Wenn schon die Kommunen rund um den Flughafen selbst nicht kämpfen oder nur mit angezogener Handbremse, dann müssen die Bürger selbst ihre Anträge an die Fluglärmkommission des Flughafens Leipzig/Halle stellen. Dachte sich zumindest Thomas Pohl, der in Rackwitz selbst erlebt, wie es ist, wenn eigentlich niemand Rücksicht darauf nimmt, wann, wo und wie laut in der Nacht die Flugzeuge fliegen.

Er hat erst mal bei Manfred Heumos angerufen, dem nun schon langjährigen Vorsitzenden der Fluglärmkommission. Der habe ihm wohl zugesichert, dass seine Anträge auf die Tagesordnung bei der nächsten Sitzung der Fluglärmkommission kommen. Aber offiziell dafür sorgen, dass sie da auch hinkommen, muss ein offizielles Mitglied der Fluglärmkommission. Deswegen hat er jetzt noch ein bisschen Druck gemacht beim Landkreis Nordsachsen, zu dem die 4.900-Einwohner-Gemeinde-Rackwitz gehört.

Rackwitz ist eigentlich ein idyllisches Stückchen Erde, direkt am Schladitzer See gelegen, im Süden grenzt Leipzig an. Aber dumm nur: Die Gemeinde liegt direkt in der östlichen Einflugschneise des Flughafens Leipzig-Halle. Jede Änderung bei den Flugbahnen der startenden und landenden Flugzeuge wirkt sich hier aus. Und seit ungefähr einem Jahr leidet die Gemeinde in der Nacht besonders, denn nachdem acht Jahre lang allein die „Kurze Südabkurvung“ viele Bewohner des Leipziger Nordwestens verärgert hat, sorgt seit Monaten eine frisch aufgelegte „Kurze Nordabkurvung“ für schlaflose Nächte in Rackwitz und Teilen des Leipziger Nordens. Die startenden Flieger fliegen nicht mehr im Steigflug geradeaus und tangieren die Gemeinde Rackwitz nur, sie biegen jetzt gleich nach dem Start in östlicher Richtung direkt nach Norden ab.

Das Ergebnis: Verstärkter Lärmdruck direkt über Rackwitz. Es gibt zwar eine reguläre Station im Messnetz rund um den Flughafen in Rackwitz, Hauptstraße 11. Aber die liegt eigentlich direkt in der Einflugschneise der Nordbahn, nicht die der Südbahn, wo 99 Prozent aller nächtlichen Flüge registriert werden.

Thomas Pohl, der auch als Gemeinderat in Rackwitz tätig ist, beantragt deshalb zwei zusätzliche Messstationen. Eine im südlichen Ortsteil von Rackwitz, in Podelwitz, der direkt in der Einflugschneise der Startbahn Süd liegt, und eine in Hayna, das zwar zu Schkeuditz gehört, aber genauso in der östlichen Einflugschneise der Startbahn Süd liegt.

„Der Flughafen Leipzig/Halle betreibt zwar eine vom Gesetzgeber her vorgeschriebene Fluglärmmessanlage. Diese besteht aber lediglich aus zehn stationären Fluglärmmessstellen. Damit ist eine flächendeckende Überwachung des tatsächlich stattfindenden Fluglärms, insbesondere in der Nacht, seit Jahren nicht gewährleistet“, stellt Pohl deshalb fest. „Obwohl bei Wetterlagen mit westlichen Windrichtungen für Landungen in der Nacht zu nahezu 100 % die Start- und Landebahn (SLB) Süd genutzt wird, verfügt der Flughafen lediglich über eine vom Flughafen weit entfernte stationäre Fluglärmmessstation in Leipzig/Hohenheida. Dieser Ort befindet sich etwa 18 Kilometer vom Flughafen entfernt. Die Ortschaft Podelwitz der Gemeinde Rackwitz liegt mit einer Entfernung von etwa 8 Kilometern bedeutend näher am Flughafen und auch in direkter Lage unter der Einflugschneise der SLB Süd. Die Flugzeuge fliegen in Podelwitz im Landeanflug längst im ‚Trichter’ und sind insgesamt auch hörbar tiefer als in Hohenheida. Bei Windrichtung Ost wird die SLB Süd ebenfalls fast ausschließlich für Starts der Frachtflugzeuge genutzt. Auch bei dieser Windrichtung herrscht in Rackwitz/Podelwitz extremer Fluglärm mit Spitzenschallpegeln von über 80 dB(A).“

