Es ist eine immer neue Diskussion, wie in Deutschland nun eigentlich mit dem Finanzausgleich umgegangen wird. Um die Lebensverhältnisse in Deutschland einigermaßen anzugleichen, wird permanent Geld neu verteilt - vom Bund an die Länder, von den Ländern an die Kommunen. Und trotzdem reicht es mancherorts nicht, sind die Kommunalhaushalte am Limit. Im Landkreis Görlitz zum Beispiel, wie die grüne Landtagsabgeordnete Franziska Schubert feststellt.

Es ist ihr Heimatwahlkreis und auch aufgrund der schwachen Wirtschaftskraft und der anhaltenden Abwanderung finanziell besonders knapp bei Kasse. Dabei sind es nicht mal die Schulden, die die Kommunen in Sachsen erdrücken – das verhindern schon die straffen Kontrollen durch die Landesdirektionen. Aber wer nicht genug Geld zum Ausgeben hat, kann auch viele notwendige Investitionen nicht tätigen.

„Die Zeit des Aussitzens ist vorbei. Manchem Landkreis, so etwa auch meinem Heimatlandkreis Görlitz, steht das Wasser bis zum Hals. Es gibt keinen Spielraum mehr. Zurzeit wird der kommunale Finanzausgleich im Zuge des neuen Doppelhaushalts neu verhandelt. Ich fordere Finanzminister Prof. Georg Unland (CDU) nachdrücklich auf, endlich strukturell etwas zu verändern, denn so kann es nicht weitergehen. Eine Neuordnung muss her“, fordert Schubert.

Dass die Kommunen in Sachsen prinzipiell zu geringe Steuerkraft haben, hat zuletzt auch Sachsens Finanzminister Georg Unland (CDU) in der Debatte zum Länderfinanzausgleich thematisiert. Er forderte, bei einer Neustrukturierung dieses Finanzausgleichs die mangelnde Steuerkraft der ostdeutschen Kommunen unbedingt zu berücksichtigen. Denn allein die Finanzmasse der Länder reicht nicht aus, um auch noch die schwache Steuerertragskraft der Kommunen auszugleichen. Genau deshalb sind ja die Finanzzuweisungen eigentlich flächendeckend zu gering. Nicht nur in Görlitz.

Tatsächlich gibt der Freistaat 21,618 Prozent seiner Steuereinnahmen an die Kommunen als Finanzausgleichmittel (FAG) ab.

Aber wie kommt man aus dem Dilemma heraus?

„Kritisiert ist schnell; ich bin aber eine Freundin davon, auch konkrete Punkte zu benennen, an denen etwas geändert werden kann. Als Finanzpolitikerin sehe ich da vor allem zwei Stellschrauben“, sagt Franziska Schubert. „Erstens: eine indexbasierte Zuweisung, die nicht mehr nur pro Kopf erfolgt, sondern nach einer sogenannten ‚Einwohnerveredelung‘ – das bedeutet: Jeder Einwohner, der in einem Landkreis, einer Gemeinde wohnt, die in die Kriterien passt, wird anderthalbfach gezählt – so ist es in den Großstädten schon seit Jahren. Ich sehe nicht ein, warum ein Mensch in Leipzig mehr zählen sollte als ein Mensch im Landkreis Görlitz. Die Zeiten, in denen galt: Je mehr Menschen, desto größere Belastungen, sind vorbei. Als Grundlage nehme ich den sächsischen Sozialstrukturatlas, in dem im Kreisvergleich alle Indikatoren aufgeführt werden. Das ist eine solide und machbare Möglichkeit.“

Damit könnte sie sich schon einmal eine Menge Ärger einhandeln, denn die Großstädte bekommen diese anderthalbfache Gewichtung auch deshalb, weil sie einen ganzen Berg von zentralen Aufgaben für die gesamte Region wahrnehmen – angefangen von diversen Kulturangeboten über die Schaffung von zentralen Verkehrsstrukturen bis hin zu wichtigen Bildungseinrichtungen. Und das immer auch vor dem Hintergrund, dass gerade die wichtigsten Steuerzahler oft ihren Wohnort in angrenzenden Landkreisen suchen.

Beim zweiten Vorschlag könnte die Abgeordnete zwar Leipzig aus der Seele sprechen: „Zweitens: ein sogenannter sozialer Nebenansatz, der besondere Härten berücksichtigt. Im Landkreis Görlitz liegt das vor: nicht selbst verschuldete, hohe Soziallasten. Dafür werde ich mich gezielt einsetzen.“

Auch das könnte schiefgehen. Selbst dann, wenn man – wie Franziska Schubert – den Sozialstrukturatlas von 2013 zu Rate zieht. Ganz abgesehen davon, dass die Daten nun schon vier Jahre alt sind.

