Da gibt der sächsische Ministerpräsident schon mal ein Interview - und schon bekommt er dafür wieder Schelte. Im Grunde war es nur ein kleines Kurzinterview. Aber wie antwortet man als Ministerpräsident eines Landes, in dem sich die Regierungspartei CDU vor allem in lauten Forderungen nach schnellerer Abschiebung und Grenzkontrollen äußert, bei der Unterbringung der Flüchtlinge aber eher ratlos wirkt?

Dabei meldete sich am Mittwoch, 30. September, auch mal wieder die FDP zu Wort, die jetzt versucht, sich irgendwo rechts der CDU einzuordnen. Der Überbietungswettkampf der sächsischen Hardliner ist voll entbrannt.

Der Landesvorsitzende der FDP, Holger Zastrow, griff dabei einen Satz aus dem Tillich-Interview in der LVZ auf, der im Grunde die ganze Ratlosigkeit der Regierungspartei in Worte fasst: “Wir brauchen Ordnung: Ordnung im Verfahren, Ordnung in unserem Land”, hatte Tillich gesagt.

“Die Durchsetzung rechtsstaatlicher Regeln, sowohl bei der Grenzsicherung als auch beim Umgang mit Flüchtlingen, gehört zu den Grundaufgaben des Staates. Dass der sächsische Ministerpräsident jetzt vom Bund mehr Engagement fordert, ist reichlich unglaubwürdig und lenkt von den gravierenden rechtsstaatlichen Defiziten im Freistaat Sachsen ab”, sagt dazu Holger Zastrow. Aber wenn es um Ordnung geht, kennen ordentliche Bürger kein Pardon. Zastrow: “Wenn der sächsische Innenminister zugibt, dass bis August nicht einmal 30 Prozent aller rechtskräftig ausreisepflichtigen Asylbewerber den Freistaat Sachsen auch verlassen haben, dann wird die ‚Ordnung im Land‘ gerade durch das Versagen der Staatsregierung gefährdet. Wer den Vollzug rechtskräftiger Entscheidungen unterlässt, schadet nicht nur der Glaubwürdigkeit des Rechtsstaates, sondern sendet auch das falsche Signal an Flüchtlinge.”

Und wo man schon mal bei den echten sächsischen Polizeitugenden ist, kann man auch draußen mehr Ordnung fordern. Holger Zastrow: “Auch die Randale und zögerliche Verfolgung von Gewalttätern vor sächsischen Flüchtlingsunterkünften sind nicht dem Bund anzulasten, sondern klare Aufgabe von Polizei und Justiz in Sachsen. Bevor der Ministerpräsident weitere Forderungen an den Bund stellt, sollte er zunächst im eigenen Land Ordnung schaffen.”

Dabei hatte Tillich doch nur wieder vor sich hingemurmelt, was in der sächsischen CDU schon die ganze Zeit geraunt wird, als könnte man damit die Aufgaben im Land bewältigen: “Wir können nicht jeden Tag tausende Flüchtlinge aufnehmen. Es müssen deshalb auch die Maßnahmen zur Sicherung der EU-Außengrenzen sofort verstärkt werden. Und diejenigen, die keine Chance auf Asyl haben, müssen auch direkt an der EU-Außengrenze zurückgewiesen werden können. Die EU muss die Lage der Flüchtlinge in ihren Heimatregionen, in denen sie sich bereits als Flüchtlinge aufhalten, unverzüglich verbessern. Hier ist schnelle Hilfe notwendig, damit sich nicht noch weitere Flüchtlinge auf den Weg zu uns machen.”

Die EU soll’s also richten, nachdem sich nun nach vier Jahren der ganze unheimliche Versuch, die Flüchtlinge aus dem Nahen Osten und Nordafrika am Mittelmeer zu stoppen, als gescheitert erwiesen hat. All das, was Tillich fordert, hat nicht funktioniert – auch weil Länder wie Griechenland oder Italien dabei heillos überfordert wurden. Dahinter stand übrigens die ganze Zeit der deutsche Wunsch, man möge das Problem lösen, ohne dass die aus Bürgerkrieg und Armut Geflüchteten bitteschön in deutschen Gefilden auftauchen.

