Ende April wurde das vom MDV ausgearbeitete ÖPNV-Konzept für die Region den Stadträten vorgestellt. Die Markkleeberger konnten am 13. Mai während einer Bürgerversammlung Einblick nehmen und den anwesenden Planern ihre Fragen stellen. Heute wurde im Markkleeberger Stadtrat nochmal heftig diskutiert: Kann man diesem ÖPNV-Konzept nun zustimmen oder nicht? Abschließend ein Kommentar des Autors: Verkehrsplanung aus Markkleeberger und Leipziger Sicht und Wünsche an den Kreistag.

Bereits in der Bürgerfragestunde kam das Thema – wieder einmal – auf den Tisch: Wie soll es mit den verschiedenen Bussen in der Friedrich-Ebert-Straße weitergehen? Was passiert, wenn die Straßenbahn tatsächlich wegfällt und durch Busse ersetzt wird? Welche Folgen hat das für die Anwohner?

Die ans Mikrofon tretende Anwohnerin der Friedrich-Ebert-Straße schildert nochmals die derzeit vorherrschende Situation in „ihrer“ Straße und stellt ihre Fragen an die Stadträte: Warum gibt es keine verbindlichen Aussagen und Festlegungen zum „sofortigen Rückbau der Gleisanlagen und Umbau der Straße mit geräuschminderndem Straßenbelag“? Warum fahren parallel zur S-Bahn drei Buslinien (70, 107 und 108) die Ebert-Straße entlang? Warum kann man diese nicht verschmelzen und so auch Ressourcen und Gelder sparen? (Anm. d. Autors: Eigentlich sind es im südlichen Straßenabschnitt sogar vier Linien, da der von der Energiestraße einbiegende Bus 65 ja auch noch hinzukommt.)

Markkleebergers Oberbürgermeister Karsten Schütze fasst nochmal kurz die auf der Bürgerversammlung diskutierten Punkte zusammen: Natürlich hat die Friedrich-Ebert-Straße bei der Verbesserung des Straßenzustandes Priorität vor allen anderen Straßenabschnitten, „das muss möglichst schnell erfolgen“. Aber eine Vereinbarung über den Gleisrückbau kann mit der LVB erst getroffen werden, wenn das Konzept von allen Stellen bestätigt wurde.“ Jetzt warte man auf die Entscheidung im Kreistag, der im Juli das vorgestellte Nahverkehrskonzept beraten werde. Erst dann könne man planen und darüber informieren, wie und wann der Umbau der Friedrich-Ebert-Straße erfolgen kann.

Schütze selbst hatte einen sehr guten Eindruck von der Informationsveranstaltung am 13. Mai. Er empfand die Atmosphäre als ausgesprochen konstruktiv. Weitere Anregungen und Hinweise seien aufgenommen und ergänzt worden, zum Beispiel, dass die in den Plänen der MDV-Planer eingezeichnete gestrichelte Linie für die Verlängerung der Straßenbahnlinie 11 zum Markkleeberger See „nur eine Vision für die Zukunft“ sei und als Option in die Karte eingezeichnet wurde. Ansonsten sehe er im vorgestellten ÖPNV-Konzept eine enorme Verbesserung für die Markkleeberger.

Markkleebergs OBM Karsten Schütze vor Beginn der Stadtratssitzung. Foto: Patrick Kulow
Markkleebergs OBM Karsten Schütze im Stadtrat. Foto: Patrick Kulow

Die Meinungen der Markkleeberger Fraktionen und Stadträte

Das alles gefällt dem Fraktionsvorsitzenden der Markkleeberger Linken, Prof. Dieter Bormann, so gar nicht. Er drückt sofort auf das Knöpfchen für das Mikrofon und äußert seine Kritik. Viel zu schnell sei die Straßenbahn 9 aufgegeben worden. Der Komfort der Busse lasse sehr zu wünschen übrig. Kinderwagen und Fahrräder hätten in Spitzenzeiten keine Chance. Er findet es auch nicht gut, dass plötzlich wieder die Linie 11 in den Plänen auftaucht. Es gibt nun einmal den Stadtratsbeschluss aus dem Frühjahr 2012, in dem die Mehrheit der Stadträte sich gegen die von der LVB vorgestellte Verlängerung der Linie 11 bis zum Nordufer des Markkleeberger Sees aussprach. Und dieser sei nun einmal bindend. Das neue ÖPNV-Konzept ist „für den Markkleeberger Osten eine Verbesserung, aber für die Menschen in Mitte und West sei das eine Verschlechterung“. In seinen Augen ist es „nicht das Papier wert, auf dem es gedruckt wurde“.

