Am Dienstag, 25. April, haben Innenminister Markus Ulbig und der Präsident des Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV), Gordian Meyer-Plath, den sächsischen Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2016 vorgestellt. Der ist so offensichtlich für die Katz, dass man sich fragt: Warum wird überhaupt Zeit und Papier für so ein Ausmalbuch verschwendet? Denn mehr ist es nicht: Malen nach Farben.

Auch wenn Ulbig und Meyer-Plath ganz sicher taten, dass „anhand regionaler Lagebilder zum Rechts-, Links- und Ausländerextremismus  … verfassungsfeindliche Entwicklungen im Freistaat aufgezeigt“ werden. Dass die einzelnen Ereignisse sogar „analytisch eingeordnet und bewertet“ werden, gar noch versehen mit „Ausblicken und Prognosen zur Entwicklung in den kommenden Jahren“.

„Der Verfassungsschutz im Freistaat hat alle Phänomenbereiche weiterhin konsequent auf dem Radar. Wir können für Sachsen in keinem Bereich Entwarnung geben, wenngleich die Gewaltstraftaten beim Rechts- und Linksextremismus zuletzt rückläufig waren“, sagte Innenminister Markus Ulbig dann auch noch wörtlich bei der Vorstellung des Auswahlbuches am Dienstag in Dresden.

So nebenbei merkte er auch noch an, dass im vergangenen Jahr mit der Identitären Bewegung und den Reichsbürgern neue Beobachtungsobjekte hinzugekommen seien.

Und er wurde nicht mal verlegen dabei, denn dass der sächsische Verfassungsschutz diese eindeutig verfassungsfeindlich operierenden Gruppen überhaupt in die Beobachtung aufnahm, geschah nur durch jahrelangen Druck der Oppositionsparteien im Landtag und die aufsehenerregenden Vorfälle im vergangenen Jahr. Denn Sachsens Verfassungsschutz neigt seit Gründung dazu, die Dinge zu verharmlosen, gerade die im rechten Spektrum.

Dass am Ende die Bundesanwaltschaft Fälle wie die Terrorgruppe in Freital auf ihren Tisch zog, hat genau damit zu tun: Sachsens Verfassungsschutz hat gerade das, was wirklich brandgefährlich ist im Land, überhaupt nicht auf dem Radar. Man beobachtet lieber Demonstrationen. Oder liest lieber gleich die Berichte der Polizei und zieht die Zahlen da heraus.

Die Analysen, von denen Ulbig spricht, sind dann auch oberflächlich wie die abendliche Tagesschau.

Markus Ulbig: „Asyl- und Integrationsfragen, weltweit komplexer werdende Krisenherde, Terroranschläge, zunehmende internationale Spannungen sorgen auch in unserer Gesellschaft für mehr Konflikte und Aggression. In den Sozialen Medien macht sich Hetze gegen Fremde und Andersdenkende breit. Misstrauen gegen die etablierte Politik wird – von rechts wie von links und auch durch islamistische Protagonisten – zielgerichtet geschürt.“

Und? Hat der Verfassungsschutz irgendein Instrument, Brandherde zum Beispiel in den sozialen Netzwerken frühzeitig zu identifizieren? Personen zu lokalisieren? Strukturen zu erkennen, in denen sich Leute gegen Staat, Verfassung und inneren Frieden organisieren?

Sichtlich nicht.

Man zählt dafür lieber große, gut identifizierbare Gruppen, die man dann einfach in einen Sack steckt: Rechtsextreme, Linksextreme, Islamisten. Bei allen dreien steigen – wie es scheint – die Mitgliederzahlen. Was nicht wirklich bedeutet, dass alle diese Leute auch straffällig werden. Das ist das Problem am Verfassungsschutz: Er versucht klare Gruppengrenzen zu malen, die es in der Realität nicht gibt. Und dadurch bekommt er viel zu spät mit, wenn Leute aktiv werden, die nicht ins plumpe Beobachtungsschema passen. Was ja 2015/2016 geschehen ist, als sich scheinbar brave Bürger auf einmal sichtlich radikalisierten und auch den emotionalen Hallraum schufen, in dem dann rechtsextreme Anschläge sogar bejubelt wurden.