Das hätte funktionieren können, wenn die Bundesrepublik bereit gewesen wäre, die Aufnahmeländer dabei auch finanziell zu unterstützen. Auch da wäre es um Milliarden Euro gegangen. Aber statt etwa Griechenland zu helfen, das mit dem Ansturm völlig überfordert war, hat man sich generös in der Troika betätigt und dem Land immer schärfere Kreditregeln auferlegt.

Unübersehbar ist: Weder hat die Bundesrepublik in der seit drei Jahren offensichtlichen Flüchtlingsthematik die Rolle eingenommen, die notwendig gewesen wäre, um den Flüchtenden überhaupt eine humane Aufnahme in Europa zu gewährleisten, noch hat Sachsen das Thema bis heute wirklich ernst genommen. Deswegen wirkt Tillichs Antwort für Rico Gebhardt, Vorsitzender der Fraktion Die Linke im Sächsischen Landtag, auch wie eine faule Ausrede.

“Im Unterschied zu den Ministerpräsidenten von Thüringen und Sachsen-Anhalt, die sich ständig den aktuellen Brennpunkten in und an Flüchtlings-Unterkünften in ihrem Land stellen, verharrt Sachsens Regierungschef Tillich ängstlich in einer schöngeistigen Parallelwelt, aus der er gelegentlich mit – richtigen – Warnungen (vor Rassismus in Sachsen) und – falschen – Forderungen wie jetzt nach Sofortmaßnahmen zur Schließung der EU-Außengrenzen auftaucht”, kritisiert er die weltfremden Forderungen des Ministerpräsidenten, der in letzter Zeit immer öfter so tut, als könnte ausgerechnet das kleine Sachsen die EU-Kommission dazu auffordern, zu tun, was man sich in Dresden so wünscht.

“Bis heute existiert kein langfristig durchdachtes Unterbringungskonzept der Staatsregierung, das diesen Namen verdient – stattdessen hangelt man sich von einem Provisorium zum anderen”, kritisiert Gebhardt. “Mal sollen Flüchtlinge länger in Erstaufnahmeeinrichtungen bleiben, mal schneller auf die Kommunen verteilt werden. Einen Plan hat das Kabinett Tillich nicht. Auch innerhalb der CDU hat Herr Tillich als CDU-Landesvorsitzender die Kontrolle verloren, wie zahlreiche asylpolitische Irrläufer vom CDU-Fraktionsvorsitzenden Kupfer bis zur Meißner Abgeordneten Kuge unter Beweis stellen.”

Es ist schon verblüffend, wie schnell heutige Ministerpräsidenten wieder dabei sind, nach geschlossenen Grenzen zu rufen. Selbst der Linke-Fraktionschef ist darüber verwundert: “Worauf das von Tillich gewünschte Vorgehen der Abschottung hinausläuft, hat die österreichische ÖVP-Innenministerin schon warnend gesagt: ‘Gewalteinsatz’ gegen Flüchtlinge. Ein Vierteljahrhundert nach der Maueröffnung… Zehn Jahre seiner politischen Karriere hat Herr Tillich im Bereich des Europaparlaments verbracht – dass er seine Kontakte aus jener Zeit für einen Beitrag zur Lösung aktueller Probleme genutzt hat, ist nicht erkennbar. Bevor er aber per Zeitungsinterviews Berlin und Brüssel Ratschläge erteilt, sollte der Ministerpräsident erst mal seine sächsischen Hausaufgaben machen.”

Und die heißen nun einmal: Schleunigste Schaffung menschenwürdiger Unterbringungen, weg von den Notlösungen in Turnhallen und Baumärkten. Es ist schlicht menschenunwürdig, Tausende Ankömmlinge in solchen mehr als provisorischen Massenunterkünften unterzubringen, wenn selbst die Bearbeitung der Erstaufnahmeanträge fünf bis sechs Monate dauert. So schafft man erst das ganze Konfliktpotenzial, das in einigen dieser Provisorien mittlerweile aufflackert.

