Da tut sich was. Nicht nur in Leipzig. Politik und Leben der Bürger driften immer mehr auseinander. Aber nicht alles lassen sich die Bürger gefallen. Und dann kommt es in den sonst selten mutigen Parlamenten des Landes Sachsens auch mal zu Überraschungen. So wie am Mittwoch, 14. Juni, im Kreistag des Landkreises Leipzig in Borna. Da stand ein Antrag der Unabhängigen Wählervereinigung (UWV)/FREIE WÄHLER zur gebührenfreien Kita auf der Tagesordnung.

Und das Erstaunliche, selbst aus Leipziger Sicht: Der Kreistag des Landkreises Leipzig hat den Antrag mehrheitlich beschlossen. Die UWV/FW fordert in ihrem Antrag die Übernahme der Elternbeiträge für Krippen- und Kita-Plätze durch den Freistaat und beauftragt den Landrat, dies bei der Landesregierung einzufordern.

„Bildung muss kostenfrei sein und fängt schon in der Krippe an“, betont der stellvertretende Landesvorsitzende der FREIEN WÄHLER Sachsen, Jens Spiske, der für die UWV im Kreistag sitzt.

Kinder sind das Thema der Zukunft. Und nicht nur in Leipzig haben Eltern und Kommune zu schleppen an den immer weiter steigenden Kita-Kosten, während die Sächsische Regierung seit 2006 ihre Beiträge gedrosselt hat und nur eher zaghafte Verbesserungen im Betreuungsschlüssel debattiert. Statt das Thema tatsächlich einmal im Sinn der jungen Familien zu lösen – und der jungen Eltern, die ja nun die Wirtschaft dringend in Arbeit sehen möchte.

Die teilweise emotional und heftig geführte Diskussion im Kreistag zeigte deutlich, dass sich die Mehrheit der CDU-Fraktion diesem Thema nicht stellen wollte. Und auch die FDP sieht die Sache eher aus Sicht des strengen Sparmeisters und meinte, dass sich Bürgermeister wohl einer kontroversen Diskussion um Kita-Kosten und Erhöhung von Beiträgen dadurch entziehen wollen, indem sie diese Verantwortung auf die Staatsregierung verschöben. Schließlich wisse man auch, dass etwas, was nichts koste, auch nicht gut sein könne, setzte die FDP noch einen wirklich platten Spruch drauf.

Der auch das Thema völlig verfehlt, denn auch wenn das Land die Elternbeiträge übernimmt, bleibt der größte Kostenblock (in Leipzig sind es 60 Prozent) bei der Gemeinde, die schon aus Eigeninteresse dafür sorgen wird, dass in den Kitas hohe Standards eingehalten werden.

„So ein Quatsch“, kommentierte Jens Spiske, der auch hauptamtlicher Bürgermeister der Stadt Markranstädt ist. Sein Fraktionskollege Matthias Berger, parteiloser Oberbürgermeister aus Grimma, mahnte, dass die Kinder in den Fokus der Debatte zu rücken seien.

Letztlich konnte die UWV einen Abstimmungserfolg für sich verbuchen: Unter großem Beifall der anwesenden Bürgerinnen und Bürger stimmten in namentlicher Abstimmung von 74 Kreisräten 45 (60,8 %) dem Antrag zu. Nun muss Landrat Henry Graichen (CDU), der selber gegen den Antrag stimmte, in den sauren Apfel beißen und seinem Landesvater den ausdrücklichen Wunsch des Kreistages nahebringen.

„Für die Fraktion der UWV ein großer Erfolg und ein wichtiges familienpolitisches Zeichen. Ich hoffe, dass auch in den anderen Kreistagen des Freistaates solche Anträge gestellt werden, damit dies als ein Zeichen der Basis in Dresden wahrgenommen wird! Wir ermuntern die Fraktionen der Freien Wähler/unabhängigen Wählergruppierungen in den Kreistagen zum Schulterschluss mit uns, damit Kommunalpolitik endlich mehr Einfluss in Dresden gewinnt“, erklärte Spiske.

Und wies damit auch auf ein Problem hin, das sich in Sachsen immer mehr eingeschliffen hat. Denn durch Kreisreformen und rigide knapp gehaltene Mittel für die Kommunen hat die sächsische Staatsregierung die Handlungsspielräume der Landkreise so sehr reduziert, dass die Kreistage kaum noch sinnvolle Handlungsspielräume haben und in der sächsischen Politik so gut wie keine Rolle spielen. Die Sachsen haben sich an eine zunehmend paternalistische Regierungsart gewöhnt, die auch die demokratische Einflussnahme vor Ort drastisch reduziert hat. Auch das eine Ursache dafür, dass sich immer mehr Bürger der Demokratie entfremdet fühlen.

Aber die UVW/FREIEN WÄHLER zeigen, dass es in wichtigen Themen noch immer Möglichkeiten gibt, Bürgerwillen auch in Beschlüsse umzuwandeln. Auch wenn das jetzt erst einmal nur ein Auftrag für Landrat Henry Graichen ist. Wenn andere Kreistage und Ratsversammlungen ähnlich agieren, könnte das sächsische Politik vielleicht ein wenig verändern und wieder irdischer machen.

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Die Leipziger Zeitung Nr. 44: Über die Grenzen hinaus

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