Was schon zu ahnen war und was bei all den Plänen des sächsischen Innenministers, der Polizei noch mehr Überwachungsmöglichkeiten an die Hand zu geben (auch mit dem geplanten Überwachungszentrum in der Essener Straße), eine nicht unwichtige Rolle spielt, ist die Tatsache, dass die Ermittler schon längst in privaten Sphären unterwegs sind, wo sie überhaupt nichts zu suchen haben. Das hat der Datenschutzbeauftragte jetzt auch der Sächsischen Staatsregierung attestiert.

Und zwar konkret zum Abhörskandal der Fußballszene/linken Szene rund um den Fußballclub BSG Chemie Leipzig. Für Valentin Lippmann, den innenpolitischen Sprecher der Grünen-Fraktion im Landtag, eine neue Dimension der Übergriffigkeit.

Der Sächsische Datenschutzbeauftragte hat die Staatsanwaltschaft und das Landeskriminalamt förmlich beanstandet, weil Teile der Protokolle und Aufzeichnungen der Telekommunikationsüberwachungen, die den Kernbereich privater Lebensgestaltung betrafen, nicht unverzüglich gelöscht wurden. Das ist ein Ergebnis der Befassung des Verfassungs- und Rechtsausschusses des Sächsischen Landtages mit dem Thema auf Antrag der Grünen-Fraktion.

„Auf den verfassungsrechtlich verbrieften Schutz des Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung scheinen das LKA und die Staatsanwaltschaft während des gesamten Ermittlungsverfahrens keinen Pfifferling gegeben zu haben. Dass intimste Gesprächsinhalte über Jahre rechtswidrig gespeichert wurden, ist unfassbar. Ich bin bestürzt über diese Defizite bei der Kenntnis und Anwendung strafprozessualer Selbstverständlichkeiten. Ich hoffe, dass die vom Justizminister Sebastian Gemkow in Aussicht gestellte Sensibilisierung und Schulung Abhilfe schafft“, stellt Valentin Lippmann fest, der bei den Grünen auch Sprecher für Datenschutz ist.

Augenscheinlich kennen Sachsens Ermittler keine Grenzen, wenn es um Untersuchungen im linken Milieu geht. Es sind ja mittlerweile drei solcher Vorgänge im Umfeld von Chemie Leipzig, bei denen am Ende nichts herauskam. Schon gar nicht der Nachweis einer kriminellen Vereinigung.

„Ein solcher Ermittlungsexzess darf sich mit Blick auf die schweren Grundrechtseingriffe gegenüber den Beschuldigten und unbeteiligter Dritter, die Diskreditierung ihres Ansehens und Kriminalisierung ihrer Arbeit, die große Anzahl durch das Verfahren Betroffener, die Auswahl der Ermittlungsmethoden und den Schaden für das Ansehen der Fansozialarbeit und der Sicherheitsbehörden in Sachsen nicht wiederholen“, sagt Lippmann.

„Umso bedauerlicher ist es, dass die CDU/SPD-Koalition dem Antrag nicht zugestimmt hat. Denn welche Maßnahmen man treffen will, um solche nur zum Ausspähen von Strukturen einer ganzen Szene eingeleiteten, von vornherein absehbar aussichtslosen Ermittlungen künftig zu vermeiden, wurde uns heute nicht mitgeteilt. Ich befürchte daher, dass dies nicht das letzte Verfahren zur Ermittlung von Strukturen eines ganzen Phänomenbereichs sein wird.“

Das Tragische ist: Auch Roland Wöller als Innenminister setzt wie sein Vorgänger auf die Wunderversprechen technischer Überwachung und will die Befugnisse und die technische Ausstattung der Polizei dafür noch ausweiten.

„Ich möchte zudem alle Befürworter der präventiven Telekommunikationsüberwachung, wie sie das neue Polizeirecht vorsieht, warnen“, sagt hingegen Lippmann. „Dieser Fall zeigt, wohin Ermittlungen führen, wenn sie rechtswidrig oder unter Nichtbeachtung der Regelungen zum Persönlichkeitsschutz vorgenommen werden: zu massiven und massenhaften Eingriffen in Grundrechte. Wenn schon die Polizei als Ermittlungsbeamte der Staatanwaltschaft nicht rechtmäßig arbeiten kann, ist für präventive Schnüffeleien ohne jeglichen Anfangsverdacht Schlimmstes zu befürchten.“

Der Chemie-Abhörskandal hat wieder ein Nachspiel im Sächsischen Landtag

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