Auf die Meldung des Sächsischen Innenministeriums vom 16. Juli zur neuen Werbekampagne "Verdächtig gute Jobs“ meldete sich auch Enrico Stange, der Sprecher für Innenpolitik der Linksfraktion im Landtag, zu Wort. Schon im April hatte er bezweifelt, dass die von CDU und SPD geplanten Mittel ausreichen, um den Personalbestand der sächsischen Polizei zu halten.

Die 300 Bewerber, die bis 2014 jährlich eingestellt werden durften, waren sowieso zu wenig. Ab 2015 sollen nun laut Koalitionsvertrag 400 eingestellt werden. Aber nicht einmal die nötigen Ausbildungskapazitäten dafür existieren, kritisiert nun Enrico Stange mit Blick auf die Polizei-Nachwuchskampagne “Verdächtig gute Jobs”.

„Die potenziellen Adressaten der Nachwuchswerbung brauchen mehr als nette Trailer, die ihnen mehr oder weniger realistische Eindrücke von den vermeintlich 1.000 Möglichkeiten des Polizeiberufs vermitteln sollen. Sie brauchen vor allem ehrliche Auskünfte zu den Umständen der Ausbildung”, erklärt der Linke-Abgeordnete. Und fragt: “Wo und wie aber will die Staatsregierung die zusätzlichen Polizeimeisteranwärter ausbilden lassen? Die Kapazitäten reichen schließlich nicht.”

Sagen kann er das, weil er im Frühjahr gleich mal zwei Anfragen an die Sächsische Staatsregierung gestellt hat, um zu erfahren, wie groß die Ausbildungskapazitäten für sächsische Polizeianwärter überhaupt sind.

Die Antworten von Innenminister Markus Ulbig (CDU) waren recht erhellend. Zumindest, wenn man sich einen Taschenrechner dazu schnappte. Denn da wurde die Diskrepanz sichtbar zwischen geplanten Einstellungen und vorhandenen Ausbildungskapazitäten.

“Für die Laufbahngruppe 1.2 der Polizei, deren Einstellungskorridor ab 2015 um je 100 Auszubildende erhöht wurde, steht bei 804 auszubildenden Polizeimeisteranwärtern”, rechnet Enrico Stange vor. Darin enhalten sind der Jahrgang 2013 mit 231 Auszubildenden, der Jahrgang 2014 mit 234 Auszubildenden und der Jahrgang 2015 mit 325 Auszubildenden. Dazu kommt pro Jahrgang eine Sportfördergruppe mit knapp 7 Anwärtern. Doch Sachsen, so stellt Stange fest, stellt “in diesem Jahr eine Ausbildungskapazität von nur 648 Plätzen bereit. 2016 werden es 884 Anwärter sein, für die es dann nur 748 Plätze geben wird – mit voller Kapazitätsschaffung im neuen Ausbildungsstandort Schneeberg.”

Zu Schneeberg hatte er extra noch mal nachgefragt. Die ehemalige Bundeswehrkaserne wird für 1,6 Millionen Euro zur Polizeiausbildung hergerichtet und soll ab September – neben den Ausbildungsstandorten in Leipzig und Chemnitz – zur Verfügung stehen.

Aber als Innenpolitiker bekommt Stange auch ein bisschen mit, wie dünn die Ressourcen-Decke schon jetzt in den Ausbildungsstandorten ist. Wer in  Sachsen Polizist werden will, muss wirklich ein dickes Fell haben.

Es wird nicht nur eng in den Ausbildungsstätten, betont Enrico Stange: “Darüber hinaus sprechen die Sorgen der derzeitig im Vorbereitungsdienst befindlichen Anwärter Bände – ausgefallene Fahrtausbildung wegen kaputter Ausbildungsfahrzeuge, häufige Stundenplanwechsel wegen fehlender oder ausgefallener Lehrer, ausgefallene oder aufgeschobene Schießtrainings wegen fehlendem Geld für Munition. Ganz zu schweigen davon, dass die Polizeianwärter wegen nicht vorhandener Wohnheimplätze am Ausbildungsstandort von ihren 1.063 Euro Ausbildungsvergütung eine eigene Wohnung für 350 bis 380 Euro unterhalten müssen, wie mir Betroffene berichtet haben. Ihnen helfen die bunten Filmchen aus der Hollywood-Welt des Sächsischen Innenministeriums nicht. Sie wollen wissen, welche realen Aufstiegschancen bestehen und wie sich ihre Einkommenssituation auch im Vergleich zum Polizeidienst in anderen Bundesländern darstellt, welche Zulagen und Sondergratifikationen sie für einen harten Dienst entschädigen sollen.”

Und über diese Aussage des Innenministeriums ist er auch nicht so besonders erfreut: “Die Nachwuchskampagne hat im zurückliegenden Jahr deutlichen Erfolg gebracht. So sind die Bewerberzahlen bei der sächsischen Polizei von 4567 auf 8735 (um 91,3 Prozent) gestiegen. Auch konnten sehr viele leistungsstarke Bewerber gewonnen werden”, hatte das SMI am 16. Juli gemeldet.

Enrico Stange: “Die stark angestiegene Bewerberzahl (8.735 in 2014) resultiert offensichtlich aus dem Heraufsetzen der Altersgrenzen und dem Absenken der Anforderungen an die physische Leistungsfähigkeit der Bewerberinnen und Bewerber. Sie weckt Hoffnungen, die aber wegen des zu geringen Einstellungskorridors (400 ab 2015) letztlich nur für ein knappes Zwanzigstel in einen Ausbildungsbeginn münden.“

Man hat zwar eine Menge Bewerber mehr – doch die meisten erfüllen trotzdem nicht die Aufnahmebedingungen für eine Ausbildung. Denn weiterhin bleiben die hohen schulischen und körperlichen Voraussetzungen, die für eine Polizeiausbildung notwendigerweise gefordert werden. Die Wahrheit ist: Auch die sächsische Polizei will und braucht nur die Guten. Auch die Besten hätte sie gern und prügelt sich um diese Gruppe natürlich mit allem, was derzeit in Sachsen guten Fachkräftenachwuchs sucht. Und das ist praktisch alles – vom Justizministerium über den Schuldienst bis hin zu den Spitzenunternehmen der Industrie.

Im April hatte Stange übrigens schon angemerkt, dass auch 400 eingestellte Bewerber pro Jahrgang viel zu wenig sind, um den Personalverlust der Polizei zu stoppen. Denn auch bei dieser Zahl gehen noch mindestens 50 Polizisten mehr in den Ruhestand, als gleichzeitig eingestellt werden.

Seine damalige Forderung: “So wird die öffentliche Sicherheit nicht gestärkt. Deshalb wollen wir einen sofortigen Personalabbaustopp erreichen und 500 Anwärterinnen und Anwärter einstellen, um ein tatsächliches Personalplus zu erreichen.“

Enrico Stanges Anfrage zu zusätzlichen Ausbildungsstandorten für sächsische Polizeibewerber.

 

Enrico Stanges Anfrage zur Belegung der aktuellen Ausbildungsstandorte der sächsischen Polizei.

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar