Endlich, endlich ist die völlig aus den Gleisen geratene Asylpolitik in Sachsen Chefsache geworden. Ministerpräsident Stanislaw Tillich selbst hat sich am Donnerstag, 20. August, der Sache angenommen und angekündigt, die Zahl der Plätze in der Erstaufnahme auf über 10.000 erhöhen zu wollen. Endlich, heißt es gleich aus den Fraktionen von Grünen und Linken. Am Donnerstag hatte Tillich extra eine Kabinettsitzung einberufen, um das Thema zu besprechen.

Eigentlich viel zu spät – denn seit Monaten sorgt das Thema der fehlenden Plätze in Erstaufnahmeeinrichtungen für Schlagzeilen in Sachsen. Gar nicht mal erst seit Ende Juli, als die inhumanen Zustände in der in Dresden errichteten Zeltstadt für Eklat sorgten. Tatsächlich brachte es die urlaubende Landesregierung fertig, sogar erst die Überschwemmung in der in Chemnitz errichteten Zeltstadt abzuwarten, bevor sie handelte.

Zahl der Plätze in der Erstaufnahme soll auf 10.000 erhöht werden

Ob sie auch so handelt, bleibt abzuwarten. Denn bislang ist auch das erst einmal nur eine Ankündigung. Vorgesehen ist jetzt, die benötigten 10.000 Plätze durch Anmietungen und Baumaßnahmen bereitzustellen. Ziel sei die Ablösung der bestehenden Notunterkünfte sowie unwirtschaftlicher, beziehungsweise zweckfremder Nutzungen. Dazu gehören auch die reineweg aus der Not geborenen Unterbringungen in der Ernst-Grube-Halle und der HTWK-Sporthalle in Leipzig.

Darüber hinaus sollen 3.500 Reserveplätze im Rahmen des Drei-Standorte-Konzeptes geschaffen werden. Damit will Sachsen künftig besser auf neu ankommende Flüchtlinge reagieren können. Bislang war Chemnitz die einzige Erstaufnahmeeinrichtung für Sachsen – das wurde in diesem Jahr durch neue Standorte in Dresden und Leipzig erweitert zum Drei-Standorte-Konzept. Vorrang habe aktuell, dass Flüchtlinge, die jetzt noch in Zelten untergebracht sind, bis spätestens Ende Oktober in feste Quartiere umziehen. Das klingt schon gar nicht gut und zeigt, wie sehr die Landesregierung das Thema verschlafen hat und wertvolle Monate im Frühjahr und Sommer vertan hat, die Aufnahmekapazitäten in der Erstaufnahme schnell und nachhaltig zu erhöhen.

“800.000 Asylbewerber in einem Jahr – das ist eine neue, eine noch nie dagewesene Zahl an Menschen, die binnen kurzer Zeit nach Deutschland kommen. Keiner kann diese Aufgabe alleine meistern, sie fordert alle: Europäische Union, den Bund, die Länder und die Kommunen. Sie fordert die ganze Gesellschaft”, sagte Tillich am Donnerstag. “Das sind wir den Menschen schuldig, die hier bei uns Sicherheit vor Krieg und Vertreibung suchen. Es ist unsere humanitäre Pflicht. Die übergroße Mehrheit der Sachsen sieht das so.“

Nach dem Königsteiner Schlüssel werden etwa 40.700 dieser Flüchtlinge nach Sachsen kommen.

Staatsregierung will 30 Millionen Euro zur Verfügung stellen

Noch viel wichtiger aber ist, dass der Freistaat – der das Geld für neue Erstaufnahmeeinrichtungen locker in seinen Budgets findet- auch die Kommunen unterstützt. Denn in den Erstaufnahmeeinrichtungen bleiben die Menschen ja nur, bis ihre Aufnahmeformalitäten geklärt sind. Dann wechseln sie in die Obhut der Kommunen, die dann für eine adäquate Asylunterbringung sorgen müssen. Und Tillich kündigte zumindest an, dass die Kommunen doch deutlich mehr Geld für diese Aufgabe bekommen, als bis jetzt angekündigt war: Die Staatsregierung will den Landkreisen und kreisfreien Städten in diesem und dem nächsten Jahr jeweils 30 Millionen Euro pauschal zur Verfügung stellen. Mit diesen insgesamt 60 Millionen Euro sollen die Kommunen bei der Betreuung und Unterbringung unterstützt werden. Das könnte man so verstehen, als könnten die Gelder auch zur Schaffung neuer Unterkünfte ausgegeben werden.

