Wenn ein Innenminister seine Arbeit nicht macht, gerät ein ganzes Sicherheitssystem in Schieflage. Es fehlen Polizisten, Ermittlungen versanden oder werden nur halbherzig verfolgt, Anklagen reifen nicht zur Gerichtstauglichkeit – aber es werden Daten gehortet im wilden Glauben, man könnte damit das Verbrechen im Land kontrollieren. Verstoß gegen Datenschutzrichtlinien mit eingeschlossen.

Das war schon mehrfach Thema in Anfragen des innenpolitischen Sprechers der Grünen-Fraktion im sächsischen Landtag, Valentin Lippmann. Eigentlich genug Anfragen, die den zuständigen Innenminister Markus Ulbig (CDU) aus seinem Winterschlaf hätten schrecken müssen. Andere Instanzen sind längst munter geworden – die Datenschutzbeauftragten der Länder zum Beispiel, die sich mit der bundesweit geführten „Falldatei Rauschgift“ (FDR) datenschutzrechtlich auseinandergesetzt haben. Unter anderem mit dem erschreckenden Ergebnis, dass diese Falldatei, mit der eigentlich die „großen Fische“ bundesweit verfolgbar werden sollten, in vielen Fällen dazu dient, auch Menschen hier zu speichern, die niemals in dieser Datenbank auftauchen dürften.

„Dementsprechend fanden sich in der bundesweit abrufbaren Datei vielfach Speicherungen, die dem Bereich der Bagatellkriminalität zuzuordnen sind. Auch wurden Personen gespeichert, bei denen kein hinreichender polizeilicher Restverdacht festzustellen war“, so die Datenschützer.

Doch in Sachsen scheint die Botschaft nicht angekommen zu sein.

Sächsische Polizeidienststellen speichern nach wie vor 15.334 Personen in der sogenannten „Falldatei Rauschgift“. So geht es aus der Antwort von Innenminister Markus Ulbig (CDU) auf eine Kleine Anfrage des Abgeordneten Valentin Lippmann hervor.

„Ich gehe davon aus, dass eine Vielzahl dieser Personendaten rechtswidrig gespeichert sind. Diesen Schluss legen die Kontrollen der Datenschutzbehörden des Bundes und der Länder nahe, die gravierende Mängel bei der Speicherung in dieser Verbunddatei festgestellt und Konsequenzen gefordert haben“, sagt Lippmann zu diesen Zahlen. „Sachsens Innenminister ist davon scheinbar vollkommen unbeeindruckt. Er hält es offenbar nicht für nötig, die von der sächsischen Polizei in dieser Datenbank gespeicherten Daten auf ihre rechtmäßige Speicherung zu überprüfen.“

Dass der Innenminister gar nicht begriffen hat, worum es geht, wird aus seiner Antwort zur Prüfung dieser Datensätze deutlich: „Mit der Erfassung einer Person im Zusammenhang mit einem FDR-relevanten Sachverhalt wird ein Prüfdatum gemäß gesetzlicher Bestimmungen angelegt, zu dem spätestens überprüft wird, ob die suchfähige Speicherung dieser Daten weiterhin für die polizeiliche Aufgabenerfüllung erforderlich ist oder ob diese Daten auszusondern bzw. zu löschen sind. Wann und mit welchem Ergebnis die gespeicherten Personendaten dahingehend überprüft wurden, ob die Voraussetzungen für die Speicherung noch vorliegen, wird statistisch nicht erfasst. Eine Auswertung im Sinne der Fragestellung würde eine manuelle Prüfung von 15.334 Personendaten erfordern.“

Ein wachsender Datenberg

Entweder gibt es eingespeicherte Prüftermine, die dazu führen, dass alle relevanten Datensätze zu diesem Zeitpunkt wieder zur Prüfung gelangen. Oder es ist ein großer Müllhaufen, in dem sich keiner mehr zurechtfindet und eine mögliche Überprüfung genau den Arbeitsaufwand erzeugt, den Ulbig als Begründung dafür liefert, dass er keine genauen Zahlen vorlegen kann.

