Was kann man eigentlich noch tun, wenn ein Flughafen wie der zwischen Leipzig und Halle seit acht Jahren die Festlegungen aus dem Planfeststellungsbeschluss nicht einhält und keine Anstalten macht, die Lärmbelastung tatsächlich nachhaltig zu senken? 2015 fanden die Grünen im Sächsischen Landtag: Dann hilft nur noch die radikale Lösung. Erwartbares Ergebnis: CDU und SPD lehnen das ab.

Im Mai 2015 legten die Grünen ihren Antrag „Fluglärm am Flughafen Leipzig-Halle reduzieren – Nachtruhe durchsetzen!“ vor. Im November gab es die Sachverständigenanhörung. Jetzt hat der Umweltausschuss des Sächsischen Landtags am  Freitag, 4. März, den Antrag der Grünen abgelehnt. In dem Antrag forderte die Grüne-Fraktion ein generelles und rechtssicheres Nachtflugverbot zwischen 22 und 6 Uhr sowie verschärfte lärm- und verbrauchsabhängige Start- und Landeentgelte.

Scharf genug, um auch bei der CDU eine gewisse Lebendigkeit auszulösen: Sie lehnte flugs ab. Mit Verweis auf das, was überhaupt nicht zur Debatte stünde, gäbe es am Flughafen Leipzig/Halle auch nur den spürbaren Versuch, die Lärmbelastung in der Nacht für die Anwohner deutlich zu senken.

Der Verkehrspolitische Sprecher der CDU-Fraktion im Sächsischen Landtag, Andreas Nowak, sagt zu der flotten Entscheidung: „Damit sind die 3.000 Jobs bei DHL gesichert. Ein Nachtflugverbot hätte eine Schließung des Standortes zur Folge gehabt, weil die Geschäftsgrundlage weggefallen wäre.“

Auf das Thema ging übrigens Markus Otto, Geschäftsführer der European Air Transport Leipzig GmbH, in seinem Vortrag in der Anhörung ein. Denn dass DHL und andere Logistiker unbedingt die Nacht zum Starten und Landen brauchen, hat mit dem „Nachtsprung“ zu tun.

Markus Otto: „Ich werde jetzt nicht konkret auf den sogenannten Nachtsprung eingehen. Sie können hier beispielhaft sehen, was wir jede Nacht tun. Die Sonne ermöglicht uns, am Abend in Asien Waren entgegenzunehmen, sie dann mit der Sonne fliegend in der gleichen Nacht noch nach Leipzig zu bringen, sie in der Nacht in Leipzig/Halle umzuschlagen und am nächsten Morgen überall in Europa anbieten zu können. Das, meine Damen und Herren, machen wir: Wir transportieren Waren von Asien über Nacht nach Leipzig und verteilen sie in ganz Europa mit einer garantierten Zustellmöglichkeit um 09:00 Uhr Lokalzeit. Das ist der Herzschlag, um den es geht, und das ist es, weswegen wir dieses Netz haben. Sie sehen sehr deutlich: Sollten wir dem Antrag folgen, im Kern ein generelles Nachtflugverbot in Sachsen einzuführen, wäre die gestrichelte Linie, die Sie auf dem Chart sehen können, weg. Das würde bedeuten, wir wären nicht in der Lage, mit diesem Flugzeug hier zu landen, und dementsprechend wäre auch das Konzept so nicht durchführbar.“

Eigentlich wäre die Frage: Wie kann man den Nachtflugbetrieb so organisieren, dass  die Lärmbelastung für die Anwohner trotzdem deutlich gesenkt wird?

Ein Thema, auf das Andreas Nowak gar nicht erst einging. Ihm war das Wichtigste, DHL zu retten. „Das Unternehmen bietet sowohl hochwertige Arbeitsplätze in Flugzeugwartung, Betrieb und Management. Andererseits wurden auch sehr viele Jobs für geringer qualifizierte Menschen geschaffen.“ Viele der Arbeitnehmer hätten vor DHL keine oder sehr schlechte Chancen am Arbeitsmarkt. Es sei gute Politik der CDU, sich auch um die kleinen Leute zu kümmern.

Und dann?

Die kleinen Leute wohnen auch in den Überflugzonen des Flughafens.

Aber in der Anhörung kam auch die NORAH-Studie mehrfach aus Sicht unterschiedlicher Referenten auf den Tisch. Tatsächlich hat sie gezeigt, dass vor allem Fluglärm gesundheitsbelastend ist.