Da kommt dem Freistaat zugute, dass er jedes Jahr mehr Steuereinnahmen hat, als der Finanzminister für den Haushalt eingeplant hat.

Tillich betonte, die nötigen zusätzlichen Anstrengungen gingen nicht zu Lasten anderer Politikfelder: „Wir werden Mehreinnahmen und nicht verbrauchte Mittel dafür verwenden.“

Populistischer Überbietungswettbewerb muss aufhören

Was fehlt noch? – Aus Sicht der Grünen ein eindeutiges Signal, dass jetzt die Rufe nach Sonderlagern, dicht gemachten Grenzen oder Kürzung der Taschengelder aufhören müssen. “Stanislaw Tillich ist aber auch als CDU-Landesvorsitzender gefordert, in der CDU und der CDU-Landtagsfraktion dafür zu sorgen, dass Schluss gemacht wird mit dem populistischen Überbietungswettbewerb, wie die Flüchtenden am effektivsten von einer Einreise nach Deutschland abzuhalten seien. Diese nicht nur unmenschlichen, sondern sichtbar nicht umsetzbaren Forderungen stärken nur den rechten Rand”, sagt Valentin Lippmann, Parlamentarischer Geschäftsführer der Fraktion der Grünen im Landtag, am Donnerstag. Denn einige Abgeordnete der CDU spielen nach wie vor Zündler und tun so, als könne man Ressentiments gegen die Flüchtlinge schüren und damit auch noch politisch punkten. Lippmann: “Wenn der CDU-Generalsekretär Michael Kretschmer noch gestern twittert ‘Prognose dieses Jahr 800.000 Flüchtlinge – das sind zu viele. So wird es nicht weitergehen können. Vor uns liegt eine schwierige Diskussion.’, dann zeigt es, dass die Probleme ganz oben anfangen. Schluss mit der Angstmacherei. Gemeinsam wird diese Aufgabe auch in Sachsen zu bewältigen sein.”

Mal davon zu schweigen, dass Bundesinnenminister Thomas de Maizière selbst solche Panik verbreitet. Als könne man mit Angstmache die Realitäten verweigern. Doch ein Blick nach Griechenland und Mazedonien zeigt, wie groß die Not längst ist. Gleich reihenweise sind große Staaten in Nordafrika zum Schauplatz bürgerkriegsähnlicher Zustände geworden – vom Irak über Syrien bis nach Tunesien, Eritrea und längst auch Libyen. Und eine rettende Feuerwehr, die den Brand eindämmen könnte, ist derzeit nicht in Sicht. Die Hunderttausende, die ihr Heil in einer Flucht übers Mittelmeer suchen, kann man nicht aussperren oder gar wieder aufs Meer schicken. Man muss sich dieser Aufgabe stellen. Und in zivilisierten Staaten tut man das mit Hilfsbereitschaft und Sachverstand.

Integration durch Sprache, Arbeit und Teilhabe

Eine Aufgabe, die so auch Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig sieht: “Meine Einschätzung, dass wir vor der größten humanitären Herausforderung seit den Balkankriegen in den 90er Jahren stehen, hat sich bestätigt. Neben der Bewältigung der organisatorischen Aufgaben wird es vor allem darum gehen, die Flüchtlinge und Asylsuchenden in unser Land zu integrieren. Dazu zählt die Integration durch Sprache, Arbeit und Teilhabe – dies sind wesentliche Elemente.“

Und weil man mit einem einzigen Blick auf die Brandherde Nordafrikas schon sagen kann, dass die Konflikte ganz bestimmt nicht in diesem oder im nächsten Jahr gelöst werden, ist auch ein Land wie Sachsen gut beraten, die Menschen, die hier Zuflucht suchen, so gut und so bald wie möglich zu integrieren. Auch in Arbeit, wie Dulig betont.

