Das Aus für die AMI in Leipzig kam im Februar 2016 nicht ganz unerwartet. Der Wurm war schon länger drin, bestätigte am Mittwoch, 8. Juli, Martin Buhl-Wagner, Sprecher der Geschäftsführung der Leipziger Messe. Das war eigentlich nicht das Hauptthema beim Sommergespräch der Leipziger Messe. Da ging es um die Bilanz für das abgelaufene Geschäftsjahr 2015. Und die ist gut.

Die Messe ist richtig stolz auf das Ergebnis: 79,9 Millionen Euro Umsatz, 2,9 Millionen Euro mehr als im Vorjahr. Und den Zuschussbedarf der Gesellschafter Stadt Leipzig und Freistaat Sachsen hat man wieder unter 7 Millionen Euro gedrückt – genauer: 6,9 Millionen.

Und für 2016 wird eine ganz neue Marke angepeilt, kündigt Buhl-Wagner an: über 90 Millionen Euro.

Erst das Drama um die AMI und dann doch eine Erfolgsgeschichte?

Die beiden Messegeschäftsführer Martin Buhl-Wagner und Markus Geisenberger nutzten das Sommergespräch, um die Journalisten einmal ganz nach oben zu lotsen: aufs Dach des Congress Centers Leipzig (CCL), von dem man einen guten Überblick hat über das 1996 eröffnete Messegelände, gern auch heute noch das neue genannt, um es vom alten an der Prager Straße zu unterscheiden. Denn die Zahlen von heute sind nur aus der turbulenten Vergangenheit zu erklären und den Weichenstellungen der 1990er Jahre, die die  jahrzehntelange Erstarrung der Leipziger Messe mit ihren Frühjahrs- und Herbstmessen beendeten, die nicht wirklich mehr waren als die großen Umschlagplätze, wo sich Ost und West trafen und ihre Handelsverträge schlossen.

Solche Messen gab es im Westen schon lange nicht mehr. Seit den 1970er Jahren hatten sich überall spezielle Fach- und Themenmessen entwickelt, wo sich die führenden Anbieter ihrer Branche trafen. Als 1990 die deutsche Einheit kam, waren die Pfründen verteilt. Und über dem Messeplatz Leipzig stand ein riesiges Fragezeichen: Wer brauchte diese Messe überhaupt noch?

Schon vor 1996 wurden trotzdem die ersten Fachmessen entwickelt, wurde das alte Messegelände mit neuen Formaten bespielt. Aber das wäre nicht lange gut gegangen. Um wirklich innovative Formate entwickeln zu können, brauchte man ein neues Gelände mit neuen Funktionalitäten. Mit der historischen Bausubstanz auf dem alten Gelände hätte das nicht geklappt.

„Die hatten damals noch eine richtige Vision“, sagt Buhl-Wagner. Das neue Schmuckstück wurde gebaut – mit einem imposanten Eingangskörper: der großen Glashalle. Und so funktional, dass sich tatsächlich erst in den nächsten 20 Jahren zeigte, was hier alles möglich ist und wie flexibel die Messe agieren kann. Längst hat man sich daran gewöhnt, dass hier nicht nur 30 Messen im Jahr stattfinden – viele hochspeziell und mit großem technischen Aufwand. Längst gehören auch Sportveranstaltungen, Shows und Wettkämpfe zum Normalen. Im CCL finden international beachtete Kongresse statt, die das Ausstellungsareal flexibel mitbespielen.

Längst ist Leipzigs Messegesellschaft weit weg vom ursprünglichen reinen Messeveranstalter. Selbst Messe- und Kongressveranstalter umfasst das Portfolio nicht mehr ganz. Buhl-Wagner spricht von einer „Plattform für Präsentationen“. Und: „Messen machen keine Märkte.“ Sie bilden ab, wie sich die Branchen, Wirtschaftssegmente und Produkte entwickeln. Und damit verglichen, was in den letzten Jahren passierte, waren auch die 1970er Jahre noch eine beschauliche Zeit.

Zwar hat sich die Zahl der Eigenmessen in Leipzig von 1995 bis heute von 25 auf 30 erhöht. Doch 70 Prozent der Messen des Jahres 2016 sind völlig neu entwickelt und haben mit dem Startportfolio von 1995 nichts mehr zu tun. Etliche Messen sind im Lauf der Zeit wieder aus Leipzig verschwunden – legendär und viel beweint die Games Convention. Andere haben sich völlig verwandelt, neue Namen und Strukturen bekommen. Und manche Messe löste sich auch – wie im Februar 2016 die AMI – in Wohlgefallen auf.

Wie gesagt: nicht unerwartet.

Denn schon in den Vorjahren verzeichnete die große ostdeutsche Automesse nicht nur rückläufige Ausstellerzahlen, sondern vor allem auch rückläufige Besucherzahlen. Was nicht allzu sehr auffiel, weil sie mit über 248.000 Besuchern im Jahr 2014 noch immer die besucherstärkste Messe in Leipzig war – knapp vor der Buchmesse, dem echten Urgestein unter den Leipziger Messen, die es auf 237.000 Messebesucher brachte. Die Besucher von „Leipzig liest“ waren da aber nicht mitgezählt. Und während die Buchmesse es geschafft hat, sich in großen Teilen nach 1990 völlig neu zu erfinden und auch moderne, von Communities getriebene Elemente wie die Manga Convention zu integrieren, war für die AMI so etwas nicht in Sicht.