Karsten Schütze versucht nochmal einen sachlichen Weg über die Zahlen. „Die LVB habe für die Linie 9 stationsgenaue Fahrgastzahlen ermittelt. Ein ganzes Quartal lang.“ Und nennt als Beispiel die Endhaltestelle Markkleeberg-West, wo laut LVB zwischen 6 und 7 Uhr durchschnittlich nur 68,6 Fahrgäste pro Stunde befördert werden. Das sind beim existierenden 10-Minuten-Takt nicht einmal 12 Fahrgäste. Für die Wochentage wurden durchschnittliche Fahrgastzahlen von 15,1 Fahrgästen pro Bahn ermittelt, das entspricht einer Auslastung von 9,7 Prozent. Dass das auf Dauer nicht wirtschaftlich sein kann, sei für ihn klar ersichtlich. Schütze ergänzt noch, dass er ja selbst auch zu den Bürgern gehörte, die noch vor wenigen Jahren für den Erhalt der Tram 9 gekämpft haben, damit diese nicht zum Start des neuen S-Bahnnetzes im Dezember 2013 eingestellt werde.

Oliver Fritzsche von der Markkleeberger CDU ist eher darüber verärgert, dass „wir hier bei dieser Aktion nur am Katzentisch sitzen“ und nicht wirklich entscheiden können. Man dürfe die Vorlage ja nur „zur Kenntnis nehmen“. Aber er findet es gut, dass trotzdem hier im Stadtrat darüber diskutiert wird. Zur Straßenbahn 9 fügt er hinzu, dass die Planer die Linie nicht nur für Markkleeberg untersucht haben, sondern auch aus Leipziger Sicht. Im Zusammenhang mit der Linie 11 kritisiert er aber eher die LVB und den MDV, die endlich die unsinnige Tarifgrenze hinter dem Straßenbahnhof Dölitz abschaffen sollen. „Das sei als Überlegung bei der LVB notwendig und nicht die Verlängerung die paar 100 Meter.“ Zur Erklärung: Die zwei Haltestellen der Linie 11 (Virchowstraße und Markkleeberg-Ost/Schillerplatz) liegen außerhalb der Leipziger Zone 110. Für diese kurze Wegstrecke – nur zwei Haltestellen) müssen die Fahrgäste also einen zusätzlichen Fahrschein für eine weitere MDV-Zone kaufen.

Weiterhin erwartet Fritzsche von der LVB, dass diese nach dem Wechsel die Auslastung prüfen, um gegebenenfalls nachsteuern zu können.

Sebastian Bothe aus der SPD-Fraktion sieht im Konzept einen „Quantensprung für Markkleeberg“. Er begrüße die geplante Ost-West-Verbindung mit der Anbindung der Seen und Einkaufsmöglichkeiten außerordentlich. Ein bisschen „Wehmut schwingt natürlich auch mit“ wegen des Wegfalls der Linie 9, aber ihm sei wichtig, „dass die Qualität des Angebots erhalten bleibt“. Er findet, „dass die umliegenden Gemeinden gut mit eingebunden wurden“.

Auch Tommy Penk von den Grünen äußert sich zum neuen vorgestellten ÖPNV-Konzept für die Stadt Markkleeberg und die Region. Er sieht vor allem das erweiterte Netz mit zusätzlich geplanten 15 Haltestellen im Markkleeberger Stadtgebiet als Vorteil. Vor allem an den Wochenenden und in den Abendstunden sei das Angebot eindeutig verbessert worden.

Abstimmung im Markkleeberger Stadtrat. Foto: Patrick Kulow
Abstimmung im Markkleeberger Stadtrat. Foto: Patrick Kulow

“Kenntnis nehmen” und/oder “Umsetzung empfehlen”?

Oberbürgermeister Karsten Schütze will gerade schon die Stadträte bitten, nun von der Vorlage Kenntnis zu nehmen, da melden sich noch einige Stadträte zu Wort. Anne-Katrin Seyfarth und Andreas Hesse (beide CDU) nehmen vor allem am Wortlaut des 1. Absatzes der Beschlussvorlage Anstoß. Darin heißt es: „Der Stadtrat nimmt … zur Kenntnis und empfiehlt die Umsetzung der Vorzugsvariante (Variante 5) …“. Ihre Frage: Wie kann man ein Konzept, mit dem man nicht komplett einverstanden ist, denn empfehlen? „Entweder ich nehme es zur Kenntnis oder ich empfehle es. Aber beides gleichzeitig geht irgendwie nicht.“ Das bringt in den Köpfen der anderen Stadträte wohl Überlegungen zum eigenen Abstimmverhalten in Gang. Wenn ich mit „Nein“ stimme, heißt das dann, dass ich das Konzept zur Kenntnis nehme, aber ablehne und in dieser Form auf keinen Fall zur Beschlussfassung im Kreistag empfehle? Auch Rosemarie Jahn (Die Linke) und Christian Funke (CDU) haben ein ungutes Gefühl und drücken dies klar in ihren Meinungsäußerungen aus. Eigentlich kann man dem Konzept so noch nicht zustimmen, trotz der auch darin enthaltenen guten Leistungen. Aber zuviel ist noch nicht bis zum Ende durchdiskutiert.

