Warum erst mal umsetzen in eigener Regie, wenn man auch warten kann, bis der Bund sich ausgekäst hat? - Das war eigentlich Thema der Sachverständigenanhörung im Sächsischen Landtag am Montag, 18. Mai. Es ging um die Einführung der Gesundheitskarte für Asylsuchende. Und jeder hörte am Ende das, was er hören wollte. Auch die CDU.

Auch Jörg Kiesewetter, integrationspolitischer Sprecher der CDU-Landtagsfraktion, hörte das in der Anhörung des Landtagsausschusses für Soziales und Verbraucherschutz, Gleichstellung und Integration zum Thema „Gesundheitskarten für Asylbewerber“ so heraus. Denn wenn schon Sachverständige erklären, dass vor Ort alles viel, viel komplizierter ist und auf Bundesebene eine schöne einheitliche Regel das Allerbeste, dann ist das doch ein schönes Beruhigungsbonbon für eine Regierung, wenn man erst mal alles beim alten bürokratischen Prozedere lassen möchte.

Jörg Kiesewetter: „Viele Sachverständige haben auf der Anhörung erklärt, dass die Einführung einer elektronischen Gesundheitskarte für Asylbewerber nur dann Sinn macht, wenn es dazu eine bundeseinheitliche Regelung gibt. Regional unterschiedliche Lösungen mit differenzierten Leistungsniveaus machen nach der Lockerung der Residenzpflicht für Asylbewerber seit diesem Jahr aus Sicht der Experten keinen Sinn.”

Womit der gelernte Diplom-Verwaltungswirt im Grunde nur wiederholt, was auch Sozialministerin Barbara Klepsch (CDU) dazu schon gesagt hat. Man will lieber nichts ändern an einem Verfahren, das an bürokratischer Pracht kaum noch zu überbieten ist. Und warten natürlich, auf Berlin.

CDU will warten

“Ich teile diese Meinung und warne davor, nun im Schnellverfahren und überhastet Regelungen von Stadtstaaten auf Sachsen eins zu eins zu übertragen. Die Bundesregierung hat bereits mitgeteilt, dass sie derzeit die flächendeckende Einführung einer Gesundheitskarte für Asylbewerber in Deutschland prüft. Wir sollten das Ergebnis zunächst einmal abwarten. Wichtig ist diesem Zusammenhang vor allem, dass die Kosten nicht zu Lasten der Beitragszahler gehen und die Krankenkassen die Beitragssätze nicht für alle Versicherten erhöhen”, meint Kiesewetter. “Natürlich haben Asylbewerber und Flüchtlinge bei uns einen Anspruch auf eine ordentliche medizinische Grundversorgung und diese erhalten sie auch. Klar ist auch, dass das bisherige Verfahren im Rahmen des Asylbewerberleistungsgesetzes zu bürokratisch ist und optimiert werden muss. Dennoch kann ich die Bedenken teilen, dass ein zusätzliches Leistungsangebot in der Gesundheitsversorgung für mehr Anreiz, insbesondere in den sicheren Herkunftsländern, sorgen könnte, in Deutschland Asyl zu beantragen.“

Aber so denken Verwaltungsfachleute. Dass das derzeitige Verfahren in Sachsen eine bürokratische Zumutung ist, scheint zumindest bei der CDU keine ausschlaggebende Rolle zu spielen.

Für die Grünen hingegen schon.

Ausländerbeauftragter mit chauvinistischen Tönen

“Die Vorteile einer elektronischen Karte zur Krankenbehandlung von Asylsuchenden wurden in der heutigen Anhörung mehr als deutlich”, stellt Petra Zais, migrationspolitische Sprecherin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, fest. Die augenscheinlich in einer etwas anderen Veranstaltung saß: “Asylsuchende hätten endlich einen unbürokratischen und diskriminierungsfreien Zugang zu ärztlicher Versorgung. Gleichzeitig würden die Sozialämter personell entlastet, da sich der Verwaltungsaufwand reduziert. Die frei werdenden personellen Ressourcen könnten die Kommunen sicher gut für andere wichtige soziale Aufgaben einsetzen.”

Der Sachverständige Holger Adamek, Referent der Bremer Gesundheitsbehörde berichtete von dem in Bremen bewährten Modell einer Gesundheitskarte für Asylbewerber. Seit der Einführung des elektronischen Verfahrens im Jahr 2005 gäbe es keine nennenswerten Kostensteigerungen bei der Gesundheitsversorgung von Asylsuchenden. Zudem erhielten Asylbewerberinnen und Asylbewerber eine angemessene medizinische Versorgung.

“Herr Dr. med. Denzin, Hausarzt in Sachsen beschrieb die derzeitige Praxis als zeitraubend sowohl für die Behörden als auch für die Praxismitarbeiterinnen und Praxismitarbeiter. Vor allem sei sie aber gefährdend für kranke Asylsuchende, da Behandlungen verzögert und chronische Verläufe damit befördert würden. Ebenso führte er datenschutzrechtliche Bedenken an”, benennt Zais mal einen Praxisvertreter, der in der Anhörung zu Wort kam. Was eigentlich recht deutlich macht, wo die Linien verlaufen zwischen verwaltungstechnischer Sturheit und den tatsächlichen Problemen in der Praxis.

Und einer blamierte sich in seiner ungeliebten Rolle als Ausländerbeauftragter so richtig.

