Wie viele Flüchtlinge sind eigentlich 2015 tatsächlich nach Sachsen gekommen? Von 50.000 war die Rede, von 69.000. Aber irgendwie erwies sich ja die ganze Registrierung als ziemlich schwierig. Und während manche Politiker sich gar nicht wieder einholen konnten mit immer neuen Millionenzahlen, tauchte erst durch diverse Nachfragen die Tatsache auf, dass wohl eher zu viel gezählt wurden. Auch in Sachsen.

Hier hat jetzt die linke Landtagsabgeordnete Juliane Nagel mal nachgefragt, wie denn nun die tatsächlichen Zahlen sind. Wind gemacht haben ja Sachsens Hardliner und Rechtspopulisten 2015 genug. Über Monate haben sie die Diskussion bestimmt und die Stimmung aufgeheizt. Und das in einer Zeit, in der der Freistaat Sachsen gut betraten wäre, eine wirklich nachhaltige Einwanderung und eine funktionierende Integration zu organisieren.

Denn eines wird aus der Antwort von Innenminister Markus Ulbig (CDU) auf die Nachfrage von Juliane Nagel klar: Tatsächlich in Sachsen geblieben sind nicht mal zwei Drittel der Menschen, die 2015 hier registriert wurden. „Aufgenommen“, sagt Markus Ulbig. Aber zwischen Ankommen und Registriertwerden und Aufgenommenwerden klafft tatsächlich eine gewaltige Lücke.

Markus Ulbig: „Nach Angaben der Landesdirektion Sachsen wurden im Jahr 2015 insgesamt 69.900 Asylsuchende aufgenommen.“

Womit eindeutig nur die erste Zählung gemeint sein kann.

Juliane Nagel hatte deswegen auch gleich weitergefragt: „Wie viele der unter 1. benannten Geflüchteten hielten sich zum 31.12.2015 tatsächlich in Sachsen auf und wie ist die Diskrepanz zu erklären? (Bitte nach Gründen aufschlüsseln.)“

Markus Ulbig: „Im Jahr 2015 wurden insgesamt 32.150 Asylsuchende in die sächsischen Landkreise und Kreisfreien Städte verteilt. Wie viele sich davon tatsächlich am 31. Dezember 2015 dort aufhielten, ist nicht bekannt. Weitere rd. 8.000 Personen befanden sich zum Jahresende 2015 in den Einrichtungen der Erstaufnahme.“

Das macht nach Adam Ries 40.150 Menschen, die 2015 in Sachsen tatsächlich irgendwie „aufgenommen“ wurden. Wobei ja der Wartezustand in den Erstaufnahmeeinrichtungen erst mal kein wirkliches Angekommensein ist. Das wird es erst, wenn die Asylbewerber in die Kommunen kommen, dort auch menschenwürdige Unterbringung finden und die Chance, sich wirklich ins gesellschaftliche Leben zu integrieren.

Von den 32.150 Asylsuchenden, die auf die Kommunen verteilt wurden, bekam Leipzig übrigens 4.230 asylsuchende Personen zugewiesen, was so ziemlich genau dem Zuweisungsschlüssel von 13 Prozent entspricht.

Markus Ulbig erklärt die Lücke zu den ursprünglich „aufgenommenen“ Flüchtlingen so: „Die Diskrepanz ist damit zu erklären, dass ein nicht zweifelsfrei ermittelbarer Anteil an Asylsuchenden ohne vorherige Abmeldung abgängig war. Dies ist auch in einer Vielzahl von Fällen geschehen, bei denen noch keine Registrierung erfolgt war. Aus diesem Grund liegen hierzu keine validen Angaben vor.“

Ob das so stimmt, kann natürlich niemand sagen. Man hat ja „keine validen Angaben“. Möglicherweise sind viele der nach Sachsen zugewiesenen Asylbewerber lieber gleich wieder weitergereist, als sie mitbekommen haben, was da in Clausnitz, Freital, Heidenau, Bautzen und andernorts abging. Möglich ist aber auch eine andere Interpretation, nämlich dass viele Flüchtlinge gleich mehrfach gezählt wurden, was die Zahl der „Aufgenommenen“ dann deutlich erhöht hat.

Und es sind ja nicht nur die Stimmungsmacher in den sächsischen Provinzen, die abschreckend wirken und Menschen zur Ab- oder Weiterreise animieren. Es ist auch die rigide Abschiebepraxis der sächsischen Staatsregierung selbst, die 2015 noch einmal forciert wurde.

Dazu verwies Markus Ulbig dann selbst auf seine Antwort an den AfD-Abgeordneten André Barth aus dem Januar, in dem er mitgeteilt hatte, dass stattliche 7.258 Menschen in Sachsen als „vollziehbar ausreisepflichtig“ eingestuft waren. Darunter auch viele Menschen aus Regionen, die bis heute Kriegs- und Bürgerkriegsgebiet sind. Das betraf 157 Afghanen, 233 Iraker, 159 Libyer, aber auch 90 Syrier. Einige von ihnen gelten als „geduldet“.

Gerade Menschen aus dem ehemaligen Jugoslawien, aber auch Menschen aus Indien, dem Libanon oder Nordafrika gelten in Sachsen als ungewollte Asylbewerber und stehen auf der Abschiebeliste ganz oben. Dass man damit gleichzeitig wieder neue Dunkelziffern erzeugt, ist den deutschen Bürokraten zumindest nicht eingängig, die Asylgewährung wie ein Gnadenrecht behandeln und die Fluchtursachen entsprechend unterscheiden in akzeptierte und inakzeptable Fluchtursachen.

Im Grunde ein ziemlich peinliches System, das dann freilich die Grauzonen erst schafft, in denen alle möglichen Leute dann vermuten, die Flüchtlinge würden darin irgendwie verschwinden.

Die Auskunft von Markus Ulbig zu den Aufnahmezahlen 2015. Drs. 4538

Die Auskunft zu den „vollziehbar Ausreisepflichtigen“ in Sachsen 2015. Drs. 3847

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