Zwei Mal schon hat Sachsens Innenminister jegliche detailierte Antwort auf eine Anfrage des innenpolitischen Sprechers der Grünen-Fraktion, Valentin Lippmann, abgelehnt - bezüglich des länderübergreifenden Rechen- und Dienstleistungszentrums für Telekommunikationsüberwachung (TKÜ-Zentrum). "Wolkenkuckucksheim", nennt der Grünen-Abgeordnete diesen Überwachungstraum.

Im Jahr 2015 geht augenscheinlich die 2001 gesäte Saat weltweit auf. Ganze Regierungen sind wie besessen von der Idee, sie könnten die technischen Möglichkeiten des Internets zur Überwachung und Aufdeckung von terroristischen und kriminellen Netzwerken nutzen, auch wenn alle Erkenntnisse zu den Terrorakten der letzten Jahre zeigen: Es nutzt nichts. Die gewaltigen Datensammlungen und Netzüberwachungen führen nirgendwo dazu, auch nur die Spur möglicher Täter zu erhaschen.

TKÜ andererseits ist ein sehr beschränktes Mittel der polizeilichen Ermittlungen, darf im Grunde nur mit richterlicher Genehmigung angewendet werden und auch nur gezielt im Umfeld von Personen, die eindeutig einer Straftat verdächtig sind. Normalerweise braucht das nur eine ordentliche technische Ausstattung des Landeskriminalamtes. Doch Sachsens Innenminister träumt größere Träume. Seit drei Jahren versucht Innenminister Markus Ulbig (CDU) mit den Nachbarländern eine gemeinsame TKÜ-Zentrale auf die Beine zu bringen. Im Doppelhaushalt 2015/2016 des Landes Sachsen tauche dieses Projekt zum ersten Mal in der Investitionsdimension von 4 Millionen Euro auf.

Man staunt schon, wieviel Spielgeld auf einmal zur Verfügung steht, wenn es um die heutigen Träume einer perfekten Kontrolle geht.

Doch beide Anfragen zur genaueren Ausstattung dieses nun gemeinsam mit Brandenburg geplanten TKÜ-Zentrums schmetterte Ulbig ab mit der Aussage, der Willensbildungsprozess sei noch nicht abgeschlossen. Aber wenn einer 4 Millionen Euro für sein Projekt beantragt, muss es doch schon Pläne für die Finanzausstattung geben.

Aber die gibt es augenscheinlich nicht. Auch im März verwies Ulbig noch darauf, dass die Idee noch immer in der Bearbeitungsphase ministerieller Arbeitsgruppen sei. Im Klartext: Man hat noch nicht einmal eine vertragliche Einigung mit Brandenburg, weiß auch nicht, wie das Ding personell ausgestattet werden soll, mit welcher Technik, welchem Standort. Im Gegenteil: In Brandenburg scheint man der Sache doch mit einiger Skepsis gegenüber zu stehen: Millionen für ein Projekt, das mit einer besseren technischen Ausstattung der Landeskriminalämter auch zu verwirklichen wäre?

Weil das Projekt überhaupt nicht greifbar war, hatten die Grünen einfach beantragt, die 4 Millionen Euro im Doppelhaushalt 2015/2016 einfach zu streichen. Doch dieser Antrag fand am 2. April im Innenausschuss keine Mehrheit. CDU und SPD wollen an diesem technischen Spielprojekt augenscheinlich festhalten.

“Doch offenbar hat die Koalition nun erkannt, dass das TKÜ-Zentrum vorerst ein Wolkenkuckucksheim bleiben wird. Anders kann ich mir nicht erklären, dass CDU und SPD nun scheinbar willkürlich bei den Kosten für das TKÜ-Zentrum 750.000 Euro kürzen, um andere Projekte zu finanzieren”, stellt Valentin Lippmann nun fest. Die ministeriellen Arbeitsgruppen scheinen über die bloßen Absichtserklärungen auch nach drei Jahren Beratung nicht hinaus zu sein. In Brandenburg hat man erst gar keine Mittel für das TKÜ-Zentrum bereitgestellt.

“Dass die Koalition unbeirrt Mittel für ein Luftschloss-Projekt bereitstellt, dessen Umsetzung höchst ungewiss und in den nächsten zwei Jahren so gut wie ausgeschlossen ist, gleicht einer haushaltspolitischen Irrfahrt”, kommentiert Lippmann diese Kabinettspielchen. “Es ist nicht damit zu rechnen, dass im laufenden Haushalt überhaupt Geld dafür benötigt wird. So hat das Land Brandenburg in seinem aktuell ebenfalls verhandelten Haushalt keine Mittel für das Projekt eingestellt.”

Und ein bisschen verstimmt ihn auch die Nebelkerzen-Politik des Innenministers, der mit dem Hinweis auf die Willensbildung der Regierung zwei Mal jegliche Detail-Auskunft zum TKÜ-Zentrum verweigerte. Nun deutet die Kürzung der 4 Millionen darauf hin, dass er tatsächlich nicht die geringste Vorstellung hat, was das ländererübergreifende TKÜ-Zentrum überhaupt mal werden soll.

“Bisher war ich zumindest davon ausgegangen, dass sich Innenminister Markus Ulbig (CDU) bei den eingestellten Kosten etwas gedacht hatte – das widerlegt jetzt die eigene Koalition eindrucksvoll. Mich beschleicht zunehmend das Gefühl, dass es sich beim TKÜ-Zentrum vor allem um eine überdimensionierte Sparbüchse handelt. Dass damit immer noch Mittel in 3,4 Millionen Euro gebunden und anderen sinnvollen Projekten vorenthalten werden, ist mehr als ärgerlich”, findet Lippmann. “Wir Grünen werden im Haushaltsausschuss erneut die Streichung dieser Mittel beantragen und bis zur vollständigen Aufklärung aller verfassungs- und datenschutzrechtlichen Bedenken unsere Kritik aufrechterhalten. Es ist bezeichnend, dass uns bis heute keine weiteren Informationen zu diesem Projekt gegeben wurden und sich weiterhin dahinter versteckt wird, dass die Verhandlungen noch nicht abgeschlossen sind.”

Kleine Anfrage “Gemeinsames Rechen- und Dienstleistungszentrum auf dem Gebiet der Telekommunikationsüberwachung der Länder Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen, Berlin, Brandenburg”.

Kleine Anfrage “Kosten für das gemeinsame Rechen- und Dienstleistungszentrum auf dem Gebiet der Telekommunikationsüberwachung der Länder Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen, Berlin, Brandenburg”.

Auszug aus dem Entwurf des Haushaltsplans mit den Posten zum TKÜ-Zentrum.

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