Und wenn Menschen nicht abschiebbar sind, weil die Länder, wohin das geschehen soll, selbst nicht mehr aufnahmefähig sind oder die Menschen selbst in einem Zustand, der das nicht zulässt, dann hilft auch alles Gerede von schnellerer Abschiebung nichts. Aber der in Sachsen gewählte Bundesinnenminister Thomas de Maizière feuert diese falschen Hoffnungen ja noch an, indem er seinen Parteikollegen genau hier noch mehr Härte verspricht.

Aber da spielt auch Tillich lieber den Hardliner, ohne zu wissen, wie die Lage der Dinge wirklich ist. “Ich erwarte jetzt, dass die Verfahren zur Registrierung und Entscheidung schneller werden. Außerdem müssen wir erreichen, dass alle einreisenden Flüchtlinge und Asylbewerber von der Bundespolizei kontrolliert und polizeilich erfasst werden. Wir müssen genau wissen, wer bei uns im Land ist. Das ist für unsere Sicherheit unabdingbar”, sagte er im LVZ-Interview.

Unabdingbar?

Die Medienberichte des ganzen Mittwochs beschäftigten sich eingehend mit der Tatsache, dass die Bundespolizei gar nicht alle Flüchtlinge registrieren kann. Aber zumindest schürt Tillich mit seinen markigen Worten genau die Ressentiments, die in Dresden seit einem Jahr lauthals auf der Straße spazieren. Mit der Realität und den wirklich auf seinem Tisch liegenden Aufgaben hat seine Kraftmeierei nichts zu tun. Sie lenkt nur davon ab, dass die Tillich-Regierung an der entscheidenden Stelle völlig unkoordiniert agiert.

 

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Über die weitere Entwicklung darf man gespannt sein. Schon hat der Wahlkampf für die nächste Landtagswahl begonnen. Ab sofort gilt: Auge um Auge, Zahn um Zahn. Retten, was noch zu retten ist. Rette sich wer kann.

Keiner hatte das Ohr an der Masse. Es war doch gar nicht gewollt vernünftig zu agieren, zu handeln und zu denken.

Eine unfähiger Ministerpräsident, unfähige Parteisoldaten als Minister und ein Parlament ohne jegliches Profil. Dieses Interview kommt einer Kapitulation der sächsischen Politik gleich. Eine Hand hat die andere gewaschen. Jetzt wird die Seife knapp. Endlich.
Herr Tillich hat sich doch längst als untragbar erwiesen. Nicht wegen dieses Interviews, sondern auch weil er nicht gewillt (oder nicht in der Lage) war, die Realität zu erkennen. Hier ist einer mit Scheuklappen durch den Freistatt Sachsen gefahren.

Sehr gespannt bin ich auch auf die weiteren Berichterstattungen zur Thematik Asylpolitik der sächsischen Lokalzeitungen, besonders der Haus- und Hofzeitung LVZ.

Es wird gewaltige Verlierer geben. Es wird aber auch Gewinner geben. Ich hoffe, dass darunter die Freien Wähler Sachsens sein werden. Leider haben diese noch nicht begriffen, dass sie spielend in den nächsten Landtag einziehen können. Das setzt mit voraus, dass sie bereits jetzt beginnen, sich sachlich zu den gegenwärtigen Themen, besonders der Asylpolitik in Verbindung mit den daraus resultierenden finanziellen, materiellen und personellen Problemen in den Kommunen, in der Öffentlichkeit zu äußern.

Hier wird auch Rico Gebhardt, der Vorsitzender der Fraktion “Die Linke” im Sächsischen Landtag, zitiert. Er kann ab sofort agitieren und reden was er will. Diese Partei wird mit den Grünen der größte Verlierer sein, obwohl SPD und CDU auch nicht besser bzw. schlechter sind.

Es gehört nicht viel dazu vorauszusagen, wer der größte Gewinner sein wird. Die AfD. Sie braucht nicht einmal etwas zu machen, da sich die anderen Parteien nun aufreiben werden. Speziell in Sachsen. Der FDP wird es mit diesem Führungspersonal kaum gelingen, aus diesen Machtkämpfen Kapital zu schlagen.

Warten wie es nun ab. Es wird reichlich Material für die L-IZ geben.

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