Karsten Schütze versucht zu klären. Auch andere Gremien fällen manchmal keine Beschlüsse, sondern zeigen durch ihre Meldung nur ihre Kenntnisnahme an, das sei ganz normal. Die „Abstimmung“, die nur eine Kenntnisnahme ist, sei aber auch ein Signal an die Mitglieder des Kreistags.

Um den Stadträten entgegen zu kommen, versucht Schütze, die Formulierung in der Vorlage zu ändern. Aufgrund der zuvor geführten Diskussion hätten die Stadträte am liebsten den zweiten Teil aus dem Satz „Der Stadtrat nimmt … zur Kenntnis und empfiehlt die Umsetzung der Vorzugsvariante (Variante 5)” gestrichen, dann könnten sie das Konzept einfach nur zur Kenntnis nehmen und nichts empfehlen, bei dem es noch so viel Diskussionsbedarf gibt. Der OBM jedoch macht daraus ein „Der Stadtrat nimmt … zustimmend zur Kenntnis und empfiehlt die Umsetzung der Vorzugsvariante (Variante 5)”. Das trifft den Nerv einiger Stadträte noch weniger, die in manchen Gesichtern zu sehende Verwirrung ist groß. Trotzdem sollen jetzt alle die Hand heben, um das Thema mit der Kenntnisnahme abzuschließen.

Beim Auszählen ergibt sich das folgende Ergebnis: 17 Stadträte stimmen für das Konzept, 5 sind dagegen, 3 enthalten sich der Stimme.

Das vom MDV geplante und vorgestellte ÖPNV-Konzept für die Region wird also nun in der Juli-Kreistagssitzung diskutiert werden.

Kommentar des Autors

Aus Markkleeberger Sicht ist das Konzept wirklich eine enorme Verbesserung des ÖPNV-Angebotes für die Menschen. Die viele Jahre herbeigesehnte, und für die Stadtentwicklung absolut notwendige und wichtige Ost-West-Verbindung könnte endlich realisiert werden. Hinzu kommt eine Ausweitung des Netzes, 15 Haltestellen kommen hinzu, die verstreut liegenden Markkleeberger Ortsteile, die touristischen Ziele (hier vor allem die Seen mit ihren Besucherattraktionen) und die Einkaufsmärkte und -center werden besser erreichbar. Einige Punkte könnten sicherlich nochmal geprüft und ggfs. nachgebessert werden, z.B. die auch in der Bürgerfragestunde genannte und irgendwie unsinnig erscheinende identische Linienführung der Busse 70 und 107 zwischen Leipzig-Connewitz und Markkleeberg-West. Markkleeberg könnte mit seinem gut angebundenen S-Bahnhof das Drehkreuz für den Verkehr im Neuseenland werden. Wenn man das denn in die Köpfe der Menschen hineinkriegt.

Aber schon wenn man aus Leipziger Sicht auf die Planungen schaut, sieht man, wo die Grenzen des Konzeptes sind. Eine schnelle Süd-Anbindung ins Neuseenland wird mit der Einstellung der Straßenbahn gekappt. Nur wenige Leipziger werden bereitwillig den ÖPNV ins Neuseenland nutzen, wenn man drei oder vielleicht vier Umstiege (Bus, Tram, S-Bahn, …) braucht. Das Ganze mit Sack und Pack. Und Kind und Kegel. Jeder Leser möge sich mal mit dem LVB-Netzplan hinsetzen und in Gedanken mögliche Verbindungsszenarien aus dem Leipziger Stadtgebiet heraus durchspielen. Selbst bei Nutzung der schnellen S-Bahn-Verbindung aus Leipzig ins Neuseenland muss man erstmal mit Bus oder Bahn zur S-Bahn-Station hinkommen, in die S-Bahn umsteigen und in Markkleeberg einen weiteren Anschlussbus (einen der neuen, alle 30 Minuten fahrenden Seen-Zubringer) erwischen, der einen zum See bringt. Das kann bei ungünstig geplanten Taktzeiten und Anschlüssen schon mal anderthalb bis zwei Stunden oder noch länger dauern. Attraktiv genug? Wohl kaum. Attraktiv heißt: Reinsetzen, ein günstiges Ticket kaufen (Wo ist das Neuseenlandticket?) und mit möglichst wenig Aufwand und Umstiege in fußläufige Entfernung zum Ziel gelangen. – Alternativen gibt es: Man nimmt das Auto. So einfach ist das – aus Sicht der Autofahrer. Kein Laufen zur Haltestelle, keine Wartezeiten, kein Umsteigen, und für 2 oder 3 Personen oft schon preislich günstiger als die Öffentlichen.

