Am Montag, 10. Februar, gab der Landtagsabgeordnete der Grünen, Johannes Lichdi, bekannt, dass er zur Landtagswahl 2014 nicht wieder kandidieren wird. Gründe nannte er auch - allen voran seinen Eindruck, dass Grün in Sachsen auf eine Koalition mit der CDU zusteuert. In diversen Internetforen wird mittlerweile heftig darüber diskutiert. Die L-IZ befragte Johannes Lichdi ein wenig ausführlicher zu Motivation und Gemengelage.

In Ihrer Verlautbarung, zur Landtagswahl im August nicht wieder für die Grünen kandidieren zu wollen, sprechen Sie die auffallende Nähe der Fraktionsvorsitzenden Antje Hermenau zur regierenden CDU in Sachsen an. Befürchten Sie, dass die Grünen sofort nach der Wahl Gewehr bei Fuß stehen, um dann mit der CDU zu koalieren?

Ich kenne Antje Hermenau seit 20 Jahren und habe sie in vielen Entscheidungssituationen erlebt. Deshalb bin ich davon überzeugt, dass sie nur ein Ziel hat: Schwarz-Grün! Sie ist davon überzeugt, die Partei nach der Wahl zwingen zu können, ihrem Kurs zu folgen.

Sie sprechen die Unmöglichkeit an, Ihre Positionen innerhalb der Fraktion durchzusetzen. Aber woran liegt das? Wollen die anderen Grünen nur an die Regierung? Oder ist Ihre Haltung mit grünen Grundpositionen nicht mehr zeitgemäß?

Es gibt einige, die wie Antje Hermenau für Schwarz-Grün sind. Die meisten glauben, auf Frau Hermenau als Spitzenkandidatin nicht verzichten zu können. Viele halten still, weil sie ihren eigenen Karrierechancen nicht schaden wollen. Die allermeisten halten Schwarz-Grün für ein Hirngespinst, zu dem es ohnehin nicht kommen wird, so dass sie glauben, sich nicht exponieren zu müssen. Natürlich sind das alles Kalküle, die mit einer glaubwürdigen Ansprache der Wählerinnen und Wähler nichts zu tun hat.

Bislang galten Sie als Kandidat in Dresden als einziger ernst zu nehmender Aspirant auf ein grünes Direktmandat. Aber das spricht doch eigentlich dafür, dass Ihre Wähler vor allem Lichdi wählen und erst in zweiter Linie grün …

Die Staatsregierung hat mit der Neuordnung der Wahlkreise auch meinen Wahlkreis zerschlagen, grüne Hochburgen abgetrennt und mit tiefschwarzen Gebieten vereinigt. Damit soll ein grünes Direktmandat auf lange Zeit strukturell verhindert werden. Ähnlich ist die Staatsregierung übrigens auch in Chemnitz und Leipzig in oppositionellen Hochburgen verfahren. Manchmal flüstert mir meine Eitelkeit, dass es so sein könnte, dass die Leute eher Lichdi als GRÜN wählen. Meine Partei hat das aber nie so gesehen. Bei der Stadtratswahl im Mai können wir sehen, was stimmt, da trete ich nämlich auf dem letzten Platz der Liste für Dresden-Neustadt an.
… oder sind Sie nicht eher einer der wenigen Grünen-Politiker in Sachsen, die sich tatsächlich mit grünen Grundpositionen immer wieder profiliert haben? Fehlt es da nicht eher an anderen Kandidaten, die genauso konsequent sind? Sollte Politik nicht auch das konsequente Vertreten von Positionen sein?

Es war tatsächlich mein Ziel, die grünen Grundideen, also der ökologische Umbau der Gesellschaft, der zugleich mehr soziale Gerechtigkeit schafft, eine demokratische Durchlüftung der Gesellschaft und der Schutz der Grundrechte vor den Bedrohungen der digitalen Welt in praktische Politik umzusetzen. Die Beurteilung der Grundwerte, Ziele und Leistungen anderer Kandidatinnen und Kandidaten überlasse ich der Öffentlichkeit.

… oder haben wir mittlerweile eine politische Landschaft, in der sich jeder jedem Trend anpasst, nur um vom Wähler geliebt zu werden?

Diese Klage ist so alt wie die Politik. Selbst ich weiß nicht, ob das jemals anders war. Leider ist es so, dass diejenigen, die sich auch mal anpassen, länger ihre Abgeordnetenmandate behalten. Man kann das auch größere Geschicklichkeit nennen. Ich habe nach meinem Rückzug viel Zuspruch erhalten, dabei aber auch gemerkt, wie fremd meinem Politikerumfeld diese Option ist, die ich gezogen habe. Ich wollte nie Objekt, sondern Subjekt meiner Lebensumstände sein. Ich halte meine Entscheidung für ein Gebot der Glaubwürdigkeit und meiner Pflicht als Politiker, den Wählerinnen und Wähler eine klare Linie zu bieten.

Gibt es überhaupt inhaltliche Überschneidungen mit der CDU, mit der eine schwarz-grüne Regierungsarbeit denkbar wäre? Oder wäre das eher so etwas wie Schwarz-Rot vor fünf Jahren – schwarze Politik mit rotem Feigenblatt?

