Wenn nicht ein paar Protestgruppen rundherum ein bisschen Tamtam veranstaltet hätten, wäre die 2016er Bilderberg-Konferenz im Dresdner Taschenberg-Palais wohl so lautlos vorübergeweht wie in den Vorjahren. Da hatte man auch lieber in abgeschiedener Einöde getagt und sich nicht frivol mitten auf den Markt gesetzt. Denn normalerweise tagt man im Taschenberg-Palais ja, um gesehen zu werden.

Über die Schizophrenität dieser Konferenz, zu der jedes Mal hochrangige Vertreter der internationalen Politik, aus Wirtschaft und Medien eingeladen werden, haben wir ja schon berichtet. Wenn man ungestört tagen möchte, dann sucht man sich nicht die offene Bühne und provoziert nicht nur Gegenproteste (24 solcher Veranstaltungen waren in Dresden gemeldet), sondern auch einen teuren Polizeieinsatz. Den dann wieder das gastgebende Bundesland bezahlen muss.

Selbst Sachsens Justizminister Sebastian Gemkow (CDU) hat das Gefühl, dass mit der Wahl des Tagungsortes Dresden diesmal etwas anders war. Er hat die beiden Fragenpakete des innenpolitischen Sprechers der Linksfraktion im Landtag, Enrico Stange, zur Bilderberg-Konferenz beantwortet, die vom 8. bis 13. Juni die Dresdner Innenstadt rund ums Taschenberg-Palais in einen Ausnahmezustand versetzte.

Die Kosten kann der Justizminister noch nicht beziffern, weil noch keine Rechnungen vorliegen. Aber das Aufgebot an Sicherheitskräften konnte sich sehen lassen: 420 Dresdner Polizisten waren eingebunden (als wenn sie mit Pegida nicht schon genug zu tun hätten), 500 Bereitschaftspolizisten, sogar 30 Beamte aus dem Landeskriminalamt, dazu 110 Bereitschaftspolizisten aus Sachsen-Anhalt. 15 Wasserwerfer hatte man aufgefahren für den Fall der Fälle. Zu dem es nicht kam, auch wenn sich mehrere Spontandemonstrationen zusammenfanden und die Polizei insgesamt im Rahmen dieses Einsatzes 21 Straftaten und eine Ordnungswidrigkeit feststellte. Was noch nichts sagt. Denn strafbar macht man sich ja schon, wenn man manche Gummiparagrafen des Sächsischen Versammlungsgesetzes verletzt.

Verändertes Straßenbild in Dresden. Einflug der verschwiegenen Gesellschaft. Foto: Mirko Boll
Verändertes Straßenbild in Dresden. Einflug der verschwiegenen Gesellschaft. Foto: Mirko Boll

Aber das war nur beiläufig ein Thema für Enrico Stange, den sichtlich der enorme Aufwand für so eine Konferenz ärgerte, die so tat, als sei sie ein offiziöses politisches Treffen. Was sie nicht ist. Der Aufwand entsteht nur, weil man auch jedes Mal Politiker einlädt, für die die höchste Gefährdungsstufe gilt. Wer genau, das verrät ja der Veranstalter nicht.

Und auch der Justizminister gibt die Zahl nur summarisch an: „Die Teilnehmerzahl wird sich auf ungefähr 140 Personen belaufen. Von diesen sind zehn hochrangige Personen in Gefährdungsstufen eingestuft, davon bis dato mindestens drei in die höchste Gefährdungsstufe 1, d. h. diese Personen sind erheblich gefährdet und mit einem Anschlag ist zu rechnen.“

Wobei Enrico Stange die nicht ganz beiläufige Frage interessierte, ob unter den Eingeladenen auch die eine oder andere dubiose Gestalt war, zum Beispiel ein Mensch, der sich eigentlich wegen Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Kriegsverbrechen verantworten muss.

Davon wisse man nichts, so Sebastian Gemkow, also habe man dem mangels Anhaltspunkten auch nicht nachgeforscht. Woher hätte dieser Bursche eigentlich stammen können? Ein Stichwort lautet: Mittlerer Osten. Das war eines der Kongressthemen.

Denn obwohl die Konferenz eine strikt private ist, packt sie sich jedes Mal Themen auf die Tagesordnung, die eigentlich in die Verhandlungsrunden von Staatschefs gehören. „Bei den Bilderberg-Konferenzen handelt es sich um private Arbeitstreffen hochrangiger Vertreter aus Politik, Wirtschaft, Finanzen, Militär, europäischer Adelshäuser sowie der Medien“, betont Sebastian Gemkow. „Die Konferenzen tragen rein informellen Charakter, sollen jedoch einen Konsens über gemeinsame Denk- und Handlungslinien erreichen. Organisiert werden die Zusammenkünfte vom Bilderbergkomitee. Diesjährige Ausrichterin ist die in das Treffen als Unternehmen involvierte Airbus Group.“

Nein, um moderne Verkehrsfliegerei ging es dabei nicht. Aber Airbus baut ja auch Militärfluggerät. Sollte man sich dabei etwas denken? Hier die restliche Themenliste, lang genug, dass man sich sagen könnte: Der Mittlere Osten hätte doch schon völlig ausgereicht, um für vier Tage volles Programm zu bieten.