Dem Kreistag steht also im Juli eine wichtige Entscheidung bevor. Viele Fragen sind noch zu klären: Sind alle Voraussetzungen vorhanden, dass das neue Konzept im Dezember starten kann? Sind genügend Fahrzeuge vorhanden oder müssen noch Busse angeschafft werden, um den größeren Bedarf an Fahrzeugen zu decken? Wie und von wem werden diese finanziert? Werden dies Elektrobusse sein? Welche Chancen würde eine veränderte Linienführung der Straßenbahn 9 für das Neuseenland bieten? Wurde diese Variante auf ihre Potenziale untersucht? Welche Folgen hat die Einstellung der Linie 9 für die Besucher des Wildparks? Mit welchen negativen Auswirkungen müssen die Markkleeberger rechnen, da Busse erfahrungsgemäß öfter als Straßenbahnen Verspätung haben? Wurden in der vom MDV aufgestellten Kostenrechnung für das neue „Bus-Konzept“ die langfristigen Aufwendungen für notwendige Straßeninstandsetzungen – aufgrund der veränderten Abnutzung der Straßen durch die Busse – mit berücksichtigt? Mit welchen finanziellen Mitteln muss die Region ausgestattet werden, um ein attraktives ÖPNV-Angebot für seine Bewohner aufrecht zu erhalten?

Wünsche an die Mitglieder des Kreistags

Die Markkleeberger Stadträte haben heute mit der Diskussion und ihrem Abstimmverhalten gezeigt, dass sie gern mehr Möglichkeiten der Mitbestimmung und weiteren Mitgestaltung gehabt hätten. Die vielen von den Stadträten angebrachten Kritikpunkte hätten heute – wenn es tatsächlich eine Abstimmung und nicht nur eine Kenntnisnahme gewesen wäre – eher eine Ablehnung des vorgelegten Konzeptes gebracht, die Vorlage wäre wohl nie abschließend positiv votiert worden. Jetzt sieht das Ergebnis ein wenig so aus, als ob alles in Ordnung wäre, mehrheitlich war man ja dafür. Man empfiehlt also dem Kreistag die vorgelegte Variante. Aber was bedeutet es, wenn fünf Stadträte gegen eine Kenntnisnahme stimmen und sich drei der Stimme enthalten? Wie muss man das bewerten?

Hoffen wir, dass viele Mitglieder des Kreistags bis zum 8. Juli genügend Zeit haben werden, sich ausführlich mit dem Konzept zu beschäftigen. Und schlaue Fragen an die Verantwortlichen zu stellen. Und vielleicht schaffen es einige, sich im Kopf von Zonen-, Tarif- und Stadtgrenzen zu lösen. Dann könnte das Konzept wirklich eine „Sensation für Markkleeberg und die Region“ (Ron Böhme, Fachbereichsleiter Verkehrsplanung beim MDV) oder ein „Paradigmenwechsel im ÖPNV“ (MDV-Geschäftsführer Steffen Lehmann) werden. Die Chance besteht. Wenn auch vielleicht noch nicht mit einem übereilten Start im Dezember 2015, sondern dann, wenn alle Fragen geklärt werden konnten. Ein halbes Jahr für die Planung und Umsetzung ist vielleicht zu ehrgeizig.

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Keine Kommentare bisher

Einiges ist schon gesagt worden. Und dass man sich ueber den unseligen Beschluss gegen die Verlaengerung der 11 doch ein bisschen aergert, geschieht dem Stadtrat zu Markkleeberg zu Recht. Selbst schuld.

Was die Anbindung aus Leipzig angeht, liegt der Kommentator absolut recht. Im Moment muss man eigentlich immer ein Fahrrad mitnehmen, damit man in Markkleeberg irgendwo mal hinkommt.
Zum Cospudener See habe ich schon viele Varianten ausprobiert, um aus dem Leipziger Zentrum hinzukommen (Linie 9 oder Linie 3/65 oder oder), aber das ist jedesmal furchtbar zeitraubend und macht in der Sommerhitze gar keinen Spass. Fahrradfahren ist zwar sehr schoen, aber es ist schon eine (ab Sachsenbruecke) recht lange Strecke durch den Wald und durch den Equipagenweg, die irgendwann (vor allem fuer die Rueckfahrt nach Leipzig rein) nur noch nervt.

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