Es war nicht wirklich klug und auch nicht wirklich mitfühlend, was da am Donnerstag, 15. Januar, im Innenausschuss des sächsischen Landtages entschieden wurde: Die Regierungsfraktionen von CDU und SPD lehnten den Antrag der Fraktion die Linke "Winterabschiebestopp zugunsten von Flüchtlingen im Freistaat Sachsen - Humanitärer Akt und Gebot der Menschlichkeit" (Drs. 6/547) ab. Die Linke kennt das nun schon seit 24 Jahren. Aber die CDU/SPD-Regierung vergab damit eine simple Chance, in eisigen Zeiten ein Zeichen von Menschlichkeit zu setzen.

Und nicht nur die Linken sind frustriert über so viel politische Härte.

“Ich bedauere, dass sich die Fraktionen von CDU und SPD nicht durchringen konnten, einen Winterabschiebestopp auf den Weg zu bringen und damit Menschen zeitlich befristet nicht in winterkalte und unsichere Bedingungen zu schicken”, erklärt Petra Zais, migrationspolitische Sprecherin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. “Auch das gebetsmühlenartige Wiederholen des Arguments, der Freistaat Sachsen würde sich mit seiner ablehnenden Haltung gegenüber einem Winterabschiebestopp an geltendes Asylrecht halten, vermag nicht zu überzeugen. Eröffnet doch gerade Paragraf 60a, Absatz 1 Aufenthaltsgesetz – und damit geltendes Asylrecht – die Möglichkeit, aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen Abschiebungen zeitlich befristet auszusetzen.”

Es gibt kein Gesetz, das eine Landesregierung zur Gnadenlosigkeit verdammt. Im Paragraf 60a “Vorübergehende Aussetzung der Abschiebung (Duldung)” des “Aufenthaltsgesetzes” heißt es: “(1) Die oberste Landesbehörde kann aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein oder in bestimmte Staaten für längstens sechs Monate ausgesetzt wird. Für einen Zeitraum von länger als sechs Monaten gilt Paragraf 23 Abs. 1.”

Diesen Spielraum nutzen andere Bundesländer schon längst.

“Die Regierungsfraktionen könnten asylrechtlich gesehen einen Abschiebestopp verhängen, sie wollen aber schlicht und einfach nicht. Dass es anders geht, wenn der politische Wille vorhanden ist, beweisen andere Länder wie Thüringen und Schleswig-Holstein. Humanitäre Gründe spielen für die Regierungsfraktionen in Sachsen keine Rolle”, kritisiert die Grünen-Abgeordnete.

Und für die Linke, die den Antrag gestellt hatte, erklärt Juliane Nagel, Sprecherin für Flüchtlings- und Migrationspolitik der Fraktion Die Linke im Sächsischen Landtag: “CDU und SPD haben mit ihrer Ablehnung verpasst, ein deutliches Zeichen der Humanität in die sächsische Gesellschaft zu senden. Ein Zeichen, das gerade in diesen Tagen einer sich verschärfenden Stimmung gegen Asylsuchende so wichtig wäre. Die Linksfraktion hatte mit ihrem Antrag nichts anderes als die Nutzung bestehender Gesetze gefordert. So ermöglicht § 60a Abs. 1 Aufenthaltsgesetz die Aussetzung von Abschiebungen unter anderem aus humanitären Gründen. Die Bundesländer Thüringen und Schleswig-Holstein greifen auf genau jene bestehende Regelung des Ausländerrechtes zurück.”

Besonders enttäuscht ist Juliane Nagel über die Haltung der SPD. Denn die verkroch sich wieder einmal hinter der seltsamen Koalitionstreue, als hätte sie mit dem Eintritt in die Regierung jeden Schneid und jeden Mut zu einer eigenen Haltung an der Garderobe abgegeben.

Juliane Nagel zur Haltung der SPD im Innenausschuss: “Diese zeigt sich dem Anliegen aufgeschlossen, berief sich aber auf die Koalitionsdisziplin. Unser Antrag provozierte sogar eine Auszeit der Koalitionsfraktionen, die sich aber nicht zu einer Zustimmung durchringen können, obwohl das Thema den Landtag bereits in der letzten Legislaturperiode beschäftigte, zu einer Ausschuss-Reise führte und bisher zwischen der SPD und uns keinen Dissens erbrachte.”