„Diese gesellschaftlichen Entwicklungen sind besorgniserregend und bereiteten auch im vergangenen Jahr den Nährboden für Extremismus“, meinte Ulbig am Dienstag. Und statt auf die Fehlstellen in der Arbeit des Verfassungsschutzes einzugehen, verfiel er gleich wieder in die übliche Pose: „Der Rechtsstaat wird weiterhin entschieden durchgreifen, Täter ermitteln und bestrafen. Je stärker der Rechtsstaat auftritt, umso wirkungsvoller können Extremisten abgeschreckt und enttarnt werden.“

Ein zusammengesparter Rechtsstaat, der wichtige Prozesse über Jahre liegen lässt? Sogar bei eindeutig als Terrorgruppe aktiven Personen zögert und nicht zugreift und wartet, bis es Schützenhilfe vom Bund gibt?

Natürlich kann der Verfassungsschutz nicht besser sein als ein insgesamt auf Verschleiß gesparter „Rechtsstaat“. Entsprechend oberflächlich sind seine Ergebnisse.

Ob er dabei wirklich vorbereitet ist auf die zunehmenden Aktivitäten des „jihadistischen Islamismus“?

„Terroristen wollen unsere westlichen Gesellschafts- und Wertesysteme zerstören und uns auf grausame Art und Weise vor Augen führen, wie verwundbar wir sind. Der Verfassungsschutz ist auch hier ein wichtiges Frühwarnsystem, geht Hinweisen entschieden nach und kooperiert mit Behörden innerhalb und außerhalb Sachsens“, betonte der Innenminister.

Die aufgeblähten Zahlen des Ministers konterkarierte dann der SPD-Innenexperte Albrecht Pallas ein wenig und wies darauf hin, dass das Bild von den Extremisten, die fleißig immer neue „Leute rekrutieren“, wahrscheinlich  falsch ist. Extremismus ist keine Rekrutierungsbewegung, sondern ein Zeichen für die demolierte Integrationskraft einer Gesellschaft.

„Erfreulich ist der Rückgang extremistischer Gewaltstraftaten“, stellte Pallas nüchtern fest. „Das ist aber nur die eine Seite der Medaille. Denn nach wie vor vergiften Hass und Gewalt das gesellschaftliche Klima. Der weitere Anstieg rechtsextremistischer Straftaten, aber auch die Gefahren durch die wachsende Zahl gewaltbereiter Autonomer zeigen dringenden Handlungsbedarf auf. Um es deutlich zu sagen: Wir brauchen nicht nur einen starken Rechtsstaat, wir brauchen im ganzen Land auch Präventionsangebote und Zivilcourage. Da sind Eltern wie Lehrer, Sozialarbeiter wie Jugendorganisationen, Kommunen wie Unternehmen gefragt und gefordert. Polizei und Justiz sind an dieser Stelle ‚die letzte Instanz‘.“

Und der Verfassungsschutz? Nicht mal ein guter Beobachter. Die Analyse, die Ulbig verspricht, gibt es nicht. Jedenfalls nicht im Verfassungsschutzbericht. Keine konkreten Beobachtungen zu Entwicklungen, zu Brennpunkten und Radikalisierungen. Nichts. Man nimmt einfach Kurden als Ausländerextremisten und Salafisten als Islamisten, Autonome (und noch so ein paar linke Sektierer) als Linksextremisten, dasselbe bei den Rechten, fertig der Salat. Bei dem nur eines sicher ist: Dass er die sächsischen Verhältnisse nicht wirklich ernsthaft abbildet.

Eine Zusammenfassung der „Ergebnisse“ aus dem Verfassungsschutzbericht 2016.

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