Trotz der Versuche, dem großen Auto-Ereignis auch schon die Mobilitätsthemen der Zukunft zur Seite zu stellen: gebündelt in der „New Mobility“. Doch die ist bis heute ein Forum für Fachleute. Der Schritt zur Konsumentenmesse steht noch aus. Und man muss sich nur die vielen Traumblasen auf dem Markt der neuen Mobilität anschauen, um zu ahnen, warum das so ist – der Hype um selbstfahrende Autos, um E-Autos, Sharing-Systeme und was der elektronischen Spielereien mehr sind, ist groß. Doch der Zeitenwechsel ist noch nicht greifbar.

Was aber greifbar war – eigentlich schon seit 2006 und dem Umschalten der AMI auf einen zweijährigen Turnus – war die Sättigung des ostdeutschen Automarktes. Das war die Zeit, als die großen Hersteller die große Schere ansetzten an ihre Vertriebsnetze und den Bestand der Autohäuser deutlich reduzierten. Die Ostdeutschen strömten nicht mehr voller Neugier, um die Karossen der Zukunft zu sehen.

Und ein Paradigmenwechsel geschah, betont Buhl-Wagner: Das Auto verlor bei den jüngeren Generationen seinen Status als Prestigeobjekt. Es wurde fast komplett durch das Smartphone ersetzt. Ein Generationenbruch, der dann durch die Diesel-Affäre im Winter nur noch deutlicher wurde. Als die ersten Aussteller sich bei der AMI abmeldeten, folgten die anderen in einem regelrechten Domino-Effekt. „So etwas hätte auch ich nicht erwartet“, sagt  Buhl-Wagner.

Verdirbt das der Leipziger Messe nun die Bilanz 2016?

Indirekt ein wenig. Denn die Kosten zur Vorbereitung der Messe hatte man ja trotzdem. „2006 hätten wir so einen Schlag wohl nicht verkraftet“, sagt Buhl-Wagner. Aber 2016 hat sich Vieles geändert. Die AMI machte nur noch 5 Prozent vom geplanten Jahresumsatz aus. Und andere Messen erwiesen sich als ein Erfolg, der nach Jahren Früchte trägt. Zu Beginn 2016 schrieben Messen wie „Partner Pferd“, „Haus Garten Freizeit“, „Buchmesse“ neue Rekordzahlen. Und das auch, weil sie ihr Portfolio immer wieder erneuert und erweitert haben. Dazu kam der selbst für die Messegesellschaft überraschend fulminante Start der „Dreamhack“.

Dass diese Veranstaltung ein Erfolg werden würde, dessen war sich Markus Geisenberger vorher schon sicher. Nur nicht über das Ausmaß und die Resonanz, was auch zeigte, wie sich die Welt verändert hat und welches die eigentlich zündenden Themen der Gegenwart sind. Das Auto könnte durchaus wieder auftauchen – irgendwann mal, in einem völlig anderen Zusammenhang. Nämlich einem, in dem es um Digitalisierung, Vernetzung und Computerisierung geht.

Für das Thema steht nicht nur die „Dreamhack“, die im Januar 2017 ihre nächste Auflage erlebt, sondern auch der „Robocup“, der gerade erfolgreich in Leipzig über die Bühne ging. Warum sollte so ein Ereignis nicht auch dauerhaft im Portfolio der Leipziger Messe seinen Platz finden?, fragt Geisenberger.

Mit der Konferenz „Protekt“ hat man gerade erst auch die Sensibilität moderner Infrastrukturen thematisiert. Und um Computerisierung und Roboterisierung geht es ja längst auch im Maschinenbau, der 2017 mit Z und Intec wieder auf der Messe ist.

Es ginge nun einmal immer wieder darum, die richtigen Formate für die Themen und Produkte der Zeit zu finden, betonen die beiden Geschäftsführer. Und wenn Formate funktionieren, geht man damit auch auf die internationalen Märkte. Exemplarisch steht dafür die „Denkmal“. So etwas spiegelt sich dann in der Bilanz der Messetochter LMI: Leipziger Messe International, die 2015 ihr Ergebnis auf 9 Millionen Euro verdoppeln  konnte.

Da hilft der Blick vom Dach des CCL tatsächlich auf dieses funktionale Messegelände, das wirklich nicht so aussieht, als wäre es in diesem Jahr schon 20 Jahre alt. Man sieht ihm aber auch nicht an, was unter der Hülle alles schon – vor allem an Technik – umgebaut wurde. Und  künftig umgebaut werden wird. Denn auch dieses Messegelände ist ja nur eine „Plattform“, eine gut geplante, bestens geeignet, immer schneller an neue Aufgaben angepasst zu werden. Denn was die 2010er Jahre deutlich selbst von den 1990er Jahren unterscheidet, ist die enorm erhöhte Innovationsrate – gerade im Bereich der Messen. Und diesen Sprung in ein neues, immer schnelleres Zeitalter hat Leipzigs Messe irgendwie geschafft.

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