Mit ihrer Forderung nach mehr Humanität sind Linke und Grüne nicht allein, wie Juliane Nagel betont: “Das Anliegen des Antrages auf Erlass eines Winterabschiebe-Stopps war mit einer Petition der Leipziger Thomaskirchen-Pfarrerin Britta Taddiken und des Arbeiterpriesters Dr. Andreas Knapp unterstützt worden. Bis zum heutigen Tag haben diese Petition 13.400 Menschen unterzeichnet. CDU und SPD ignorieren mit ihrer Ablehnung ein starkes zivilgesellschaftliches Plädoyer für Humanität. Dies geht zulasten von Menschen, die in Gebiete abgeschoben werden, wo insbesondere im Winter keine menschenwürdigen Lebensbedingungen gewährleistet sind, wie beispielsweise im Westbalkan, in Aserbaidschan oder Tschetschenien.”

Und noch eine Fehlstelle machte sie in dieser Innenausschusssitzung aus: “Befremdlich finde ich das Fernbleiben des neuen sächsischen Ausländerbeauftragten Geert Mackenroth von der Innenausschusssitzung, wo das Thema Asyl heute mit mehreren Themen auf der Tagesordnung vertreten war.”

Dass auch die Initiatoren der Petition für einen Winterabschiebestopp mittlerweile zutiefst frustriert sind, bekundete nach der Entscheidung im Innenausschuss auch Dr. Andreas Knapp: “Jedes Kind versteht, dass man Menschen nicht im Winter in die Obdachlosigkeit oder in Slums schickt. Nur die Landesregierung scheint in ihren Positionen derart festgefroren zu sein, dass nicht einmal die breite Unterstützung einer Petition gegen Winterabschiebung etwas bewegen konnte. Über 14.000 Menschen aus einem breiten gesellschaftlichen Spektrum haben die Forderung unterstützt, Asylsuchende bis zum 31. März 2015 nicht in Länder mit winterlichen Bedingungen abzuschieben. Die frostige Argumentation der Landesregierung, die sich hinter gesetzlichen Regelungen verschanzt, zeigt: Wo kein Wille ist, ist auch kein Weg.”

“So aber werden Menschen wissentlich unmenschlichen Bedingungen ausgeliefert. Nicht wenige Landtagsabgeordnete sind über die Situation in Serbien informiert. Ohne weiteres wäre eine Entscheidung im Rahmen des geltenden Asylrechts möglich gewesen”, ergänzt Mitinitiatorin Britta Taddiken, Pfarrerin der Leipziger Thomaskirche.

Und der katholische Arbeiterpriester Andreas Knapp: “Nicht das Etikett macht eine Politik zu einer christlichen, sondern der entschiedene Einsatz für Benachteiligte und Ausgegrenzte. Daher fordern wir Ministerpräsident Tillich nochmals auf, Winterabschiebungen bis Ende März auszusetzen!”

Unterstützt wurde die Petition von zahlreichen Kirchengemeinden in ganz Sachsen, dem Rabbiner der Israelitischen Gemeinde Leipzig, Zsolt Balla, dem Imam der Takva Moschee in Leipzig Celal Bozdas sowie vom Sächsischen Flüchtlingsrat. Die Landesverbände der Bündnis 90/Die Grünen, der Linke, der Jusos, die Leipziger SPD und das Bündnis “Dresden für Alle” haben sich ebenfalls solidarisch erklärt. Die Petition spiegelt damit die aktuelle Forsa/Stern Umfrage wider, wonach 2/3 der Bundesbürger die Aussetzung von Winterabschiebungen befürworten.

Die Petition läuft noch bis zum 18. Januar. Sämtliche bis dahin eingegangenen Unterschriften werden dann dem Petitionsausschuss übergeben. Die Initiatoren fordern, dass der Freistaat Sachsen künftig prinzipiell keine Winterabschiebungen mehr vornimmt: “Denn der nächste Winter kommt bestimmt. Und die nächste Wahl auch!”

Der Antrag der Linksfraktion als PDF zum Download.

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