Einen intensiven Tourismus wünschen sich nur 13 Prozent.

Beim Markkleeberger See stehen Aussagen von 77 Prozent zu naturnah/naturbelassen und sanftem Tourismus gegen 17 Prozent intensiven Tourismus.

Beim Störmthaler See sind es 82 gegen 9 Prozent.

Das ist alles im Grunde deutlich und aussagekräftig. Und die Akteure, die jetzt die Schiffbarkeit betreiben, brauchen sich nicht wirklich darüber zu wundern, dass ihnen Protest entgegenschlägt und das Misstrauen wächst.

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Liebe Politiker,
Ihr habt hiermit die nahezu einmalige Chance, mit nur einer Entscheidung, Drei Viertel der Bewohner des Neuseelands gegen Euch aufzubringen.
Nutzt sie … oder werdet vernünftig und entscheidet im Sinne der Mehrheit des Volkes, der Bürger und Wähler.

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