Das Wirtschaftsministerium wolle deshalb in den nächsten Wochen Vorschläge für ein Programm zur Förderung der Arbeitsmarktintegration geflüchteter Menschen erarbeiten. Zudem gehe es um Beratungs- und Finanzierungsangebote im Bereich der Existenzgründungsförderung. Hier soll es insbesondere bei der Kurzberatung und beim Mikrodarlehen Erleichterungen geben.

Endlich Chefsache

Und auch die Linke begrüßt, dass das Thema Asylunterbringung in Sachsen endlich Chefsache geworden zu sein scheint.

“Wir begrüßen die angekündigte deutliche Aufstockung der Erstaufnahmekapazitäten. Schneeberg wurde leider zum Symbol dafür, wie man es als Regierung nicht machen darf – mit widersprüchlichen und wiederholt dementierten Zahlen-Schwankungen zwischen 280 und 1.100”, sagt der Fraktionsvorsitzende der Linken, Rico Gebhardt. “Flüchtlinge sind keine ‘Belastung’, sondern eine Herausforderung. Wenn in diesem Jahr pro hundert Köpfe in Sachsen ein geflüchteter Mensch zu uns kommt, können wir diesen selbstverständlich bei uns aufnehmen und integrieren. Das schaffen wir, wenn Asyl endlich als Querschnittsaufgabe aller Ministerien und politischen Ressorts verstanden wird. Deshalb halten wir angesichts der neuen amtlichen Prognose von über 40.000 neuen Flüchtlingen in diesem Jahr eine umgehende Landtags-Sondersitzung für notwendig, auf der sich Parlament und Regierung gemeinsam parteiübergreifend darauf verständigen, was jetzt sofort getan werden und wo das Steuer herumgerissen werden muss, damit die Integration nicht an Bürokratie scheitert. Das Wichtigste ist ein rascher und ungehinderter Spracherwerb von Anfang an.”

Was sich Linke und Grüne jetzt noch wünschen, ist eine Sondersitzung des Landtags zur Asylpolitik. Dann ist das Thema wohl endgültig “ganz oben” angekommen.

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Weder CDU, noch SPD, noch “Bündnis90/Die Grünen und gleich gar nicht “Die Linke” sollen jetzt so tun, als ob sie bisher die Sache wenigstens einigermaßen im Griff hatten. Alles war Polemik, nichts weiter als Polemik. Man wollte doch den Wald wegen der vielen Bäumen nicht sehen. Fleißig haben dabei die Medien geholfen. So ist sie halt, die 4. Staatsgewalt. Aber wenn die Pressefreiheit angeblich angetastet wird, dann ist deren Geschrei groß. Mut zur Wahrheit ist vollkommen unwichtig.

Nun wird der Druck des Geldes – also der erforderlichen finanziellen Mittel – immer größer. Gewaltig groß. Vor wenigen Tagen hat der Herr Dulig noch Sätze von sich gegeben, die sicher nicht nur ich so interpretiert habe, dass das Geld doch nicht das Problem ist. Dümmer konnte man sich als Minister im sächsischen Kabinett nicht anstellen. Andererseits im im sächsischen Kabinett (siehe Innenminister) keine Seltenheit. Der größte Versager ist jedoch der sächsische Finanzminister, der vollkommen in der Versenkung verschwunden ist. Längst hätte er knallhart darauf hinweisen müssen, dass weder der Freistatt Sachsen noch die Kommunen in Sachsen diese Aufgebe ohne gravierende Abstriche stemmen können bzw. das mit wesentlichen sozialen Abstrichen verbunden ist. Dieser Finanzminister sollte dorthin geschickt werden, wo er benötigt wird – in der Wüste. Harte zu kritisieren sind diesbezüglich “Die Linke” und “Bündnis90/Die Grünen, die als Oppositionsparteien längst hätten den Finanzminister ins Rednerpult zwingen müssen. Aber da beide auch den Umgang mit Geld wenig Bedeutung beimessen, einige deren Vertreter gar keine (davon welche aus Leipzig), hat man keinen Finger auf die Wunde gelegt.

Nun ist der Katzenjammer da. Er wird gewaltig an Lautstärke zunehmen, dann auch in Sachsen gibt es viele Katzen. Sehr viele. Wahnsinn viele. Meine Katze Grethe hat im Garten mit eingestimmt. Sie ist ein sehr verschmustes und kluges Tier. Gegenwärtig klüger als….

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