Schuberts Vorschlag: „Landkreise, die lt. Sozialstrukturatlas des Landesjugendamtes für den Freistaat Sachsen 2013, folgende Indikatoren haben, sollten eine Einwohnerveredelung erhalten:

a) eine unterdurchschnittliche Steuereinnahmekraft / Einwohner
b) einen Bevölkerungsverlust durch natürlichen Bevölkerungsrückgang von mehr als -0,40 % sowie einen relativen Bevölkerungsverlust von mehr als -1,00 %,
c) eine Arbeitslosenquote von mehr als 12 %,
d) einen Anteil von mehr als zehn Empfängern von Leistungen nach SGB II je 100 Einwohner,
e) einen Anteil von Bedarfsgemeinschaften an allen Haushalten von mehr als 11 %,
f) einen rechnerischen Anteil der Bedarfsgemeinschaften mit Kindern unter 18 Jahren an allen Lebensformen mit Kindern unter 18 Jahren von über 22 %“

Aus dem 2013 erschienenen Sozialstrukturatlas des Sächsischen Staatsministeriums für Soziales und Verbraucherschutz zitiert die Abgeordnete: „Die geringsten Belastungen im Kreisvergleich liegen im Jahr 2013 in Dresden-Stadt und in Zwickau, die höchsten Belastungen im Landkreis Görlitz und in Leipzig- Stadt. […] Beim Vergleich der räumlichen Belastungsmomente nach Direktionsbezirken liegen die höchsten Indexwerte im Regierungsbezirk Dresden, gefolgt von Leipzig und Chemnitz. Insbesondere in der Region der Oberlausitz scheinen sich soziale Problemlagen zu verdichten, die die Wahrscheinlichkeit von Belastungs- und Benachteiligungsmomenten für Kinder und Jugendliche und ihre Familien erhöhen.“

Womit man im Landkreis Görlitz wäre, der aufgrund seiner Strukturschwäche deutlich heraussticht. Aber kann man das ändern, indem man mehr Mittel überweist? Das Hauptproblem war 2013 eindeutig das viel zu geringe Angebot an gut bezahlten Arbeitsplätzen, verbunden mit einer starken Abwanderung der jungen Jahrgänge und der Einwohner mit höheren Bildungsabschlüssen.

Das hat zwar eine auch für Sachsen unterdurchschnittliche Steuerertragskraft zur Folge – aber eigentlich wäre da ein wirtschaftliches Stabilisierungsprogramm viel dringender angeraten. Im Vergleich dazu sind freilich die sozialen Problemlagen in einer Stadt wie Leipzig deutlich stärker ausgeprägt.

„Der Freistaat erwirtschaftet jedes Jahr Überschüsse – das Geld ist da, an diesen Stellschrauben zu drehen. Ich kann es nicht mehr hören, dass keiner gern etwas abgeben will. Bei meinen Vorschlägen wäre das auch nicht der Fall. Was hindert die Staatsregierung also daran, den betroffenen Landkreisen und Kommunen zu helfen?“, fragt Franziska Schubert. „Auf der Grundlage des Sozialstrukturindex für den Freistaat Sachsen schlage ich indexbasierte Lösungen vor, z. B. eine Einwohnerveredelung in den Landkreisen, in denen die Indikatoren zutreffen, bei der Berechnung der Schlüsselzuweisungen (Faktor: 1,5), wie er auch für Großstädte gilt. Die Einwohnerveredelung orientierte sich bisher überwiegend an historischen Größenklassen (‚je mehr Einwohner, desto höher der Bedarf‘) – jetzt ist aber eine Orientierung an der Bedarfsfeststellung erforderlich.“

Die Großstädte, die mit der wachsenden Zuwanderung auch noch zusätzliche Aufgaben beim Schulbau, beim Kita-Bau und in der Asylunterbringung stemmen müssen, werden sich ganz bestimmt schwer tun mit diesem Vorschlag. Erst recht, nachdem sie in einer Nebenabsprache zum im Dezember beschlossenen „Gesetz zur Stärkung der kommunalen Investitions- und Finanzkraft“ 100 Millionen Euro eingebüßt haben, die nun an die Landkreise zusätzlich verteilt werden.

Es sieht ganz so aus, als könnte man das Auseinanderdriften der sächsischen Regionen mit immer neuen Umverteilungen der FAG-Mittel nicht wirklich nachhaltig lösen.

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