“Enttäuscht bin ich von der Stellungnahme des Sächsischen Ausländerbeauftragten Geert Mackenroth. Er befürchtet vor allem, dass eine angemessene medizinische Versorgung von Asylsuchenden ein Anreiz für weitere Personen sei, nach Deutschland zu kommen. Unter Interessenvertretung verstehe ich etwas anderes”, kritisiert Zais. Und dass das Warten auf bundeseinheitliche Regelungen Unfug ist, belegte in der Anhörung dann auch der Fachmann von der Krankenkasse.

Kassen können die Sache problemlos managen

Petra Zais: “Die Staatsregierung kann entgegen ihrer Stellungnahme durch den Abschluss einer entsprechenden Rahmenvereinbarung die Einführung einer elektronischen Chipkarte für Asylsuchende unterstützen. Das hat unter anderem auch Rainer Striebel, Vorsitzender des Vorstandes der AOK Plus, bestätigt.”

Und wo die sächsische Staatsregierung mauert, richtet sich jetzt die Aufmerksamkeit auf die Kommunen. Denn die stehen dem Thema aufgeschlossen gegenüber, weil sie mit der leidigen Praxis vor Ort direkt konfrontiert sind.

“Mit dem 1993 geschaffenen Asylbewerberleistungsgesetz wurde ein Sondergesetz für Asylsuchende geschaffen, das auch die Ungleichbehandlung bei Gesundheitsleistungen vorsieht. Asylsuchende sind nicht in die gesetzliche Krankenversicherung einbezogen. Die gesetzlich garantierte und finanzierte medizinische Behandlung und Versorgung bleibt auf akute Erkrankungen und Schmerzen sowie Schwangerschaft und Geburt beschränkt”, benennt die Leipziger Landtagsabgeordnete Juliane Nagel (Die Linke) das hausgemachte Grundproblem, mit dem die Gesetzgeber nach den Rostocker Krawallen Anfang der 1990er Jahre alles in Extra-Normen packen wollten, was Menschen betrifft, die in Deutschland Asyl suchen. Doch das ist nicht nur bürokratisch, sondern auch teuer und ressourcenverschleißend.

Leipzigs Stadtrat stimmt am Mittwoch ab

Das Asylbewerberleistungsgesetz gewährt Asylsuchenden zu Beginn ihres Aufenthaltes in Deutschland nur eine medizinische Notversorgung (akute Erkrankung und Schmerzzustände). Diese erfolgt im Freistaat Sachsen über ein aufwendiges, bürokratisches und diskriminierendes Verfahren: Asylsuchende müssen, bevor sie zum Arzt gehen, beim Sozialamt einen Krankenschein beantragen. Sozialämter gibt es jedoch nur in größeren Gemeinden. Die Entscheidung über die Bewilligung des Krankenscheines trifft in aller Regel eine Person, die nicht über medizinische Fachkenntnisse verfügt.

Juliane Nagel: “Die Inanspruchnahme dieser Notversorgung wird zusätzlich durch bürokratische Hürden erschwert oder behindert. Anstatt mit einer Chipkarte zum Arzt gehen zu können, müssen Asylsuchende beim Sozialamt einen Behandlungsschein beantragen. Diese Hürde kann im Ernstfall zur Verzögerung von Behandlungen und zur Chronifizierung von Erkrankungen führen.”

Seit 2005 wird das nun diskutierte Chipkartenmodell erfolgreich in Bremen praktiziert. Dort übernimmt die AOK die Betreuung der Asylsuchenden. Die Behandlungskosten werden von der öffentlichen Hand ersetzt. Hamburg zog 2012 nach. Dort konnten zuletzt rund 1,6 Millionen Euro Verwaltungskosten pro Jahr eingespart werden. Auch Städte wie Rostock, Münster und Chemnitz wollen dem Beispiel folgen. Ebenso gibt es in Mecklenburg-Vorpommern, in Brandenburg, Berlin und Nordrhein-Westfalen Bestrebungen zur Einführung der eCard.

“Da sich sowohl der Bund als auch der Freistaat Sachsen einer bundes- bzw. landeseinheitlichen Regelung verweigern, müssen die Spielräume auf kommunaler Ebene genutzt werden. Die Kommune ist qua Gesetz Kostenträger der Gesundheitsleistungen und kann entsprechende Verhandlungen und Verträge mit Krankenkassen eingehen”, benennt Juliane Nagel den Weg, den möglicherweise Leipzig auch beschreiten wird, wenn sich die sächsische Regierung verweigert. Denn ein entsprechender Antrag der Leipziger Linksfraktion wurde vom Sozialbürgermeister der Stadt schon einmal wohlwollend kommentiert.

“Die Einführung einer Krankenversichertenkarte bringt für alle Beteiligten Vorteile: für die Asylsuchenden, für ÄrztInnen und die Verwaltung”, so Juliane Nagel. “Ein gleichberechtigter Zugang zu Gesundheitsleistungen folgt daraus leider nicht. Dazu muss endlich das diskriminierende Asylbewerberleistungsgesetz auf Bundesebene fallen. Denn: Medizinische Versorgung ist ein Menschenrecht.”

Der Antrag der Fraktion Die Linke zur Einführung einer Krankenversichertenkarte für Asylsuchende in Leipzig wird am Mittwoch, 20. Mai, zur Abstimmung in der Ratsversammlung stehen.

Der Antrag der Fraktion Die Linke

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