Anja Wollert, Geschäftsführerin der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Fluglärmkommissionen: „Folgendes zieht sich durch mehrere Auswertungen – das bezieht sich auch auf nächtlichen Fluglärm: Wenn man einen Dauerschalllärm geringer als 40 dB (A) hat, also relativ ruhig, könnte man sagen, aber dann als Einzelschallpegel Maximalpegel von mehr als 50 dB (A) auftreten, erhöht sich das Herzinfarktrisiko wieder statistisch signifikant. Das sehen die Wissenschaftler als Hinweis dafür, dass der Dauerschallpegel nicht das alleinige Maß sein kann. Dazu gibt es den typischen Satz: ‚Ich höre nicht den Dauerschallpegel, ich höre das einzelne Flugereignis, und von dem werde ich wach. Ich werde nicht von gemittelten Werten wach.‘“

Nicht der Dauerschallpegel reißt die Menschen aus dem Schlaf, sondern der einzelne startende Flieger.

„Dass die Abgeordneten von CDU und SPD unseren Antrag ablehnen, ist ein Armutszeugnis. Sie lassen die lärmgeplagten Menschen in der Region Leipzig/Halle weiter allein. Das ist feige und ein Kotau vor DHL. Die Expertenanhörung im Ausschuss im November hatte deutlich gezeigt, dass Handlungsbedarf besteht und vor allem das Land Sachsen großen Gestaltungsspielraum hat“, kommentiert jetzt Wolfram Günther, umweltpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion, die Entscheidung im Umweltausschuss. „Uns geht es um einen fairen Ausgleich der sich widerstreitenden wirtschaftlichen Interessen des Flughafens und den Interessen der lärmgeplagten Anwohner. Unser Antrag betrifft weder den Passagierverkehr, noch stellt er den Flughafen generell infrage. Im Fokus steht der nächtliche Luftfrachtbetrieb.“

Der übrigens nicht so zwingend in der Nachtkernzeit passieren muss, wie die Logistiker beteuerten. Denn auch in Asien oder den USA lassen sich Start- und Landefenster um die nötigen Stunden verschieben, um eine flugfreie Zeit in Leipzig in der Nacht zu organisieren. Vorbild wäre die Lösung in Frankfurt am Main.

„Wir wollen, dass die Belange der Anwohnerinnen und Anwohner endlich angemessen berücksichtigt werden. Eine tatsächliche Entlastung und damit ein spürbarer Beitrag für den Gesundheitsschutz der Menschen rund um den Flughafen ist nur mit einem Ende der Nachtflüge im Frachtbetrieb zu haben. Die Staatsregierung als Vertreterin des Freistaates Sachsen, Hauptgesellschafterin der Mitteldeutschen Flughafen AG und Gesellschafterin der Flughafen Leipzig/Halle GmbH, ist in der Lage, ein solches Verbot durchzusetzen“, benennt Günther die angestrebte Maximallösung.

Sogar eine Teillösung hätte die Grünen gefreut. Etwa die nach saftigen Startgebühren für die wirklich lauten Flugzeuge.

„Ich hatte erwartet, dass CDU und SPD wenigstens unserer Forderung nach deutlich verschärften lärm- und verbrauchsabhängigen Start- und Landeentgelten am Flughafen Leipzig-Halle als finanziellem Anreiz für Lärmschutz zustimmen. Doch selbst diese Chance wurde verpasst“, fasst sich Günther an den Kopf. Womit man nach der Sitzung des Umweltausschusses dasselbe Jammerbild hat wie zuvor: Die Generallösung wird genauso wenig akzeptiert wie Teillösungen, die schon einmal eine spürbare Lärmverminderung bringen könnten.

„Der Flughafen hat aktuell sehr niedrige Start- und Landegebühren, speziell für Nachtflüge und hier insbesondere für besonders laute Flugzeuge. Wenn das nicht verändert wird, bleibt Leipzig im bundesweiten Flughafendumpingwettbewerb ‚der billige Jakob‘“, sagt Günther. „Wir sehen die Staatsregierung in der Pflicht, endlich im Interesse zehntausender lärmgeplagter Bürgerinnen und Bürger zu handeln. Durch den derzeitigen Nachtbetrieb des Flughafens Leipzig/Halle nimmt ihre Gesundheit zugunsten einzelner Unternehmen wie DHL einen enormen Schaden.“

Und dann sind da auch die Falschbehauptungen aus der Anhörung im November, die Auflagen des Planfeststellungsbeschlusses würden eingehalten.

Was schlicht nicht zutrifft. Aber so richtig will auch Verkehrsminister Martin Dulig nicht an das Thema, stellt Günther fest: „Gern erinnere ich die SPD und speziell Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) an sein Versprechen vor der Wahl, sich ‚dafür einzusetzen, dass die Auflagen des Planfeststellungsbeschlusses für den Betrieb des Leipziger Flughafens zeitnah umgesetzt werden‘. Selbst diese Minimalzusage hat er offensichtlich vergessen. Jahrelange massive Proteste von betroffenen Bürgerinnen und Bürgern hat auch diese Staatsregierung bisher kontinuierlich ignoriert. Es wird dringend Zeit, dies zu ändern.“

Die Frage ist nur: Wie, wenn selbst die politisch zuständigen Gremien sich wegducken?