Es gibt keine schwarz-grünen inhaltlichen Gemeinsamkeiten. Dies haben Fraktion und Parteirat auch ausdrücklich festgestellt. Nur Frau Hermenau erkennt Gemeinsamkeiten in der Haushalts- und Finanzpolitik, aber nur, weil sie ihre Politik an die der CDU in unkritischer Weise anpasst. Sie hat es immer vermieden, die CDU wegen der SachsenLB-Pleite oder der Nichtverfolgung der verantwortlichen Politiker ernstlich anzugreifen.

Das Wenige, was passiert ist, geschah auf meinen Druck. Zuletzt hat sie mit der “Schuldenbremsen”-Vereinbarung eine Regelung abgesegnet, die der CDU-Haushaltspolitik verfassungsrechtliche Weihen verschafft, ohne die Gefahr einer strukturellen Verschuldung wie behauptet zu verhindern. Symbolpolitik im schlechtesten Sinne, bei dem es mir den Magen rumdreht!
Sie befürchten gar, dass die Grünen mit dem derzeitigen Profil gar nicht wieder über 5 Prozent kommen. Aber was muss sich da ändern? Steht den sächsischen Grünen ein ähnlicher Weg bevor wie denen auf Bundesebene?

Ich sehe die Grünen auf Bundesebene keineswegs auf Schwarz-Grün-Kurs. Entgegen der Medienberichterstattung hat das der Bundesparteitag nach der Bundestagswahl auch bestätigt. Tarek al Wazir muss in Hessen erst noch zeigen, dass sein gewagtes Spiel für grüne Politik erfolgreich ist. Aber Sachsen ist nicht Hessen! Der hessische Landesverband hat mit 11% aufgrund des Bundestrendes ein Ergebnis am untersten Rand seiner Möglichkeiten erreicht. Ich bin mir nicht sicher, dass die grüne Stammwählerschaft in Sachsen über 5% liegt.

Zudem ist die sächsische Parteienkonstellation fundamental anders als in allen anderen Bundesländern. Nirgendwo sonst haben wir eine übermächtige CDU bei 40% und eine Oppositionsführerschaft der Linken bei 20%. Die Linke allein ist stärker, als die neuen Parteien des demokratischen Aufbruchs der Wendezeit, also SPD und Grüne zusammen!

SPD und Grüne sind leider für sich allein nicht in der Lage, zum Kristallisationspunkt einer neuen Regierung zu werden. Sie haben daher nur die Option, sich der CDU oder der Linken zuzuwenden. Die Geschichte der SPD zeigt, dass eine Anbiederung an die CDU keine Stimmen bringt, sondern die SPD im 10%-Turm festhält. Die schwächeren Grünen könnten bei einer Schwarzgrün-Wackelei aber ganz aus dem Landtag fliegen, quod erat demonstrandum 1994! Grüne müssen klar und eindeutig für eine Ablösung der CDU-Herrschaft stehen – und dies erfordert eine Zusammenarbeit mit der Linken.

Die Tragik ist ja, dass sich die Linke wie erforderlich gar nicht ändern muss, wenn sich SPD und Grüne auf die CDU zubewegen. Die können sich ins Fäustchen lachen, weil wir ihr nicht die Frage stellen, wie sie es denn mit ihrer SED-Vergangenheit hält und wie lange sie an manchen sozialpopulistischen Forderungen festhalten will. Leider treiben wir ihr kostenlos alle die Wählerinnen und Wähler zu, die die CDU weghaben möchten.

Ein Landtag ohne Lichdi – geht das überhaupt? Kann sich ein Bundesland wie Sachsen überhaupt leisten, auf solche eigensinnigen Kandidaten wie Sie zu verzichten? Starten Sie jetzt im Alleingang?

Der Landtag würde sicher ein paar mehr solche Figuren wie Karl Nolle oder meine Person vertragen. Es ist oft bis zum Abwinken langweilig. Ich weiß, dass sich manche bei den Grünen wünschen, dass ich austrete und zu den Linken wechsle, wie sie mir seit langem übel nachreden. Damit würde ich aber meine gesamte Politik dementieren. Zudem bin ich einfach ein Grüner.

Sie benennen auch die Zustimmung der Grünen zur “Schuldenbremse” als Sündenfall. Warum gab es gerade bei den Grünen so wenig Widerspruch gegen diese im Grunde überflüssige Verfassungsänderung? Und so wenig Beharren auf die gewünschten Änderungen zu mehr Bürgerbeteiligung?

Antje Hermenau hat Fraktion und Partei mit ihrer angeblichen Unersetzlichkeit erpresst und beide haben dieser Erpressung nicht widerstanden. Mein Fehler war, dass ich zu lange dem Irrglauben anhing, dass sie letztlich doch kompromissfähig sein würde.

Ist das Projekt Grün in Sachsen jetzt tot? Oder steht ein kompletter Generationenwechsel an, wenn die Grünen überhaupt wieder gestaltungsfähig werden wollen?

Ich hoffe nicht. Wenn wir von dem grünen Projekt sprechen, meinen wir aber nicht nur die parteiförmige Ausprägung.

Johannes Lichdis Erklärung zu einer Nicht-Kandidatur zur Landtagswahl:
www.johannes-lichdi.de

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