LEIPZIGER ZEITUNG/Auszug aus der Ausgabe 36Flüchtlinge müssen sich integrieren. Immer wieder ist dieser Satz so oder in ähnlicher Form zu hören und zu lesen – nicht nur, aber vor allem von CDU-Politikern. Das CDU-geführte Innenministerium in Sachsen hat kürzlich eine Entscheidung getroffen, die jedoch im Kontrast zu den eigenen Forderungen zu stehen scheint. Noch bis Ende des Jahres soll die Erstaufnahmeeinrichtung in der Friederikenstraße im Leipziger Süden geschlossen werden – trotz idealer Anbindung an Infrastruktur und ehrenamtlicher Strukturen.

Vor gut einem Jahr war die Einrichtung, die mehr als 400 Menschen Platz bietet, bezogen worden. Damals suchten sowohl die Kommunen als auch die Länder händeringend nach geeigneten Immobilien. Es war die Zeit, in der sich die Fluchtbewegungen nach Deutschland auf ihrem Höhepunkt befanden. Während der Freistaat gleichzeitig Containeranlagen sowie Messe- und Sporthallen für die Unterbringung von Geflüchteten in Betrieb nahm, fand er in Dölitz in der Friederikenstraße auch eine Lösung mit deutlich besseren Bedingungen.

Tom Mehring (Name geändert), gehört zu jenen, die seit dem Spätsommer 2015 in der Einrichtung aktiv sind. Anfangs war er als ehrenamtlicher Helfer tätig, später erhielt er eine Festanstellung. Vor einigen Monaten musste er bereits um seinen Job bangen, weil sein Vertrag – ebenso wie der seiner Kollegen – kurz vor dem Auslaufen noch nicht verlängert worden war. Es gab Gerüchte, es stünde ein Betreiberwechsel bevor. Doch dann kamen die neuen Verträge, erneut befristet – diesmal auf den 31. Dezember 2016. Nun weiß er: Dann wird in der Friederikenstraße definitiv Schluss sein.

„Wir haben von der geplanten Schließung aus der Presse erfahren“, beklagt Mehring. Dies geschah Mitte September. Einige Tage später fand eine kurzfristig anberaumte Dienstversammlung statt, auf der die Heimleitung die Medienberichte bestätigte. „Viele von uns sind resigniert, die Motivation ist nun gering“, so Mehring.

In einer Pressemitteilung hatte das Innenministerium die Schließung von landesweit zwölf Erstaufnahmeeinrichtungen mit den sinkenden Zahlen der in Deutschland ankommenden Flüchtenden sowie der niedrigen Belegung bereits bestehender Unterkünfte begründet. Aktuell seien lediglich knapp 25 Prozent der vorhandenen Plätze belegt. „Die Entscheidungen zu den einzelnen Objekten erfolgten insbesondere unter den Aspekten der Geeignetheit und Wirtschaftlichkeit sowie der regionalen Ausgewogenheit“, erklärte Innenminister Markus Ulbig (CDU).

Eingang zur Einrichtung. Foto: Alexander Böhm
Eingang zur Einrichtung. Foto: Alexander Böhm

Doch gerade diese Begründung kann Mehring nicht nachvollziehen: „Zu Hochzeiten waren bei uns 70 Ehrenamtliche tätig. Die Einrichtung ist perfekt an die Stadt angebunden. Es gibt mehrere Freizeiträume, ein Fußballfeld, eine Bibliothek, behindertengerechte Zimmer und verschiedene Rückzugsmöglichkeiten. Wir können auf die Wünsche der Bewohner eingehen. Von allen Einrichtungen haben wir hier die mit Abstand besten Bedingungen.“ Anders sehe die Situation in Dölzig bei Schkeuditz aus, wo dauerhaft eine Einrichtung für 700 Personen vorgesehen ist – die aktuell jedoch noch weiter ausgebaut wird. Ehrenamtliche Unterstützung sei dort kaum zu erwarten. Zudem liegt die Einrichtung weit ab vom Schuss.

