Am Dienstag, 21. März, war mal wieder Internationaler Tag des Waldes. Nicht unbedingt ein Tag, an dem Sachsens Regierung die Waldhörner bläst und Erfolge bei der Waldrevitalisierung verkündet. Dazu betrachtet man Wald noch viel zu sehr als Wirtschaftsforst. Dass er auch Schutzraum für biologische Vielfalt sein könnte, hat Sachsens Umweltminister nicht wirklich auf der Arbeitsagenda.

Was bei der Gelegenheit Wolfram Günther, umweltpolitischer der Grünen-Fraktion im Sächsischen Landtag, thematisiert. Er hat Umweltminister Thomas Schmidt (CDU) ein kleines Paket Fragen gestellt, in dem es um die Prozessschutzflächen in Sachsens Wäldern geht. Das sind Flächen, die von intensiver Forstbewirtschaftung ausgenommen sind. Das Fazit, so Günther, ist ernüchternd.

„Auf Beschluss der Bundesregierung sollten bis zum Jahr 2020 zehn Prozent der Wälder in öffentlicher Hand als Wildnisflächen ausgewiesen sein. Statt der nötigen 20.500 Hektar sind in Sachsen allerdings bisher nur 12.000 Hektar Landeswald ohne forstliche Nutzung. Damit verfehlt die sächsische Staatsregierung dieses Ziel deutlich“, stellt Wolfram Günther fest. „2016 waren lediglich sechs Prozent des sächsischen Staatswalds von der forstlichen Nutzung ausgenommen. Das ist viel zu wenig. Ziel der vom Bundeskabinett 2007 beschlossenen ‚Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt‘ sind zehn Prozent aller Waldflächen in öffentlicher Hand. Von 205.000 Hektar Wald im Besitz des Freistaats waren 2016 lediglich 12.000 Hektar als Wildnisfläche frei von forstlicher Nutzung. Seit 2007 (dem Jahr des Beschlusses) bis zum Jahr 2016 hat sich der Anteil dieser sogenannten Prozessschutzflächen lediglich um ca. 500 Hektar in Sachsen erhöht.“

Entwicklung der Prozessschutzflächen in Sachsens Wäldern. Grafik: Freistaat Sachsen
Entwicklung der Prozessschutzflächen in Sachsens Wäldern. Grafik: Freistaat Sachsen

Solche geschützten Flächen entwickeln sich auch zu wichtigen Rückzugsräumen für Tiere und Pflanzenarten. Aber wo selbst der Freistaat mit seinem großen Waldbesitz kein Vorbild ist, sehen auch private und kommunale Waldbesitzer augenscheinlich keinen Anlass, solche geschützten Waldareale auszuweisen.

Im gesamten sächsischen Wald inklusive Privatwald waren 2016 sogar nur 2,6 Prozent der Waldflächen Prozessschutzflächen.

Die privaten Waldbesitzer haben tatsächlich nur 0,4 Prozent ihrer Wälder als Waldschutzflächen ausgewiesen. Die Kommunen sind nicht besser. Auch sie kommen nur auf 0,4 Prozent. Was teilweise auch damit zu tun hat, dass die Wälder selbst unter Nutzungsstress stehen und keine natürlichen Bedingungen mehr haben – wie beim Leipziger Auenwald, eigentlich ausgewiesenes Naturschutzgebiet, aber immer noch von der regelmäßigen Wasserzufuhr der Flüsse abgeschnitten. Also versucht der Stadtforst mit künstlichen Eingriffen, eine auenwaldähnliche Struktur zu erhalten bzw. wiederherzustellen, was dann immer wieder auch zu massiven forstwirtschaftlichen Eingriffen führt.

