Natürlich ist es keine Überraschung in Sachsen, wenn an bestimmten Gerichten die Prozesse über Jahre nicht zustande kommen. Der Autor Jürgen Roth hat ja jahrelang darüber berichtet, wie deutsche Landesregierungen versuchen, ganz bestimmte Themen sowohl aus den staatsanwaltlichen Ermittlungen als auch einer öffentlichen Gerichtsverhandlung herauszuhalten. Hier wurde schon Personal eingespart, als anderswo noch nicht gespart wurde.

Warum das so ist, kann man in all seinen Büchern nachlesen, in denen der investigative Autor erzählt, was er von Beamten, Ermittlern, Richtern, Politikern, Staatsschützern – zumeist in vertraulichen Gesprächen – erfahren hat. Seine Bücher beschäftigen sich mit kriminellen Netzwerken, mit Korruption, mit Geldwäsche, mit unheiligen Allianzen zwischen Staatsapparat und organisiertem Verbrechen, Klientelwirtschaft und dem Versuch gieriger Politiker, neben ihrem offiziellen Amt noch ein paar delikate Geschäfte zu machen.

Ob das nun mit der Herkunft der Personen zusammenhängt, ist meist offen. Aber mehrere seiner Bücher beschäftigen sich auch mit der Tatsache, dass der scheinbar 1990 so hübsch weiß gewaschene Osten diesen Verwerfungen ganz und gar nicht entging und auch hier politische Netzwerke entstanden, die im Schatten der Macht ihre eigenen Interessen verfolgten, Gesetze eigenwillig auslegten oder dem Treiben dubioser Geschäftemacher sehr tatenlos zusahen. Dem „Sachsensumpf“ hat Roth viele große Kapitel in seinen Büchern gewidmet.

Klaus Bartl, rechtspolitischer Sprecher der Linksfraktion im Sächsischen Landtag, bringt das Thema Prozessverschleppung jetzt wieder auf den Tisch, nachdem er unter anderem einen Artikel dazu in „Der Spiegel“ gelesen hat: „Explosive Mischung“. Über den akuten Richtermangel in Sachsen berichteten zuletzt auch endlich mal ein paar Medien mehr („Dresdner Morgenpost“: „Justizminister Gemkow will alte West-Richter loswerden“, „Leipziger Volkszeitung“. „Sachsens Richter machen Platz für Jüngere“). Die L-IZ hat das Thema dem frisch gekürten Justizminister Sebastian Gemkow (CDU) schon 2014 serviert.

Seitdem plagt er sich mit den Sünden seiner Vorgänger, die genauso wie die Kollegen bei Polizei und Schulen glaubten, sie könnten einfach mal das Personal zusammenstreichen, dann würden wohl die Gerichtsverfahren in Sachsen viel flotter ablaufen.

Das Gegenteil ist der Fall: Viele Prozesse dauern immer länger, manche Richter schaffen es gar nicht mehr, den Berg auf ihrem Schreibtisch abzuarbeiten. Und da ist noch gar nicht eingerechnet, dass viele Fälle gar nicht erst zur Verhandlung kommen, weil Polizei und Staatsanwaltschaft es nicht schaffen, den Fall abschließend zu bearbeiten. Zudem ist auch Sachsens Richterschaft kräftig überaltert. Die Einstellung von mehr jungen Juristen hätte schon unter Gemkows Amtsvorgänger beginnen müssen. Jetzt ist es  Gemkow, der den Generationenwechsel hinbekommen muss, ohne die Prozesse im Gerichtswesen noch zusätzlich zu bremsen.

„Besonders die Staatsschutzkammern und die mit Organisierter Kriminalität befassten Gerichte sind seit Jahren hoffnungslos überlastet – hier muss den gewachsenen Fall-Zahlen durch eine personelle Schwerpunktsetzung in der Justiz entsprochen werden“, kommentiert Bartl die Sachlage in den besonders brisanten Justizbereichen. „Dass die beiden Hauptaufklärer in der ‚Sachsensumpf‘-Affäre von 2007 erst zehn Jahre nach Eröffnung des Ermittlungsverfahrens und sieben Jahre nach Erhebung der Anklage die Chance haben, sich in einer Gerichtsverhandlung verteidigen zu können, ist ein Skandal.“

Und nicht nur da klemmt es.

„Ebenso skandalös aber ist, dass nun deswegen vier Jahre nach der Anklage gegen die führenden Köpfe der rechtsextremistischen Gewalttäter-Vereinigung ‚Faust des Ostens‘ eine Verhandlung darüber sich weiter verzögert. Es ist nicht hinnehmbar, dass rechtlich und politisch hochbrisante Verfahren über Jahre verschleppt werden“, sagt Bartl.

Übrigens nicht das einzige Strafverfahren gegen gewalttätige Rechtsextreme, das sich hinschleppt. Gerade im rechtsextremen Milieu sind Dutzende Straftäter über Jahre auf freiem Fuß und häufen ganze Berge von Straftaten an, bevor auch nur der erste Gerichtstermin angesetzt wird.

In Bezug auf die Mitglieder der rechtsradikalen Gruppe „Faust des Ostens“ teilte Justizminister Sebastian Gemkow im Januar auf Anfrage des grünen Landtagsabgeordneten Valentin Lippmann mit: „Über die Eröffnung des in der Fragestellung genannten Hauptverfahrens ist durch das Landgericht Dresden bisher noch nicht entschieden worden. Wann über die Eröffnung des Hauptverfahrens durch das Landgericht Dresden entschieden wird, unterliegt der richterlichen Unabhängigkeit.“

Eine Unabhängigkeit, die die Öffentlichkeit durchaus kritisch sehen dürfte, denn die Mitglieder der Gruppe haben eine ganze Latte von Straftaten auf dem Kerbholz. Und wo es keine gesellschaftliche Sanktion gibt, machen die Mitglieder einer solchen kriminellen Gruppe einfach weiter. Einige Gruppenmitglieder waren auch mit dabei, als im Januar 2016 der Leipziger Ortsteil Connewitz überfallen wurde.

Wenn diese Verzögerung Ergebnis der Personalnot ist, dann haben die Bürger hier einen exemplarischen Fall, wie sehr die Sparpolitik der letzten Landesregierung ihr ganz persönliches Umfeld unsicherer gemacht hat.

Bislang gab es auch im Gerichtswesen nur lauter Trostpflaster, um das Problem zu lindern.

Klaus Bartl: „Die vor einigen Jahren eingeführte Ruhestandsregelung zur Linderung des Personalmangels und Abwendung eines Personalnotstands ist nur eine Verlegenheitslösung. Ob die Rechnung aufgeht, dass die ‚alten Häuptlinge‘ bis zu drei Jahre eher in Pension zu gehen bereit sind und die ‚Indianer‘ dafür bis zu drei Jahre länger arbeiten, bis der Nachwuchs eingearbeitet ist, darf bezweifelt werden. Feststeht eines: Um weitere zusätzliche Stellen im Stellenplan der sächsischen Justiz kommt Minister Gemkow kaum herum, wenn er sich am Bedarf orientiert.“

Aber wie man weiß, fehlt ja der Landesregierung bis heute ein echtes Personalentwicklungskonzept. Man arbeitet dran. Aber wahrscheinlich fehlen die Leute.

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