Seit einem Jahr arbeitet Leipzig nach Familienaktionsplan. Professor Jörg Klewer von der Westsächsischen Hochschule Zwickau hat die Kommunen Mitteldeutschlands zur Familienfreundlichkeit befragt. Seine Forschungsergebnisse präsentierte der Experte für Management im Gesundheits- und Pflegesystem am Montag, 18. Juni, in Leipzig. Ein L-IZ-Interview.

Herr Professor Klewer, Sie haben die Metropolregion Mitteldeutschland auf Familienfreundlichkeit untersucht. Was sind die hervorstechenden Ergebnisse Ihrer Fragebogenaktion?

Da es eine der ersten Befragungen dieser Art ist, gibt es aus wissenschaftlicher Sicht viele interessante Ergebnisse. Besonders interessant ist jedoch, dass sogar in der Selbsteinschätzung der Kommunen sich die kleinen Kommunen deutlich weniger als familienfreundlich ansehen als die großen Städte. Ferner war ein interessantes Ergebnis, dass in den Kommunen, in denen die Wirtschaftsförderung mit für die Familienfreundlichkeit zuständig ist, lokale Unternehmen erkennbar besser in Entscheidungsprozesse zur Optimierung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie eingebunden sind.

Wie würde denn die Region Mitteldeutschland im Vergleich mit den führenden Ballungsräumen der Bundesrepublik in puncto Familienfreundlichkeit abschneiden?

Auf der konzeptionellen Seite sehr gut, da die Metropolregion Mitteldeutschland mit den seitens der AG Familienfreundlichkeit herausgegebenen “Leitlinien zur Familienfreundlichkeit” eine gute Handreichung besitzt, um vor allem auf kommunaler Ebene die Familienfreundlichkeit zu optimieren. Auf der Umsetzungsebene besteht vor allem im ländlichen Raum, trotz eines teilweisen guten Angebots an Kinderbetreuungseinrichtungen, sowohl generell hinsichtlich der Wahrnehmung des Themas als auch bei den Kultur- und Freizeitangeboten noch Nachholbedarf.

Wo lebt es sich anhand Ihrer Befragungsergebnisse für Familien besser: in überschaubaren Einfamilienhausgemeinden, oder in den größeren Städten mit einem vielfältigen Bildungs- und Kulturangebot?

Wir haben in unserer Befragung nur die Kommunen gefragt, nicht Familien selber. Dennoch zeigte sich, dass in vielen kleinen ländlichen Kommunen sogar seitens der lokalen Verantwortlichen die Familienfreundlichkeit eher schlecht eingeschätzt wird. Im Kontext der Antworten lässt sich die Frage jedoch dahingehend beantworten, dass die größeren Städte, trotz des zum Teil in einzelnen Stadtvierteln nicht immer ausreichenden Angebots an Kinderbetreuungsplätzen, insgesamt deutlich familienfreundlicher sind.

Wer sich Familienfreundlichkeit erarbeiten muss, hat Nachholbedarf oder steht vor neuen Herausforderungen. