Da liest man und liest – und weiß am Ende noch immer nicht, wie Sachsens Supersparminister Georg Unland (CDU) sich eigentlich das Zurechtstutzen des Landespersonals vorstellt – außer dass er keine weiteren Lehrer und Polizisten will. Am Dienstag, 20. Juni, widmete ihm die „Sächsische Zeitung“ ein Interview mit der honorigen Warnung: „So fahren wir den Staat gegen die Wand“. Oder sollte sie besser heißen: „So demoliere ich das Land“?

In der Vergangenheit hat der Minister schon viele schräge Argumente gefunden, warum er es für richtig hält, das Landespersonal einzudampfen. Mal waren es die rückläufigen Bundesmittel, mal die hinschwindende Bevölkerung, mal nebulöse Vergleichsländer im Westen. Diesmal offerierte er ein neues: die Staatsquote. Das ist der Anteil der Staatsbediensteten an den Beschäftigten im Land.

Die neue Gefahr, die er im Interview beschwört: „Wenn wir im öffentlichen Dienst jetzt weiter jede frei werdende Stelle 1:1 wiederbesetzen oder Forderungen nach noch mehr Lehrer- oder Polizeistellen nachkommen, führt das angesichts der sinkenden Bevölkerungszahl automatisch zu einer höheren Staatsquote – der Anteil der Landesbediensteten an den immer weniger werdenden Steuerzahlern steigt. Während also Sachsens Industrie und Handwerk damit noch mehr Nachwuchsprobleme bekommen, würden wir auf eine Staatsbeschäftigungsquote von 20 bis 25 Prozent zusteuern – heute liegen wir bei knapp über 10 Prozent.“

Ein kühner Rechner, kann man da nur sagen. Denn zum Jahresende 2016 lag die Zahl der Erwerbstätigen in Sachsen offiziell bei 2,037 Millionen. Tendenz: steigend. Die Zahl der Beschäftigten im öffentlichen Dienst lag (Zahl von 2015) bei 197.360.

Macht nach Adam Ries 9,7 Prozent. Das sind nicht „knapp über 10 Prozent“, sondern knapp unter. Knapp über war es zuletzt 2010.

Mit den 20 bis 25 Prozent hat dann Unland den Interviewer der SZ so richtig über den Löffel balbiert. Denn das würde bedeuten, dass sich die sächsische Beschäftigtenzahl halbiert auf 1 Million. Was dann im Gegenzug natürlich Arbeitslosenquoten von über 50 Prozent bedeuten würde.

Aber lassen wir andere zu Wort kommen, die diesem Finanzminister nun seit Jahren auf die Finger schauen und von dessen Vision, die Beschäftigtenzahl im öffentlichen Dienst sogar noch unter 70.000 zu drücken, reineweg entsetzt sind.

Rico Gebhardt zum Beispiel, Vorsitzender der Linksfraktion im Sächsischen Landtag: „Der Freistaat rast längst in Richtung Wand, und Unland will mit der CDU auf dem Gaspedal stehenbleiben. Wenn wir den Aufprall noch verhindern wollen, müssen wir das Lenkrad herumreißen – und endlich die richtigen Fragen stellen. Ich bin gerne bereit, darüber zu debattieren, was ein Staat leisten soll und muss. Das geht aber nur mit seriösen Daten und klaren Ansagen. Hinter Tillichs Vorgabe, die Zahl der Landesbediensteten von 86.000 auf 70.000 zu drücken, stand nie ein Konzept. Unland setzt jetzt noch einen drauf und plädiert dafür, langfristig sogar noch mehr als ein Fünftel des Personals abzubauen, und das wiederum ohne Konzept.“

Man kann das Interview tatsächlich von oben nach unten lesen: Da ist kein Ansatz zu erkennen, mit welchen Zahlen der Finanzminister tatsächlich agiert. Bis heute hat die Staatsregierung kein belastbares Personalkonzept vorgelegt, das zeigt, welches Minimal-Personal das Land in welchem Bereich braucht.

Ergebnis: Ein Finanzminister spielt Ministerpräsident und schockiert die Öffentlichkeit mit frei erfundenen Zahlen. Das ist unseriös. Vor allem, weil es einen Kürzungsbedarf suggeriert, den Unland nicht genau benennen kann.

Spuck’s doch endlich aus, fordert Rico Gebhardt deshalb: „Der Finanzminister sollte endlich mutig werden und offen sagen, wo er weiter einschneiden will. Es überzeugt nicht, wenn er nebulös übers ‚Rationalisieren‘ spricht. Die Landesbediensteten im Justizvollzug, in der Arbeitsschutzverwaltung, im öffentlichen Gesundheitsdienst und an vielen, vielen anderen Stellen ächzen schon heute unter der Last ihrer Aufgaben, ganz zu schweigen von den Lehrkräften, Polizeibeamten und Hochschulbeschäftigten. Die Forderung nach ‚Rationalisierung‘ dürfte ihnen wie der blanke Hohn vorkommen.“

So sieht es auch Valentin Lippmann, innenpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion im Landtag: „Der einzige, der hier den Staat an die Wand fährt, ist Finanzminister Georg Unland mit seiner Besessenheit vom Stellenabbau. Nachdem nun endlich nach Jahren auch in Teilen der Koalition angekommen zu sein scheint, dass man mit immer weniger Personal keinen funktionsfähigen Staat gewährleisten kann, beweist der Finanzminister weniger Einsichtsfähigkeit als ein trotziges Kleinkind. Der Finanzminister wird mit seiner Sparwut immer mehr zu einer erheblichen Gefahr für einen funktionierenden Freistaat.“

Und auch er sieht, wie der „Staat“ aus schierer Personalnot jetzt schon versagt.