Kritisch sieht Mehring auch den Umstand, dass die Immobilie im Leipziger Süden laut früherer Medienberichte bis 2020 vom Freistaat gemietet worden sei. Dies ist tatsächlich so, wie das Innenministerium auf Anfrage bestätigt. Weitere Nutzungsmöglichkeiten würden derzeit geprüft. Für die Klagen über die Informationspolitik gab es jedoch kein Verständnis. „Der Betreibervertrag läuft am 31. Dezember 2016 automatisch aus“ so Pressereferentin Patricia Vernhold. „Insoweit war die Beendigung der Betreibung für alle Beteiligten vorhersehbar.“

Begründet wird die Schließung mit einer Nutzwertanalyse. „Dabei waren beispielsweise die Langfristigkeit der Betreiberverträge, das Vorhandensein von Erweiterungsmöglichkeiten auf der Liegenschaft, die dauerhafte Verfügbarkeit des Objektes oder die räumliche Nähe zu anderen fachbezogenen Verwaltungseinheiten von Bedeutung“, so Vernhold. Andere Objekte seien demnach besser zur dauerhaften Nutzung oder zumindest zur Vorhaltung in Reserve geeignet.

Kritik an der Entscheidung des Innenministeriums kommt auch aus dem Leipziger Stadtrat. „Ich war sehr überrascht“, erklärt Juliane Nagel (Linke). „Dass die Friederikenstraße geschlossen wird, verstehe ich nicht. Sie ist optimal gelegen und verfügt über ein gutes Netz an Ehrenamtsstrukturen. Sie läuft einfach gut – und das ist ja kein Standard in Sachsen.“ Die Einrichtung in Dölzig hingegen sei verkehrstechnisch und infrastrukturell schlecht angebunden und somit nicht integrationsfördernd. Um offene Fragen zu klären, hat Nagel im Landtag eine Kleine Anfrage gestellt.

Auch SPD-Stadtrat Christopher Zenker hält die Schließung der Einrichtung für falsch: „Die Friederikenstraße ist gut an den ÖPNV angebunden, soziale Infrastruktur ist gut erreichbar und der Standort profitiert aufgrund seiner Lage von einem Netzwerk von Ehrenamtlichen und Institutionen, die Integration von Anfang an erleichtern.“ Dölzig sei wegen kaum vorhandener sozialer Infrastruktur weniger gut geeignet. „Zudem liegt der Standort für Flüchtlinge einer Erstaufnahmeeinrichtung ungünstig an einer Landesgrenze. Ein Übertritt kann einen Verstoß gegen das Aufenthaltsgesetz darstellen.“

Laut aktueller Konzeption plant der Freistaat neben der Einrichtung in der Friederikenstraße auch die Objekte in Mockau und in der Braunstraße 9-11 stillzulegen. Die General-Olbricht-Kaserne und die Braunstraße 3-5 sollen ebenfalls bis Ende des Jahres außer Betrieb genommen werden, jedoch dann als sogenannte Sicherheitsreserve dienen. Als dauerhafte Erstaufnahmeeinrichtung ist direkt in Leipzig lediglich ein für 700 Menschen konzipiertes Objekt in der Max-Liebermann-Straße vorgesehen. Dieses soll voraussichtlich Anfang 2017 in Betrieb genommen werden.

Für Tom Mehring wird dann schon ein neues Kapitel angebrochen sein: „Ich möchte weiter im sozialen Bereich tätig bleiben und werde mich in Dölzig bewerben.“ Gut möglich jedoch, dass bei weiter sinkenden Zahlen auch die dortige Unterbringung nicht von langer Dauer sein wird.

Dieser Artikel erschien am 21.10.16 in der aktuellen Ausgabe 36 der LEIPZIGER ZEITUNG. An dieser Stelle zum Nachlesen auch für L-IZ.de-Leser. Dieses und weitere Themen finden sich in der aktuellen LZ-Ausgabe, welche neben den normalen Leipziger Presseshops hier im Szeneverkauf zu kaufen ist.

Staatsversagen in Sachsen, Armut in Leipzig, pralles Leben in Plagwitz, Reudnitz und Connewitz

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