Am Montag, 13. April, wurde nicht nur die überarbeitete "Charta Leipziger Neuseenland 2030" vorgestellt. Auch die drei Bürgerumfragen aus Leipzig und den beiden Landkreisen Leipzig und Nordsachsen wurden präsentiert. Sie brachten auch eine Erkenntnis zutage, die bei der Neuseenland-Diskussion gern vergessen wird: Für die Leipziger bedeutet die Seenplatte etwas anderes als für die direkten Anwohner in den beiden Landkreisen.

Alle Bewohner der Landkreise wurden sowieso nicht erfasst. Solche Umfragen kosten Geld und in den Landkreisen wurden vor allem Bewohner aus dem direkten Umfeld der Seen im Leipziger Norden und Süden antelefoniert. “Positive Assoziationen” überwiegen in der großen Stadt genauso wie in den Seenlandschaften. Dazu muss man nicht einmal die alten, schwarz-weißen Bilder von riesigen Tagebauen, rußenden Schloten und zerstörten Dörfern und Landschaften wachrufen, auch wenn es Dr. Gerhard Gey, Sprecher der Steuerungsgruppe Leipziger Neuseenland am Montag noch einmal tat. Einfach um den langen Weg noch einmal zu zeigen, den die Kommunen und Kreise seit 1990 mit dem Freistaat gemeinsam gingen, als eine Zukunftsplanung für die Bergbaulandschaft erstmals möglich und dringend gefordert war. Alle Planungen fürs Leipziger Neuseenland haben hier ihre Wurzeln. Und ein Mann, der damals den großen Moderator spielte, kann man dabei durchaus erwähnen: Walter-Christian Steinbach, den langjährigen Regierungspräsidenten von Leipzig.

Natürlich ist das alles nach seinem Ausscheiden aus dem Amt nicht aus dem Lot geraten. Im Gegenteil: Mittlerweile sind viele Bauprogramme umgesetzt, man steckt in Details und Feinheiten. Und die Anwohner wissen mittlerweile, was aus den einst noch unfassbaren Plänen seit 2000 geworden ist. Älter ist das Neuseenland ja nicht. Der Cospudener See war damals der erste See im Leipziger Südraum, der in Betrieb ging, der zweite insgesamt – nach dem schon 30 Jahre funktionierenden Kulkwitzer See.

Aber die positiven Assoziationen, die die Befragten  haben, unterscheiden sich. In den beiden Landkreisen, die ja die ursprünglich vom Bergbau geschundenen Landschaften beinhalten, sehen die Befragten viel stärker die Revitalisierung der Landschaft, das Fluten der See und den Ausbau der Gewässer als Positivum. Für sie ist die Verwandlung der einstigen Mondlandschaft binnen einiger weniger Jahre zu einer Erlebnislandschaft mit Wasser bis heute frappierend. Vielleicht kann man es auch so fassen: Sie staunen noch über das Heilen der alten Wunden direkt vor ihrer Haustür.

Und die Leipziger?

Sie nennen deutlich häufiger als die direkten Anwohner als Assoziation für das Neuseenland den direkten Freizeit- und Erholungsaspekt: 54 Prozent der in Leipzig Befragten betonen das (gegen 34 bis 38 Prozent in den Landkreisen). Und das hat ebenfalls mit dem Bergbau zu tun. Denn bis die großen Tagebaue vor 80, 90 Jahren aufgeschlossen wurden, war dieselbe Landschaft ja schon einmal Erholungsraum für die Leipziger. Sie wanderten die Pleißeaue hinauf, fuhren ins Obstland, hunderte von Dorfkneipen lebten von den Leipziger Ausflüglern. Als aber die Bagger begannen, die Landschaft aufzufressen, war es für die Leipziger für 70, 80 Jahre vorbei mit diesen Freizeitmöglichkeiten direkt vor der Stadt (abgesehen von der Gegend um Beucha und die Lübschützer Teiche). Aber das Bedürfnis in der lärmenden Großstadt nach Erholung und Freizeit in der Natur ist riesengroß. Dieser Bedarf wird seit 2000 wieder gedeckt und jeder neue in Betrieb gegangene See erweitert die Angebotspalette.

Und die Umfrage zeigt: Den Leipzigern liegt hier eindeutig die eigene Möglichkeit zum Erholen am Herzen.

Und sie finden es nicht nur toll, sie nutzen es auch. Und zwar stärker als die direkten Anwohner. 73 Prozent der befragten Leipziger besuchten 2014 den Strand einer der Seen (und sage hier niemand, dass dafür eine Straßenbahn zum See nicht eine gute Lösung wäre), 71 Prozent verschafften sich am Wasser Bewegung, 55 Prozent im Wasser. 62 Prozent besuchten Cafés und Restaurants am Wasser. Aus Leipziger Sicht ist das Bild eindeutig: Sie genießen die entstandene Gewässerlandschaft.

Die Frage ist natürlich auch im Detail: Wie genießen sie? Und wie wollen sie genießen?

Und da ist man mittendrin in der Motorbootdiskussion, die auch diese extra fürs Neuseenland gestartete Bürgerumfrage nicht klärt. Man fragte zwar die Leute nach der Bootsnutzung. 39 Prozent der befragten Leipziger waren 2014 mindestens einmal per Boot unterwegs – 29 Prozent mit Paddel- und Ruderbooten, 20 Prozent mit dem, was die Umfrage so lax als “Boot mit Motor” deklarierte.

Aber an der Stelle wurde die Umfrage so dünn wie schon die Leipziger Bürgerumfrage von 2012: Die Verantwortlichen trauen sich einfach nicht nach privaten Motorbooten zu fragen, sondern geben den Befragten hier als Vorgabe “Fahrgastschiff, Partyfloß u.ä.”. 2012 hatten sie auch nur nach “motorbetriebenen Booten” gefragt. Aber es ist nach wie vor ein gewaltiger Unterschied, ob man sich eine oder mehrere Touren auf einem der Fahrgastschiffe auf den Seen oder im Leipziger Gewässerknoten bucht, oder ob man sich ein spritbetriebenes Motorboot zulegt. Und wenn das nicht getrennt wird, wird auch die Diskussion um die wirtschaftliche Entwicklung des Neuseenlandes schief.

Entweder ist das gewollt – dann ist das eine sehr destruktive Vorgehensweise. Oder es bleibt rätselhaft, weil sich die Gewässernutzung im Neuseenland nun einmal seit drei Jahren um kein anderes Thema so sehr dreht wie um das Thema Motorboote.

Und es sind ganz bestimmt nicht die Fahrgastschiffe, die dabei in der Kritik stehen und die von den Leipzigern und den direkten Anwohnern gleichermaßen gern genutzt werden, während beim Rudern und Paddeln eindeutig die Großstädter emsiger sind, auch weil das auf den Leipziger Flüssen und Kanälen natürlich besonders attraktiv ist.

Und in der Kritik steht ganz bestimmt auch nicht, dass das Neuseenland neue Unternehmensgründungen und Verdienstmöglichkeiten bietet. Dazu haben die Neuseenländer durchaus belastbare Ansichten.

Dazu morgen mehr an dieser Stelle.

Die Bürgerbefragungen findet man auch auf de Website der “Charta”.

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