Für die gesamten Waldflächen inkl. des Privatwaldes in Deutschland hat sich die Bundesregierung als Ziel auf fünf Prozent Wildnisflächen bis 2020 verpflichtet. Da sich der Wald in Deutschland etwa zur Hälfte in Privatbesitz befindet, auf den wenig staatlicher Zugriff existiert, soll dieses Ziel damit erreicht werden, dass zehn Prozent der öffentlichen Waldflächen dauerhaft der natürlichen Entwicklung überlassen werden sollen.

Aber dieses Ziel strebt Sachsens Umweltminister auch nicht wirklich an. Seit 2014 stagniert das Ausmaß der Prozessschutzflächen im Staatsforst bei 12.089 Hektar, nachdem es noch unter Umweltminister Frank Kupfer (CDU) jedes Jahr um ein paar Hektar gewachsen war. Ähnlich stagniert auch die Entwicklung beim Kommunalwald, deutliches Zeichen dafür, dass jede Konsequenz in der zuständigen Landespolitik fehlt.

„Wildnisflächen können einen wichtigen Beitrag zum Rückgang des Artensterbens leisten“, erläutert Wolfram Günther. „Auf ausreichend großen ungestörten Wildnisflächen lassen sich zudem wertvolle Erkenntnisse gewinnen, wie sich unsere Wälder und Forsten im Zuge des Klimawandels natürlich entwickeln werden. In den letzten Jahren hat die sächsische Staatsregierung die Ausweisung von Wildnisflächen im Wald völlig verschlafen. Um das Ziel noch zu erreichen, müsste Minister Schmidt bis 2020 ca. 8.500 Hektar weitere Waldfläche ausweisen, auf denen keine forstliche Nutzung mehr stattfinden darf. Ich fordere den Minister auf, endlich in die Gänge zu kommen und seine Rolle als Umweltminister wahrzunehmen.“

Immer geht es dabei um das Thema Biodiversität, das der amtierende Umweltminister immer wieder gern umschifft – auch in der Landwirtschaft, wo Rückzugsräume am Rande der intensiv bewirtschafteten Felder fast verschwunden sind. Aber auch der letzte Nachhaltigkeitsbericht der Landesregierung zeigte den Stillstand: Die ausgewiesenen Naturschutzgebiete in Sachsen sind so klein und so zerstückelt, dass sie als Lebensraum der geschützten Tier- und Pflanzenarten oft gar nicht funktionieren. Die geschützten Räume sind zu klein, Brücken für notwendige Tierwanderungen fehlen.

„Würde die Staatsregierung endlich zehn Prozent der Landeswaldfläche als Prozessschutzflächen ausweisen, ließe sich ein Netz von naturnahen nutzungsfreien Wäldern und Waldreservaten mit Altholzbeständen entwickeln. Gemeinsames Ziel sollte es sein, dass innerhalb der angestrebten zehn Prozent der Landeswaldfläche in Sachsen auch großräumige, unzerschnittene Waldgebiete in der Größe von mehreren hundert bis tausend Hektar dauerhaft aus der forstlichen Nutzung genommen werden. Nur in solchen Gebieten können sich Wälder mit einer echten Naturwalddynamik als ‚Urwälder von morgen‘ entwickeln”, beschreibt Günther das Problem, um das sich derzeit augenscheinlich niemand im Umweltministerium kümmern möchte.

„Neben der Ausweisung solcher großer Prozessschutzflächen sprechen wir Grünen uns dafür aus, ein Netzwerk vieler kleiner, unbewirtschafteter Waldflächen zu realisieren, die vielfältige Artenschutzfunktionen erfüllen. Im Hinblick darauf, dass Prozessschutz u. a. auch die Ausbreitungs-, Rückzugs- und Reproduktionsräume seltener, naturschutzfachlich wertvoller oder gefährdeter Arten erhalten und schützen will, sind auch kleine, dauerhaft nutzungsfreie Flächen als Elemente der Biotopvernetzung überaus bedeutsam.“

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10 % aller Waldflächen im Besitz der öffentlichen Hand sollen Wildnis werden? Das Ziel ist zu erreichen – Privatisierung….

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