Am heutigen Mittwoch, 6. Juli, findet um 14 Uhr am Werbeliner See eine Solidaritätsbekundung der Oberbürgermeister und Bürgermeister von Schkeuditz, Rackwitz, Wiedemar und Löbnitz mit Delitzsch statt. Hintergrund ist die geplante Unterschutzstellung des Gebiets am Werbeliner See als Naturschutzgebiet. Protestiert wird am Nordostufer, dem Delitzsch am nächsten gelegenen Ufer des Bergbaufolgesees.

Der Streit schwelt schon seit Jahren. Von 1998 bis 2010 wurde der See geflutet und hat sich in dieser Zeit zu einem Rückzugsrefugium für zahlreiche Wasservögel entwickelt. 2006 wurde er zum Vogelschutzgebiet erklärt. Und jetzt arbeitet die Untere Naturschutzbehörde des Landkreises Nordsachsen daran, den ganzen See unter Naturschutz zu stellen. Schon die Unterschutzstellung als Vogelschutzgebiet wurde seinerzeit mit skeptischen Kommentaren aus Delitzsch begleitet. Für die Delitzscher spielt der See seit 2004 ungefähr dieselbe Rolle, wie der Cospudener See für die Leipziger. Seit 2004 baden sie hier. Oft genug an Stellen, die eigentlich mitten im Vogelbrutgebiet liegen. Ein 12,5 Kilometer langer Rundweg führt um den See.

Ein typischer Fall für die neu entstehenden Seen im Leipziger Neuseenland: Die Ansprüche und Nutzungen kollidieren miteinander. Für die Naturschützer ist der See ein echtes Vogelparadies geworden.

„Der Werbeliner See mit seinem angrenzenden süd- und östlichen Umfeld ist mit Abschluss seiner Flutung zu einem bedeutsamen Rastgebiet zahlreicher Wasservögel, mit teilweise bis zu 20.000 Tieren, und zu einem ebenso einzigartigen Brutgebiet einer Vielzahl geschützter und seltener Vögel geworden“, schreiben Lothar Eissmann und Frank W. Junge in ihrem Buch „Das Mitteldeutsche Seenland. Der Norden“. „Mehr als 38 Vogelarten mit Schutzstatus sind hier heimisch, darunter solche wie Schwarzkopfmöwe, Rot- und Schwarzhalstaucher, Flussregenpfeifer, Lach-, Silber- und Sturmmöwe, Brandgans, um nur einige zu nennen.“

Ein Vogelparadies.

Und das ist den Bewohnern des Landkreises Nordsachsen mehrheitlich sogar bewusst und wichtig, wie die Umfrage zum Leipziger Neuseenland 2014 ergab: Für kein anderes Gewässer im Neuseenland waren die Aussagen, das Gewässer möge naturbelassen bleiben (31 Prozent) bzw. „naturnah“ bleiben (28 Prozent) so hoch. Auf ähnlich hohe Werte kamen nur noch der Zwochauer und der Grabschützer See – beide westlich des Werbeliner Sees gelegen.

Doch es ist auch wie im Leipziger Südraum: Jeder See weckt Begehrlichkeiten. Und am Werbeliner See wird eben auch da und dort recht wild gebadet, obwohl man um die geschützten Bereiche weiß. Und auch in Delitzsch gibt es die emsigen Unternehmer, die die Attraktion des Sees gern nutzen möchten, um zu partizipieren.

Delitzsch selbst hätte gern einen klar definierten Badebereich geschaffen. Denn wenn man die wilde Nutzung einschränken möchte, helfen keine Verbote. Dann muss man klare Angebote machen, die auch die wirklich sensiblen Bereiche des Sees ausklammern. Es ist wie so oft – alles oder nichts oder doch lieber einen klugen Kompromiss finden, wenn man Menschen nun doch einmal nicht ändern kann?