„Bereits jetzt begehen Straftäter fortgesetzt Straftaten, weil die Gerichte mit der Eröffnung von Gerichtsverfahren nicht hinterherkommen. Bereits jetzt stockt der Ausbau des Digitalfunks bei der Feuerwehr, weil in der Landesdirektion kein Personal zur Bearbeitung der Förderanträge vorhanden ist. Von den Problemen bei der Polizei oder in Sachsens Schulen wegen des mittlerweile dramatischen Personalmangels in diesen Bereichen ganz zu schweigen“, geht Lippmann nur auf die sichtbaren Spitzen des zunehmenden Staatsversagens ein.

Besonders perfide findet er das Ausspielen der Interessen der Wirtschaft gegen das Personal der Landesverwaltung. Denn auch die sächsische Wirtschaft bekommt seit Jahren zu spüren, was es bedeutet, wenn der heruntergesparte Staat seine Pflichtaufgaben nicht mehr erfüllt. Und eine Schulabbrecherquote von 10 Prozent, um ein Beispiel zu nennen, ist ein Staatsversagen.

„Es ist die Wirtschaft, die gut ausgebildete Fachkräfte braucht. Wenn wir bei Lehrern sparen, ist gute Bildung nicht mehr gewährleistet“, stellt Lippmann fest. „Es ist neben der Bevölkerung die Wirtschaft, die von einem sicheren Umfeld mit ausreichend Polizei profitiert. Wenn Anträge etwa zu großen Planfeststellungsverfahren nicht mehr bearbeitet werden können, trifft das ebenfalls die Wirtschaft. Der Staat selbst wird empfindlich getroffen, wenn an Steuerfahndern oder Betriebsprüfern gespart wird. Der wirtschaftliche Erfolg Sachsens hängt maßgeblich davon ab, ob wir ein funktionierendes und leistungsfähiges Staatswesen im Freistaat gewährleisten können.“

Und gerade beim Staatspersonal dürfte sich Georg Unland mit seinem Interview keine Freunde gemacht haben. Denn je weniger Leute dieselbe Arbeit leisten müssen, umso mehr leiden gesundheitlich darunter.

„Der öffentliche Dienst hat keine ‚fetten Jahre‘ hinter sich, die verzichtbare ‚Fettpolster‘ hätten hinterlassen können“, schätzt Rico Gebhardt ein. „Der Patient darbt längst auf der Intensivstation, und Chefarzt Unland will die Nahrungsmittel noch strenger rationieren. Infolge der CDU-getriebenen Abbaupolitik ist der Staat schon heute an vielen Stellen kaum noch handlungsfähig. Das zerstört Vertrauen, verschlechtert die allgemeinen Lebensbedingungen und treibt Menschen aus dem Land.“

Oder – um das zu ergänzen – vom Land. Denn die heruntergesparten Infrastrukturen im ländlichen Raum beschleunigen die Abwanderung der jungen Menschen in die Großstädte. Die sächsische Staatsregierung hat bis heute keinen Plan, wie sie diesen Trend stoppen könnte oder gar eine belastbare Familienpolitik auf die Beine stellen könnte.

„Für Unland ist der Bevölkerungsschwund offenbar ein unumstößliches Naturphänomen. Er fragt gar nicht erst danach, wie sich politisch gegensteuern ließe“, benennt Gebhardt den nächsten wunden Punkt in Unlands sturer Politik. „Stattdessen soll alles weitergehen wie bisher, von Einsicht keine Spur. Sehr anschaulich ist sein Plädoyer für größere Schulklassen – frei nach dem Motto: Nichts ist so übel, dass es sich nicht noch verschlimmern ließe. Dazu passt es beispielsweise auch, dass die Hochschulen gezwungen werden, sich zu verkleinern, was auch den Wissenstransfer in Richtung sächsischer Unternehmen beeinträchtigen dürfte. Kombiniert mit einer Schulpolitik, die personell nicht auf steigende Schülerzahlen reagieren will, wird das die Nachwuchsprobleme der heimischen Wirtschaft mit Sicherheit lösen … Ironie beiseite: Was sagt eigentlich Stanislaw Tillich zu diesen wichtigen Fragen? Ist er noch Regierungschef?“

War er je Regierungschef, könnte man fragen. Denn augenscheinlich torpediert Unland mit seinem Interview auch die aktuelle Regierungspolitik. So auch mit der kühnen Behauptung, im nächsten Doppelhaushalt werde es keine zusätzlichen Stellen mehr für Lehrer und Polizisten geben. Da will einer den Hahn zudrehen. Und wohl noch mehr Geld in die gigantischen Rücklagefonds des Freistaats umleiten.

Da klingt ein Appell von Valentin Lippmann eher besorgt: „Ich fordere den Finanzminister auf, sich endlich auf die Nachwuchsgewinnung für die öffentliche Verwaltung zu konzentrieren. Dafür müssen jetzt – noch bevor die großen Altersabgänge eintreten – junge Fachleute gewonnen werden.“

Aber wie Unland ja betonte, hat er gar nicht vor, Altersabgänge 1:1 zu ersetzen.

Die „immer noch unhaltbare Personalsituation im öffentlichen Dienst“ will er gar nicht verbessern, wie es die Grünen fordern.

„Wir werden weiterhin dafür eintreten, dass wir in Sachsen einen gut ausgestatten und leistungsfähigen öffentlichen Dienst als Rückgrat unseres Freistaates haben, egal mit welchen Fantasiezahlen der Finanzminister beim nächsten Mal um die Ecke kommt“, sagt Lippmann. „Die Verantwortung liegt jetzt auch bei der Regierungskoalition, weiteren Schaden von Sachsen abzuwenden und dem Finanzminister Einhalt zu gebieten.“

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Die Leipziger Zeitung Nr. 44: Über die Grenzen hinaus

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