Der Antrag der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen, die sogenannten Interventionszeiten bei der sächsischen Polizei auszuwerten, und im Ergebnis der Auswertung verbindlich festzulegen, ist am Donnerstag, 21. März, im Innenausschuss des Sächsischen Landtag mit den Stimmen von CDU und FDP abgelehnt worden. Interventionszeiten sind jene Zeiten, die die Polizeikräfte vom Zeitpunkt des Anrufes an brauchen, um an den Ort des Geschehens zu gelangen.

Diese Zeitspanne kann über Wohl und Wehe der Bürger entscheiden, über das glimpfliche oder tragische Ende von Gewalttaten, Auseinandersetzungen oder Unfällen. Doch wenn Polizeistationen unterbesetzt sind oder teilweise gar nicht mehr existieren, wie jetzt mit der “Polizeireform 2020” umgesetzt, bedeutet das logischerweise auch, dass sich Interventionszeiten deutlich verlängern oder die Intervention ganz und gar ausfällt, weil kein Polizist mehr einsetzbar ist. In einigen Regionen Sachsens sehen die Bürger diesem Szenarium schon mit wachsendem Entsetzen entgegen.

Die Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen hatte deshalb in den vergangenen Jahren mehrfach nach den Interventionszeiten der Polizei in Sachsen gefragt. Denn wenn man den Polizeidienst ausdünnt, dann sollten doch zumindest Zahlen darüber verfügbar sein, wo überhaupt noch Spielraum für Ausdünnungen ist. Denn auch in den vergangenen Jahren wurde ja der Polizeiapparat in Sachsen schon kräftig abgespeckt, etliche Direktionen – so auch die Leipziger – laufen ebenfalls seit Jahren mit einer Vielzahl nicht besetzter regulärer Stellen.

Aber weder zu den reellen wie den gewünschten Interventionszeiten gibt es belastbare Erhebungen, noch zu den Folgen der schon existierenden Unterbesetzung. Denn nicht präsente Polizei bedeutet eben auch größere Spielräume für Straftäter – die Zahl der Straftaten steigt.

“Die Mitglieder der Regierungsfraktionen haben sich gestern nicht nur gegen eine verbindliche Festlegung von Interventionszeiten ausgesprochen. Sie interessiert auch nicht im geringsten, wie lange die Polizei bereits jetzt für Notfalleinsätze benötigt. Sonst hätten sie dem ersten Teil des Antrages zugestimmt, der die Staatsregierung auffordert, die aktuellen Zahlen auszuwerten”, äußert sich Eva Jähnigen, innenpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion zur Donnerstagssitzung des Innenausschusses. “Nach dem Vorfall des von Nazis bedrohten Pärchens in Hoyerswerda hatte auch der CDU-Abgeordnete Geert Mackenroth eine verbindliche Festlegung von Interventionszeiten gefordert. Der Antrag der Grünen-Fraktion war als Kompromissvorschlag an die CDU-Innenpolitiker gedacht, sich dem Thema zu nähern. Leider sah das der Rest seiner Fraktion gestern anderes.”

Der Innenminister sowieso. Einen Fragenkatalog der Grünen vom Februar beantwortete er mit geradezu ausschweifenden Erklärungen, warum eine “automatisierte Erhebung der Interventionszeiten (…) in den für die Erfassung von polizeilichen Einsatzanlässen genutzten Datenbankanwendungen nicht möglich” sei, zweckdienlich sowieso nicht. Und nachdem er den neugierigen Grünen erklärt hat, dass die “Einsatzanlässe bei ihrer Erfassung nicht den Kategorien ‘Notfalleinsatz’ oder ‘weiterer Einsatzanlass’ zugeordnet” würden, wehrt er die automatische Implementierung einer solchen Erfassung gleich ab mit dem Argument: “Entscheidend für den Bürger ist eine dem jeweiligen Einsatzanlass entsprechende ‘angemessene’ Reaktion. Das Wort ‘angemessen’ bezieht sich auf den jeweiligen Einsatzanlass und beinhaltet die Differenzierungspflicht für die Polizei. Das heißt: Während bei einem Einsatzanlass mit einer Gefahr für Leben und Gesundheit einer Person unverzügliches Handeln der Polizei erforderlich ist, bedarf es bei einem Verkehrsunfall ohne Personenschaden bei Vorliegen paralleler Einsatzlagen nicht zwingend sofortiger polizeilicher Maßnahmen.”Also gibt es eine “Notfall”-Kategorisierung doch. Und dass Datenbanken so eine schlichte Einschätzung der Einsatzleitung nicht vermerken können, ist wohl eher ein Märchen. Ein Märchen, dass auch kaschieren soll, dass sich der Innenminister um die realistischen Bedingungen der Polizeieinsätze in Sachsen nicht wirklich kümmern will. Dann stünde das Kriterium “Interventionszeit” nämlich ganz oben und würde seine so genannte Polizeireform auch für die Bürger bewertbar machen.

Aber er will nicht, dass das Kürzungspaket für die Bürger bewertbar wird. Er sagt es auch sehr deutlich: “Die Staatsregierung betrachtet die Festlegung von verbindlichen Interventionszeiten für die sächsische Polizei als nicht praktikabel.”

Und was man nicht an solchen realen Kriterien bewerten kann, wird logischerweise zu einem großen wabernden Nebel. Hinter dem sich auch die Tatsache verbirgt, dass der Innenminister genauso wenig wie seine Kollegin im Wissenschaftsministerium bereit ist, die demografische Entwicklung in Sachsen zur Kenntnis zu nehmen. Die ganze Regierung operiert mit Zahlen, die sich schon seit Jahren als nicht mehr belastbar herausgestellt haben. Der Freistaat verliert keinesfalls die Bevölkerung in der Dimension, wie sie Stanislaw Tillich 2009 in seiner wilden Regierungserklärung beschworen hat.

Doch auf diesen – falschen – Prognosen baut die ganze vom Finanzminister verordnete Kürzungspolitik auf. Die sächsische Polizei wird nicht irgendwelchen demografischen Entwicklungen angepasst (einem obskuren “vergleichbaren westlichen Bundesland” schon gar nicht).

“In der gestrigen Diskussion wurde auch noch einmal deutlich, dass der Stellenabbau bei der Polizei an rein monetären Kriterien ausgerichtet ist. Dass sich aber die Zahl der Polizisten auch auf die Reaktionsfähigkeit der Polizei auswirkt, wird offensichtlich vollkommen ausgeblendet”, stellt denn auch Eva Jähnigen wieder einmal frustriert fest. “Ich werde die Interventionszeiten bei der Polizei weiterhin mit Kleinen Anfragen abfragen und auswerten”, kündigt sie an.

Der grüne Antrag “Auswertung und verbindliche Festlegung der Interventionszeiten bei der sächsischen Polizei” (Drs. 5/11207): www.gruene-fraktion-sachsen.de/fileadmin/user_upload/Antraege/5_Drs_11207_1_1_3_.pdf

Die ausweichenden Antworten von Innenminister findet man im Informationssystem des Landtages unter: http://edas.landtag.sachsen.de/viewer.aspx?dok_nr=11207&dok_art=Drs&leg_per=5&pos_dok=202

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