Und drüben in Hayna wird zwar gemessen – aber die Messungen gehören nicht zum offiziellen Messsystem des Flughafens: „In Schkeuditz/Hayna wird eine private Lärmmessstation des Deutschen Fluglärmdienstes (DFLD) betrieben. Sie wird regelmäßig von Fachleuten kalibriert. Nicht selten zeigt die Lärmmessstation bei Frachtflugzeugen, die in der Nacht starten, Spitzenschallpegel von über 90 dB(A) an. Die Messstation steht über einem Wohnhaus! Umso wichtiger und auch um die Messwerte vergleichbarer zu machen, ist die Errichtung einer zusätzlichen stationären flughafeneigenen Lärmmessstation in Schkeuditz/Hayna dringend notwendig!“

Logisch, dass sich auch die anderen Anträge um das Thema drehen. In einem beantragt Pohl Untersuchungen zur Belastung der Region mit gesundheitsgefährlichem Ultrafeinstaub, in einem anderen die Einführung des Fluglärminformationstools „TraVis“, mit dem auch die Anwohner jederzeit über Flugbewegungen und Lärmpegel informiert werden können.

Und im vierten Antrag steht dann der Wunsch, den Betrieb der nur aus Zeitersparnis für die Frachtflieger eingeführten „Kurzen Nordabkurvung“ im Nachtflugbetrieb zu untersagen.

„Auch bei Windrichtung Ost starten die Fracht- und Militärflugzeuge nahezu zu 100 % von der Start- und Landebahn (SLB) Süd. Eine nicht unerhebliche Anzahl von Frachtmaschinen fliegt kurz nach dem Start von der SLB Süd in östliche Richtung über die Einflugschneise der Nordbahn in Richtung Norden weiter. Damit wird ein unabhängiger Parallelbahnbetrieb (eigentliches Ziel des Ausbaus des Flughafens, d.A.) von vornherein ausgeschlossen“, stellt Pohl fest. “Bei der kurzen östlichen Nordabkurvung handelt es sich um eine Abflugroute, die die FLK im Prozess der sogenannten ‚Optimierung von An- und Abflugverfahren‘ als alternative Abflugroute zur Fluglärmreduzierung des Überfluglärms im Bereich Radefeld und Hayna eingefordert hat.“

Aber wirklich durchdacht hat man den Vorgang in der Fluglärmkommission nicht. Oder man hat wieder etwas als Schallschutzmaßnahme verkauft, was in Wirklichkeit den Frachtflugbetreibern Geld und Zeit ersparen sollte.

Thomas Pohl: „Heute zeigt sich, dass sich der Nachtfluglärm im Bereich Radefeld und Hayna nicht wesentlich verringert hat; es werden jetzt nachts noch andere Gebiete zusätzlich verlärmt. Die kurzen Nordabkurvungen sind besonders lärmintensiv, da startende Frachtflugzeuge mit vollem Schub ein großes Gebiet beim Eindrehen in niedriger Höhe überfliegen. – Alle Frachtflugzeugtypen können nachts diese kurze östliche Nordabkurvung fliegen und tun es auch, egal ob es die Antonow 124-100 sind oder die besonders unerträglich lauten Boeing 747-400 der amerikanischen Frachtfluggesellschaft Kalitta-Air oder aber auch die A300-600 von DHL und anderen Frachtfluggesellschaften. Diese Abflugroute wird bei Windrichtung Ost mittlerweile außerordentlich oft genutzt. In der Woche fliegt fast jedes dritte Frachtflugzeug so gen Norden ab.“

Ein Vorgang, der im Grunde komplett den Vorgängen um die „Kurze Südabkurvung“ gleicht.

„Diese Abflugroute bringt aber nicht nur für die Bewohner der Gemeinde Rackwitz mit dem Neubaugebiet Neu-Schladitz und auch in Lemsel erheblich mehr zusätzlichen Nachtfluglärm, nein, diese eine von drei Abflugrouten führt auch noch genau über das Europäische Vogelschutzgebiet am Werbeliner See (SPA-Gebiet, EU-Nr. DE 4439-452)“, stellt Pohl fest. „Diese Abflugrouten verstoßen gegen europäische Richtlinien für die Arterhaltung des an die EU gemeldeten Vogelschutzgebiets. Nicht nur die geschützten Vögel, sondern auch zehntausende Flughafenanwohner werden durch den Fluglärm nachts startender Boeing 747-400 im Tiefflug ganz erheblich in ihrem Lebensumfeld gestört.“

Und nun ist wieder die Frage: Erweisen sich die Mitglieder der Fluglärmkommission auch hier beratungsresistent und setzen darauf, dass erst wieder gegen die kurze Abkurvung geklagt werden muss und die Sache sich über Jahre durch die Gerichtsinstanzen zieht?

Der 1. Antrag zur Einrichtung zweier neuer Messstationen.

Der 2. Antrag zur Einführung des Fluglärminfomationstool „TraVis“.

Der 3. Antrag zur Untersuchung auf Ultrafeinstaub.

Der 4. Antrag zur Abschaffung der „Kurzen Nordabkurvung“.

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