Wohl zu Recht fühlten sich die Grünen im Sächsischen Landtag veräppelt, als ihnen der Innenminister auf zwei Fragenpakete zur Gebietsreform von 2008 lapidar mitteilte: „Eine Evaluation und/oder ein Monitoring hinsichtlich der Auswirkungen der Gebietsreform in Bezug auf die kommunalen Haushalte und deren Ausgabegruppen ist nicht durchgeführt worden.“

Da führt die sächsische Regierung 2008 mit viel Getrommel und Heilsversprechen eine gewaltige Gebiets- und Funktionalreform durch, schmeißt zuvor eigenständige Landkreise zusammen, beschneidet den Regierungsbezirk Leipzig, dünnt die Bezirksdirektionen aus und weist den Kommunen viele Aufgaben zu, die zuvor Landesaufgaben waren – und dann fühlt man sich in den nächsten neun Jahren nicht einmal animiert, mal nachzurechnen, ob diese riesige Reform irgendetwas gebracht hat. Und was sie gebracht hat.

Oder ob sie gar das gebracht hat, was man damals den Bürgern versprochen hat.

Logisch, dass die Grünen sich von soviel Arbeitsverweigerung brüskiert fühlen. Und nicht nur sie. Denn auch die betroffenen Bürger haben wohl zu Recht das Gefühl, dass diese Reform alles Mögliche bedeutete – aber keine Erleichterung für ihr Leben in den zusehends aufgeblähten Kreisen.

„Mit zum Teil über 2.000 km² Größe wurden riesige Flächenlandkreise geschaffen – hört man in die Landkreise hinein, dann wird immer wieder von Identifikationsschwierigkeiten der Menschen mit diesen Gebilden berichtet. Dies ist bis heute nicht abgeebbt“, schreiben die Grünen in ihrem Antrag, mit dem sie jetzt die Staatsregierung dazu bringen wollen, endlich nachzuprüfen, ob die Gebietsreform tatsächlich die verheißenen Folgen gehabt hat. „Die Erfahrungen, welche Verwaltung und Bürgerinnen und Bürger in den neu geschaffenen Landkreisen machen, sind zwiespältig. Haushalterisch lohnt der Blick: so müssen bereits jetzt sechs der zehn Landkreise über die Hälfte ihres Etats für Sozialausgaben bereitstellen, Tendenz steigend. Die Kreisgebietsreform scheint hier keinerlei positive Wirkungen erzielt zu haben – ob sie die Situation gar verschärft hat, gilt es, von Seiten der Staatsregierung endlich zu prüfen.“

Und versprochen hatte die damalige Milbradt-Regierung alles Mögliche: So zum Beispiel „eine leistungsstarke, moderne und ortsnah gestaltete Verwaltung zu schaffen, die somit zukunftsfähig ausgerichtet ist; transparente Zuständigkeiten und eine Verwaltung der kurzen Wege zu schaffen für Bürgerinnen und Bürger (jetzt und für zukünftige Generationen) aber auch für sächsische Unternehmen; die Entscheidungsautonomie der Staatsbehörden und der Träger der kommunalen Selbstverwaltung zu stärken; die gestalterischen Handlungsspielräume für eine ausgewogenen Politik für Arbeits- und Ausbildungsplätze, Bildungschancen, Familien- und Generationen Politik und soziale Gerechtigkeit zu bewahren und zu erweitern; die Verwaltung im Freistaat unter Berücksichtigung der demografischen Entwicklung und des Gebotes der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zu strukturieren. Weiterhin ging es darum, die Landkreise als moderne dienstleistende und bürgerorientierte Verwaltung weiterzuentwickeln, die eng mit den Segmenten Wirtschaft, Verkehr, Soziales, Ökologie Arbeit und Leben verbunden und dadurch in der Lage sind, sich verstärkt als Impulsgeber der regionalen Entwicklung zu profilieren.“

Alles Dinge, die die finanziell überforderten Kommunen augenscheinlich nicht leisten können. Oder nicht so wie erwartet.

Denn dazu müsste man über Personal und Kosten reden.

Zahlen die Kommunen vielleicht sogar drauf und der Freistaat hat sich auf Kosten der Kommunen wieder ein paar Aufwendungen erspart?

Keiner weißt es.

Die Grünen jedenfalls vermuten, dass die ganze Reform nur eine riesige Blase war. Und dass die Regierung deswegen lieber gar nicht genauer berichten will, wer dabei eigentlich draufgezahlt hat.

„Die Staatsregierung ist gegenüber Sachsens Einwohnerinnen und Einwohnern verpflichtet zu prüfen, ob die erhofften Ziele erfüllt werden konnten, welche Zusammenhänge zwischen bestimmten Entwicklungen und der Kreisgebietsreform von 2008 bestehen und wo gehandelt werden muss“, schreiben sie in ihrem Antrag und weisen darauf hin: „Aktuelle Studien zu Gebietsreformen zeigen, dass angestrebte Einsparungsziele nicht erreicht werden konnten – weder im Personalbereich noch anderweitig. Auch der Wunsch, dass Verwaltung effizienter werde, hat sich im Rahmen der Studie wohl nicht bestätigt. Das deckt sich mit dem, was Verantwortliche vor Ort in den Kreisen berichten.“

Einige Kreise haben mittlerweile massive Probleme, ihre Haushalte zur Deckung zu bringen. Viele Aufgaben bleiben liegen, weil allein schon die Sozialetats und die Kernhaushalte die verfügbaren Gelder verschlingen.

Ergebnis: Die Kommunen werden immer abhängiger vom finanziellen Goodwill der Staatsregierung. Sie haben durch die Reform keine Souveränität gewonnen, sondern Handlungsspielräume eingebüßt.

Die Grünen: „Zunehmend gestalten sich die Finanzbeziehungen zwischen Kommunen und Freistaat wie ein Flickwerk, an dem ausgebessert wird – die Gebietsreform steht damit unmittelbar im Zusammenhang.“

Jetzt kann man gespannt sein, ob auch dieser Antrag wieder abgelehnt wird, weil er beim „Regierungshandeln“ stört und ungewollte Erkenntnisse ans Tageslicht bringen würde. Oder ob die sächsische Regierung den Mumm hat, ihre Reform von 2008 tatsächlich mal auf den Prüfstand zu stellen und nachzuschauen, ob sie wirklich funktioniert hat. Und wenn nicht: Was nicht funktioniert hat und dringend repariert werden muss.

Der Antrag der Grünen zur Evaluation der Gebietsreform von 2008. Drs 9493

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