Der Grünen-Antrag „Fluglärm am Flughafen Leipzig-Halle reduzieren – Nachtruhe durchsetzen“ (Drs. 6/1756)

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Es gibt 6 Kommentare

Ah, vielen Dank, Olaf, für die Aufklärung bzgl der Eingaben (man hört ja immer so tolle ostalgische Geschichten)!

Vielen Dank auch für den Hinweis auf die Lücken, die es in der anscheinend doch nicht so “lückenlos automatisierten” Verwaltungsstruktur gibt. Dass es neben dem oft genug überschrittenen Ermessensspielraum (kein enges “pflichtgemäßes Ermessen”, sondern bereits ein nach Geschmackt&Lust des Amtsleiters ausgeübtes “freies” Ermessen) noch soviel Spielraum gibt, so dass kleine und weniger kleine Verwaltungsleute nach Gutdünken ihre Privatpolitik durchführen können, statt sich nach preußischer Art dem Gemeinwesen verpflichtet zu fühlen.

Trotz gegenteiliger Beteuerungen vergessen die Amtsleiter, namentlich die des Verkehrs- und des Ordnungsamts, sehr gerne, dass sie *nur* im Auftrag des Stadtrats zu handeln haben. Lieber unterlaufen sie fortwährend gültige Stadtratsbeschlüsse.

Für eine “Eingabe” gab es keinerlei rechtliche Grundlage. Deshalb wurde diese “behandelt” – oder auch nicht. Und wenn sie “behandelt” wurde, es für die “Behandlung” jedoch keine rechtliche Grundlage gab, konnte jede “Behandlung” nur willkürlich sein.

Heute gibt es für jegliches Verwaltungshandeln eine Rechtsgrundlage. Auf dieser Grundlage kann man sich gegen das Verwaltungshandeln wehren. Bis zum jüngsten Tag – oder das Geld alle ist. Auf Beides scheint “die” Verwaltung zu spekulieren. Was am Ende auch auf Willkür hinaus läuft.
Manchmal gibt es noch nicht mal eine Rechtsgrundlage für Verwaltungshandeln. Für die Bildung einer “Steuerungsgruppe Neuseenland” zum Beispiel. Oder die “Erklärung der Schiffbarkeit” (für die es zwar ein Gesetz gibt, für das es seinerseits an einer rechtlich zulässigen Begründung mangelt). So daß Verwaltungshandeln an dieser Stelle auch willkürlich wird.

Während gerade draußen auf dem Augustusplatz ein Polizeifahrzeug widerrechtlich auf gesperrten Flächen herumkurvt (wahrscheinlich kämmt sich ein Bunthaariger seine Frisur)…

>Gibt es denn keinerlei Rechtsmittel gegen die Nichteinhaltung von PFB?

Scheinbar nicht. Gegen Verwaltungshandeln gibt es keine Rechtsmittel, solange es nicht konkrete Personen betrifft (diese könnten ja dann Widerspruch einlegen). Darüber wundere ich mich schon seit Jahren.

Fast habe ich den Eindruck, dass das Eingabewesen in der DDR nicht unbedingt das Schlechteste war.

(Allein schon deshalb, dass dies schon in den 1990ern von den eingeflogenen “West”-Verwaltungsleuten als unsäglich “kritisiert” wurde – so schlecht kann’s wohl nicht gewesen sein…)

Ich verstehe nicht, warum sich bei solch dargestelltem Verhalten die SPD und die CDU über die niedrigen Wahlergebnisse sowie die Abwanderung zu anderen Parteien wundern. Man hat als Einwohner den Eindruck, es wird durch die verantwortlichen Politiker nicht mal der Versuch unternommen, die dargestellte Situation zu verändern und bessere Gesundheitsbedingungen für die Einwohner zu schaffen. Dabei wäre dies logistisch durchaus möglich.

Lösungen für die Bürger, die unter dem Lärm leiden und das sind nicht wenige, sind für CDU und SPD kein Thema.
Es ist widerlich geworden, in dieser Stadt.

Und wieder einmal:
DARUM haben die Bürger keine Lust mehr an der Politik, sagen “die da oben” und werden zum großen Teil Nichtwähler.
Weil Politik nur noch für bestimmtes Klientel gemacht wird.
Es ist so armselig und peinlich – bringt mich aber zur Verzweiflung, weil wir – eine aufgeklärte und weit entwickelte Gesellschaft – uns selber abwickeln!

Mir ist es sch….egal, ob ein Paket 1 oder 2 Tage braucht. Keiner benötigt diese Geschwindigkeit.
Gibt es denn keinerlei Rechtsmittel gegen die Nichteinhaltung von PFB?

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