Wenn erwachsene Menschen im Biologieunterricht nicht gut aufgepasst haben, dann kommt dabei so etwas heraus wie der gemeinsame Antrag von CDU und SPD im Sächsischen Landtag „Entwicklung der Mink-, Marderhund- und Waschbär-Population im Freistaat Sachsen“. Invasive Arten sind ein Problem, keine Frage.

Kein neues, auch wenn jetzt ein paar Leute so tun, als sei es mit der jüngsten Phase der Globalisierung nach Europa gekommen. Aber die Globalisierung begann schon 1492, als Christopher Kolumbus losfuhr nach Westindien und auf einmal Amerika im Weg lag, von wo in den folgenden Jahrhunderten dutzende Tier- und Pflanzenarten nach Europa eingeschleppt wurden. Fast alle höchst bewusst und in der Überzeugung der Importeure, sie würden der hiesigen Flora und Fauna guttun. So war das auch mit dem Aussetzen des ersten Waschbärenpärchens 1934 in Hessen. Der Mink oder auch amerikanische Nerz wurde zuerst in europäischen Pelztierfarmen gehalten und schaffte irgendwann in den 1950er Jahren den Ausbruch in die Freiheit.

Der Marderhund kam aus Japan zu uns. Hier waren es die Russen, die den Räuber auf ihrem Gebiet zwischen 1929 und 1955 heimisch gemacht hatten.

Alle diese Tiere haben in ihrer Heimat eine spezielle ökologische Nische besetzt. Wenn sie in ein fremdes Ökosystem versetzt werden, ist diese Nische aber in der Regel von einer anderen Tierart besetzt. Wer sich mit dem Thema erstmals beschäftigt, nimmt dann an, da könne ja nicht viel passieren: Das Tier, das die Nische schon besetzt hat, ist doch eigentlich im Vorteil?

Ist es aber tatsächlich nicht, was gerade bei der Ausbreitung des ebenfalls aus Amerika stammenden Grauhörnchens in England beobachtet werden kann. Auch diese putzigen Tiere wurden 1889 ganz bewusst ausgesiedelt. Eigentlich haben sie ihrem europäischen Vetter, dem Eichhörnchen, nichts voraus. So scheint es jedenfalls. Doch tatsächlich sind sie ein neuer Stressor im Revier der Eichhörnchen. Das einheimische Eichhörnchen hatte auf einmal eine Konkurrenz, die ihm das Leben schwerer machte. Dazu kommen einige Krankheiten, die das Grauhörnchen mitbrachte. Nicht das Grauhörnchen hatte den zusätzlichen Stress, sondern das Eichhörnchen. Das eingebürgerte Grauhörnchen verdrängte das Eichhörnchen.

Ganz ähnlich ist es auch mit den drei Neozoen, um die sich der Antrag von CDU und SPD kümmern will.

Wobei sich Kathrin Kagelmann, Sprecherin der Linksfraktion für ländliche Räume, fragt, worum es den beiden Fraktionen tatsächlich geht. Denn auf der Abschussliste der Jäger stehen alle drei Tierarten schon längst.

Die sächsische Jagdstreckenstatistik. Grafik: Linksfraktion Sachsen
Die sächsische Jagdstreckenstatistik. Grafik: Linksfraktion Sachsen

Sie hat sich vom Jagdverband extra die sächsische Jagdstreckenstatistik besorgt.

Und die zeigt ziemlich eindeutig: „Seit Jahren steigen die Abschusszahlen für Waschbären, Marderhunde und Minke. Im Jagdjahr 1992/1993 wurden in Sachsen drei Waschbären und ein Marderhund erlegt, kein Mink – aber etwa 100 Dachse und 16.500 Füchse. Im Jagdjahr 2013/2014 waren es etwa 5.600 Waschbären, 780 Marderhunde, 130 Minke, 2.000 Dachse und 12.700 Füchse. Wenn man die Strecke von einheimischen Raubtieren – Fuchs, Dachs und Steinmarder – der Strecke der Neuankömmlinge Waschbär, Marderhund und Mink gegenüberstellt, wird klar: Schon heute gehören etwa 40 Prozent der erlegten Raubtiere zu ‚invasiven Arten‘“, stellt Kagelmann fest. „Addiert man die Raubtiere, die in der Lage sind, größere Wildtiere zu erlegen – Waschbär, Marderhund, Fuchs und Dachs – ergibt sich eine seit 1994 beinahe stabile Gesamtzahl von rund 27.000 erlegten Raubtieren.“

Trübe sieht es eher bei Feldhase und Wildkaninchen aus, die durch die intensivierte Landwirtschaft immer mehr aus den sächsischen Landschaften verschwinden.

Aber das war ja nicht Thema des CDU/SPD-Antrags.

„Im Freistaat Sachsen kommen Mink, Marderhund und Waschbär nahezu flächendeckend vor. Durch das Wanderverhalten der Jungtiere, teilweise auch in urbane Gebiete, kann mit einer weiteren Ausbreitung dieser drei Wildtierarten gerechnet werden“, heißt es im Antrag. Und: „Da derartige Maßnahmen nur mittelfristig wirksam sein werden, sollten auch zum Schutz der heimischen Artenvielfalt kurzfristige Präventionsmaßnahmen gegen eine weitere Ausbreitung von Mink, Marderhund und insbesondere Waschbären geprüft werden. Dazu zählt vor allem auch die Sensibilisierung der Bevölkerung, z. B. durch Vermeidung von Nahrungs- und Unterschlupfmöglichkeiten für den Waschbären.“

Wenn das nur so einfach wäre.

