Was Sachsens Innenminister Markus Ulbig da am Donnerstag, 22. Januar, um 14:08 Uhr als Pressemeldung in die Welt schicken ließ, das grenzte schon an Ignoranz. "Innenminister Ulbig dankt Polizisten", stand in der Überschrift und: "Ulbig: 'Die Polizei hat professionell gehandelt'“. Schon möglich, dass sich Sachsens Innenminister dabei bei den Beamten wieder lieb Kind machen will. Aber was da am Vorabend in Leipzig passiert war, ignoriert der Minister komplett.

“Innenminister Markus Ulbig dankt den Polizeibeamtinnen und -beamten, die bei der gestrigen Versammlungslage in Leipzig und bei den Versammlungslagen der vergangenen Wochen im Einsatz waren”, heißt es in der Meldung. Und Innenminister Markus Ulbig wird zitiert mit: „Die Polizei hat mit großem Engagement die Versammlungen abgesichert und dabei professionell und besonnen gehandelt. Mein Dank gilt jedem einzelnen Beamten, der sich häufig in eigene Gefahr begibt, um andere Menschen zu schützen. Darin einschließen möchte ich ausdrücklich die Polizeibeamten der anderen Länder und der Bundespolizei, die uns unterstützen.“

Es ist zwar die typische Haltung des Dienstherren, der für den Einsatz der Polizisten letztendlich verantwortlich ist. Doch von seinen Dankesworten – von denen es in den letzten Jahren immer wieder mal ein Kilogramm gab, können sich Sachsens Polizisten auch keine bessere Personalausstattung oder dankbarere Bezahlung kaufen.

Sie waren da. Aber es war nicht alles gut bei ihrem gigantischen  Einsatz in Leipzig, wo die Legida-Verantwortlichen im Vorfeld von fünfstelligen Teilnehmerzahlen schwadroniert hatten. Nur so ließ sich das Großaufgebot an Polizei überhaupt begründen, wie es das Innenministerium noch einmal auflistet: “Die gestrige Versammlungslage in Leipzig sicherten über 4.000 Polizeibeamte ab. Neben sächsischen Polizisten kamen Beamte nahezu aller Polizeien und der Bundespolizei zum Einsatz.”

Die falsche Sicht auf die Ereignisse wird noch deutlicher, wenn vom SMI auf die Mitteilung der Polizei zum Demonstrationsgeschehen verlinkt wird:

www.polizei.sachsen.de/de/MI_2015_34063.htm

Da fällt schon auf, dass hier die Zahlen nicht stimmen. Es waren eben keine 15.000 Legida-Demonstranten, eher 4.000, wie nun wissenschaftliche Auszählungen durch Forscher der Universität ergaben. Was die L-IZ-Schätzungen aus der Demonstrationsnacht bestätigt. Und die Frage aufwirft: Was soll mit den übertriebenen Zahlen eigentlich begründet werden? Der unverhältnismäßig große Eingriff in den Stadtverkehr? Ein komplett lahmgelegtes Straßenbahnnetz, weil diesem Häuflein auch der Ring noch unbedingt zum Marschieren freigehalten werden sollte?

Oder – und auch diese Vermutungen beschäftigt nun die Leipziger Stadtgesellschaft: Sollte so für Leipzig ein ähnlich großer Zulauf zu Legida suggeriert werden, wie Pegida ihn in Dresden bekommt? Wollte man die völlig andere Stimmungslage der Messestadt damit politisch konterkarieren?

So lange nicht klar ist, wer für die erfundenen Demonstrantenzahlen verantwortlich ist, lässt sich das nicht spezifizieren.

Aber die Organisatoren von No-Legida sind sauer. Richtig sauer. Und zurecht. Denn mit der polizeilichen Falschbehauptung wird auch ihr zivilgesellschaftliches Engagement entwertet. Und so gibt es seit gestern auch einen geharnischten Offenen Brief an Markus Ulbig, in dem seine Arbeit und die seiner verantwortlichen Polizeiführungskräfte am Mittwoch heftig kritisiert wird.

400 Gegendemonstranten machten den Legida-Durchlasspunkt Querstraße/ Dörrienstraße dicht. Foto: L-IZ.de
400 Gegendemonstranten machten den Legida-Durchlasspunkt Querstraße/ Dörrienstraße dicht. Foto: L-IZ.de

Hier ist er:

“Sehr geehrter Herr Innenminister Ulbig,

Mit Entsetzen haben wir heute ihre Reaktion auf die gestrigen Demonstrationsereignisse zur Kenntnis genommen. Nicht, dass die Polizisten, die gestern ihren Dienst taten, keinen Dank verdient hätten. Im Gegenteil, wir meinen, dass die Leistungen und Aufgaben der Polizei viel zu oft als Selbstverständlichkeit angenommen werden.

Das heißt aber nicht, dass man alles kritiklos hinzunehmen hat. Dass sie es nicht schaffen, in einem freiheitlichen Land, in dem wir auf eine freie Presse angewiesen sind, zu thematisieren, dass es gestern massive Angriffe auf begleitende Journalisten gegeben hat, macht uns fassungslos. Dass diese Übergriffe ohne Konsequenzen blieben, obwohl der Zug mit einer starken Polizeipräsenz begleitet wurde, ist in höchstem Maße erschreckend. Dass mehrere Hundertschaften, die den Marsch von teils hoch aggressiven Neo-Nazis und Hooligans begleiteten, nicht auf eklatante Verstöße der Teilnehmer reagierten, ist unfassbar. Neben Gewaltausbrüchen waren dies Vermummung, Schottern, Tragen von verfassungsfeindlichen Flaggen, Hitlergrüße.

Dazu kommt eine Polizeitaktik, die darauf ausgelegt war, eine große Anzahl von Demonstranten nicht einmal zu angemeldeten Kundgebungen durchzulassen. Selbst Anmelder hatten Probleme, zu ihren eigenen Kundgebungen zu kommen. Meinen sie das, wenn sie sagen, das Demonstrationsrecht sei gewahrt worden? Und wie ist es um die Sicherheit von Gegendemonstranten bestellt, wenn offensichtlich gewaltbereite Hooligans durch sie hindurchgeleitet werden, wie am Hauptbahnhof geschehen?

Herr Ulbig, sie haben zuletzt davon gesprochen, dass man Ängste ernst nehmen und Gesprächsangebote unterbreiten muss. Wir bitten sie, auch unsere Sorgen ernst zu nehmen. Denn wir haben Angst, Menschen unter diesen Umständen zu friedlichem Gegenprotest aufzurufen.

Mit freundlichen Grüßen,

Marcel, Martin, Jürgen

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