„Ganz im Gegenteil: Seit meiner letzten Anfrage im März 2016 ist die Zahl der in dieser Datenbank von sächsischen Polizisten gespeicherten Personen von 13.263 um über 2.000 auf 15.334 angestiegen. Dieser Anstieg ist mir unerklärlich“, sagt Lippmann. „Er steht in keinem Verhältnis zu den Rauschgiftdelikten, die im Jahr 2015 ebenso rückläufig waren wie die Zahl erstauffälliger Konsumenten harter Drogen. Allein Drogenkonsum ist noch keine Voraussetzung, um in dieser Datei gespeichert zu werden. Hinzukommen muss eine Straftat von länderübergreifender oder erheblicher Bedeutung.“

Es deutet Vieles darauf hin, dass auch diese Datenbank von sächsischen Polizisten einfach genutzt wird, um alles abzulegen, was auch nur im Entferntesten mit dem großen Graufeld Rauschgiftkriminalität zu tun hat. Auch etliche Fälle von Konsumenten, die bei Kontrollen mit Rauschgift erwischt wurden, egal, in welcher Menge.

Das Ergebnis ist ein wachsender Datenbestand über Einwohner des Freistaats, die in irgendeiner Weise polizeilich registriert wurden – selbst dann, wenn sie nicht wirklich straffällig wurden. Es entsteht jener gigantische Heuhaufen aus Daten, auf den sich der NSA-Chef 2013 so stolz zeigte, als der Krake NSA durch die Enthüllungen Edward Snowdens im Zentrum der Berichterstattung stand. Aber sichtlich sind auch deutsche Minister und Polizeibehörden von der Lust auf gigantische Berge mit persönlichen Daten angesteckt. Meist mit der Begründung, dass man mit Algorithmen so schön nach möglichen Verbindungen und Verdachtsmomenten suchen könnte. Das hat zwar bislang noch nie funktioniert, nicht mal bei der Jagd nach Terrorverdächtigen. Aber der Trend zum Aufbau einer großen „Big Brother“-Datenbank ist unübersehbar.

Fahndung am Rechner und Datenschutzverstöße

„Egal welche Datenbank man sich anschaut: In Sachsen werden darin auf Teufel komm raus Personen gespeichert. Das muss endlich ein Ende haben. Die Einführung einer gemeinsamen Datenbank der Polizei aller Länder – wie sie Ende November in der Innenministerkonferenz gefordert wurden – lehne ich strikt ab. Das ist, wie man am Beispiel der Falldatei Rauschgift sieht, die organisierte Verantwortungslosigkeit zulasten des Datenschutzes“, sagt Lippmann. „Ich fordere den Innenminister auf, die rechtswidrigen Speicherungen von Personendaten endlich zu beseitigen. Er muss sicherstellen, dass die Anforderungen, die das BKA-Gesetz an die Speicherung stellt, in jeden einzelnen Fall überprüft werden. Insgesamt ist aber die Überprüfung aller Polizeidateien auf rechtmäßige Speicherung der Personendaten erforderlich. Einen entsprechenden Antrag haben wir Grünen dazu bereits im Sommer in den Landtag eingebracht.“

Auf jeden Fall erzählen diese riesigen Datenbanken vom festen Glauben einiger Polizeistrategen daran, man könne die Kriminalität im Land durch simple Fahndungsarbeit am Computer ersetzen. Die Verkäufer entsprechender elektronischer Spielzeuge werden schon eifrig damit werben. Aber das ersetzt weder eine ausreichend personell ausgestattete Polizeiarbeit noch die nötige gesellschaftliche Prävention. Es schafft ein Bild von Übersicht, die die Datenbank gar nicht bieten kann.

Und es verstößt gegen die simpelsten Datenschutzgesetze. Ein verantwortungsvoller Minister würde die nötigen Personen jetzt in die Spur schicken, um diese Datenbank auszumisten und einen transparenten Prüfmodus einbauen zu lassen.

Aber gibt es den überhaupt in Sachsen?

Grünen-Antrag „Unabhängige Überprüfung der Erhebung, Speicherung und sonstigen Verarbeitung personenbezogener Daten durch die sächsische Polizei und den Verfassungsschutz – Taskforce einrichten“ (Drs 6/5672).

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