„Der Antrag von CDU und SPD greift zu kurz. Wenn der angestrebte Prüfauftrag nicht trivial sein soll, müssten ein größerer Zeitraum, eine größere Zahl von Tierarten und die Wechselwirkungen zwischen denselben untersucht werden. Und allein mit einer stärkeren Bejagung, auf die es die Koalitionäre wohl abgesehen haben, lassen sich die Populationen nicht regulieren“, stellt Kagelmann fest. Und kommt dann auf die Veränderung zu sprechen, die passiert, wenn Neozoen die Nischen heimischer Tierarten übernehmen und den Druck auf bedrohte Tierarten erhöhen.

„Immer wieder wird mit Verweis auf den ‚Schutz der heimischen Artenvielfalt‘ gegen Tierarten zu Felde gezogen, die sich hier neu etabliert haben. Diese Neobiota sind allerdings Symptome für Probleme in unserer Umwelt, nicht das Problem selbst“, sagt die Landtagsabgeordnete etwas eigentlich Selbstverständliches. Viele Freiräume für die eingeschleppten Räuber sind nur entstanden, weil flächenmäßig Schutzräume für heimische Tierarten zerstört wurden. „Es ist belegt, dass z. B. im Oberlausitzer Teichgebiet die Kolonien der Flussseeschwalbe durch Nestplünderungen des Amerikanischen Minks bedroht sind. Der Europäische Nerz hatte vor seiner Ausrottung dieselben Lebensraumansprüche. Naturschützer sind sich einig, dass Nestplünderungen durch Minke inakzeptabel sind, fordern Gegenmaßnahmen. Es wäre interessant, wie sie unter gleichen Umständen für die heimischen Nerze argumentieren würden. Denn die eigentliche Ursache liegt woanders: Durch das Handeln des Menschen haben sich die Brutkolonien dieser seltenen Vögel so stark dezimiert, dass ihre Fressfeinde zum Problem werden.“

Wenn CDU und SPD jetzt also „kurzfristige Präventionsmaßnahmen zur weiteren Ausbreitung des Minks, des Marderhundes und des Waschbären“ beantragen, kommen sie sichtlich um Jahre zu spät. Denn seit 1990 haben sich alle drei Tierarten in ganz Sachsen ausgebreitet. Besonders die vergangenen zehn Jahre sind dafür typisch. Wurden 2006 noch 498 Waschbären geschossen, so waren es 2013 schon 5.616. Trotz steigender Abschusszahlen scheint sich die Population also massiv zu erhöhen, weil sie in Sachsen augenscheinlich ideale Lebensbedingungen vorfindet. Gerade der Waschbär ist dafür bekannt, dass er sich auch in urbanen Strukturen ansiedelt und von den reichlich in der Landschaft verteilten Lebensmitteln der Großstädter zehrt.

Wie eine wohl über Zehntausende zählende Population präventiv an der Vermehrung gehindert werden soll, dürfte durchaus ein Rätsel sein.

Wenn man denn nicht gleich zu ganz wilden Mitteln greifen will, wie die vom Jagdfieber gepackte AfD, die gleich ihren Änderungsantrag nachschob. Sie würde gleich mal 10 Euro Prämie für jedes erlegte Tier ausloben. Und weil diese Räuber meistens nachtaktiv sind, würde die AfD auch gleich ein bisschen Geld für Fallen in die Hand nehmen: „Der reine Abschuss von Mink, Marderhund und Waschbär ist insbesondere durch ihre Nachtaktivität nicht zielführend. Der Einsatz von Fallen ist unumgänglich. Eine bewährte Fallenart ist die Betonrohrfalle, die eine hohe Sicherheit für Mensch und Tier bietet, robust ist und bei als neugierig geltenden Tierarten, wie Fuchs, Marderhund, Mink und Waschbär, gute Fangerfolge erzielt. Die kostenintensive Erstanschaffung sollte finanziell unterstützt werden.“

Das klingt im AfD-Ton alles leicht umsetzbar und von garantiertem Erfolg geprägt. Aber mit solchen Fallen wird man der Zahl der Tiere ganz bestimmt nicht Herr. Erst recht nicht, weil sie nichts an den jetzt existierenden Lebensräumen und dem reichlichen Futterüberangebot ändern. Und auch nichts daran, dass die ursprünglich stabilen Ökosysteme in Sachsen nur noch zerstückelt existieren und den ursprünglichen heimischen Arten kaum noch Schutz und Rückzugsraum bieten.

Da sind die eingeführten Räuber schlicht im Vorteil. Die sächsischen Kulturlandschaften sind ihr ideales Terrain. Und wahrscheinlich wäre auch der engagierteste wissenschaftliche Ansatz ein ziemlich vergebliches Bemühen, die Vermehrung dieser Tiere zu beenden. Es sind unsere eigenen Zerstörungen der Landschaftsschutzräume, die den Tieren erst das Feld zur fröhlichen Vermehrung geschaffen haben. Und da nicht mal ein Umdenken in der Naturschutzpolitik sichtbar ist, ist auch der Vorstoß von CDU und SPD eher ein hilfloser Versuch, die Neozoen an der Ausbreitung zu hindern, während unsere heimischen Tierarten zunehmend vom Aussterben bedroht sind.

Der Antrag von CDU und SPD. Drs. 7029

Der Zusatzantrag der AfD. Drs. 8302

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