Im Juni hat die Stadt Delitzsch eine eigene „Delitzscher Erklärung“ veröffentlicht, in der sie unter anderem für eigene Projekte am See wirbt, die seit 2010 verfolgt werden, seit die Stadt sich auch ein Grundstück am See gesichert hat: „Auch lediglich für die Errichtung und Nutzung einer Bademöglichkeit am Brodauer Zinken, für die es eine seitens der Stadt Delitzsch vorgelegte positive Verträglichkeitsstudie gibt, stellte die UNB keine Genehmigungsfähigkeit in Aussicht. Was anderen Ortes in Deutschland auch angesichts eines bestehenden Vogelschutzgebietes möglich ist, soll den Delitzscher Einwohnern und seinen Gästen verwehrt bleiben.“

UNB ist die Untere Naturschutzbehörde des Landkreises.

Die Schwierigkeiten entstehen auch, weil man sich in den vergangenen Jahren durchaus nicht einig war, welche Strategien im Leipziger Neuseenland eigentlich gelten sollen.

In der „Delitzscher Erklärung“ klingt das so: „Der Stadt Delitzsch wurden ungeachtet dessen zum damaligen Zeitpunkt durch übergeordnete Behörden und Institutionen touristische Nutzungs- und Entwicklungsmöglichkeiten am Werbeliner See in Aussicht gestellt. So wurde seitens der Lausitzer und Mitteldeutsche Bergbau-Verwaltungsgesellschaft mbH (LMBV) 2007 eine Machbarkeitsstudie beauftragt, die im Ergebnis feststellte, dass eine verträgliche touristische Nutzung am Werbeliner See sowie eine reglementierte Gewässernutzung möglich sind. Ähnliche Aussagen finden sich auch in den vom Regionalen Planungsverband Leipzig-Westsachsen herausgegebenen Seenkatalogen bis 2010.“

Doch so Manches, was noch vor 15 Jahren als Konzeption für die Seenentwicklung im Neuseenland galt, ist mittlerweile umgeworfen. So manche Bürgermeister wünschen sich auf „ihrem“ ureigensten See vor der Tür möglichst alle Nutzungen, die sich denken lassen, mit möglichst viel (touristischem) Rummel und entsprechenden Umsätzen bei den Firmen am See. Der Kampf um ein kleines bisschen wirtschaftlichen Effekt vermengt sich mit dem Glauben, dass eine Seenlandschaft mit vielen solcher Angebote auch attraktiv ist.

Die Frage ist nur: Wer sitzt in Delitzsch am längeren Hebel? Denn die Neuseenland-Umfrage von 2014 ergab, dass die jüngeren Einwohner des Landkreises sich einen naturbelassenen/naturnahen Werbeliner See mit 61 Prozent noch stärker wünschen als die Senioren mit 53 Prozent. Man kann – wenn man dem Drängen nach wirtschaftlicher Nutzung zu sehr nachgibt – auch alle Chancen verspielen, direkt vor den Toren von Delitzsch ein unverwechselbares Naturparadies zu erhalten, das auf völlig andere Art als die übernutzten Seen im Leipziger Südraum Neugierige und Wissbegierige anzieht.

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“Was macht man, wenn man Menschen nicht ändern kann?”

Diese Fragestellung unterstellt, das die Menschen baden gehen – ob sie es dürfen oder nicht.
Das machen sie allerdings auch nach Ausweisung eines Naturschutzgebietes . Im wilden Osten kontrolliert solche Verbote nämlich niemand.

Unabhängig davon: Diese Menschen sind diejenigen, die vor Ort leben.
Das sind aber nicht diejenigen, für die diese provinziellen Kleingeister protestieren. Die meinen nämlich Touristen. Auf diese zielen die diversen Machbarkeitsstudien. Touristen sind auch das Ziel der überregionalen Entscheidungsträger. Tourisiten wiederum sollen Geld in die Region bringen. Geld, das sich die diversen Immobilien- und touristischen Unternehmen quasi schon eingesteckt haben. Oder Privatiers, die einfach nur mit viel Kohle hierher gekommen sind und nun ihre privaten Interessn ausleben wollen.
Dann sollen es diese “Interessenvertreter” auch so offen sagen und nicht die Einwohner verbrämt vorschieben und damit zu Instrument von Politiker- und “Investoren”interessen machen, vor deren Karren sich diese Bürgermeister gerade selbst gespannt haben.

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