Aber man hatte sich auch noch China vorgenommen (ohne zu verraten, ob es um die chinesische Wirtschaft ging oder den Ärger im Südchinesischen Meer), ebenso Russland (was dieselben Fragen aufwirft, diesmal mit Ostukraine und Krim). Und viel  kleiner ist auch das Thema USA nicht, wo es um deren „politische Landschaft“ gehen sollte und die Reformbedürftigkeit dieses Riesenlandes. Denn wenn Typen wie Donald Trump nach der Macht greifen, dann ist sichtlich etwas faul im Staate.

Noch nicht genug für das Mammutprogramm? Noch nicht genug. Denn Europa haben sich die privaten Meinungsbildner auch noch auf die Agenda gepackt: Migration, Wachstum, Zukunftsvision und – ach ja – Reformbedürftigkeit. Denn nachdem nun die unbelehrbaren Bürokraten (nicht nur die in Brüssel) die ganze Chose in die Sackgasse gefahren haben (vom „Brexit“ wussten die Bilderberger ja noch nichts), ist die EU überreif für die Reform. Aber ob unter den eingeladenen Würdenträgern auch nur einer war, der das bewerkstelligen könnte, darf man bezweifeln.

Noch nicht genug?

Noch nicht genug.

Denn vom selben Kaliber ist eigentlich auch das Thema „Cyber-Sicherheit“. Mittlerweile hat ja selbst die sonst so träge Bundeswehr ihre Kriegserklärung an die Angreifer im Internet erklärt und will entsprechend schlagkräftige IT-Truppen aufbauen. Aber nicht nur staatliche Hacker greifen an, auch allerlei private, kriminelle oder unternehmerische Datenkrieger sind unterwegs und gerade dabei, das wichtigste Kommunikationsprojekt der Gegenwart mit aller Macht zu demolieren. Wer weiß, was die Bilderberger dann unter „Technologischen Innovationen“ besprochen haben.

Das Taschenbergpalais in DResden. 2016 Herberge für ein privates Treffen. Foto: Mirko Boll
Das Taschenbergpalais in Dresden. 2016 Herberge für ein privates Treffen. Foto: Mirko Boll

Und ob sie dabei schon so ihre Vorstellungen haben, welche Technologien sie der Menschheit gern zumuten würden. Wissend, dass parallel alle – Staaten wie große Unternehmen –  auch noch ein bisschen Handelskrieg spielen. Auch darüber hat man sich unterhalten: „Geopolitik in Sachen Energie und Rohstoffpreisen“. Zumindest in diesem illustren Kreis weiß man, dass man mit Rohstoffpolitik viel mehr erreicht als mit jedem heiß geführten Krieg.

Manchmal löst man dabei freilich Krisen aus, die sich gewaschen haben. Und Fakt ist: Nachdem diese Leute 60 Jahre lang getagt haben, haben sie irgendwie auch mitgekriegt, dass dabei irgendetwas schiefgelaufen ist. Denn es brennt ja nicht nur im Mittleren und Fernen Osten.

Vielleicht hat man gerade deshalb Dresden gewählt, wo Pegida spaziert mit seinen ganzen irrealen Forderungen. Das Thema dazu auf der Bilderberg-Konferenz: „Prekariat und Mittelklasse“. Und das betrifft eben nicht nur Sachsen oder Ostdeutschland. Ganz Europa leidet unter dem zunehmenden Bruch zwischen Arm und Reich und der zunehmenden Zerstörung der Mittelklasse. Das war die Glut hinterm „Brexit“. Das baut in Frankreich Barrikaden und blockiert Regierungen in Spanien und Griechenland. Und das befeuert auch den amerikanischen Wahlkampf. Der große Traum des Neoliberalismus, mit einer Entfesselung „des Marktes“ die Welt mit Wohlstand zu überschütten, ist geplatzt. Es war nur ein verlogenes Programm der Umverteilung von den Armen (und damit sind auch all die rohstoffreichen Länder Afrikas, Asiens und Südamerikas gemeint) zu den Reichen im Norden.

Wir wissen nicht, was genau zu all den Themen auf der Konferenz gesagt wurde. Vielleicht befand man auch, dass alle Eingeladenen auf dem richtigen Weg seien und nur immer weiter so machen müssten. Die Konferenzveranstalter veröffentlichen ja keine Protokolle. Und die paar Teilnehmer der Vergangenheit, die mal was erzählt haben, haben sich immer kindisch darüber gefreut, dass sie mit mächtigen Entscheidern und Entscheiderinnen mal auf Augenhöhe und ohne Zuhörer reden konnten. Das soll wohl ganz angenehm gewesen sein. Vielleicht merkt man ja irgendwann mal was davon, vielleicht an einer Brise, die durch den Blätterwald geht und – na hoppla – ein Thema erscheint in ganz anderem Licht.

Enrico Stanges Anfrage zur Allgemeinverfügung während der Bilderberg-Konferenz. Drs. 5357

Enrico Stanges Anfrage zum Polizeieinsatz während der Bilderberg-Konferenz. Drs. 5358

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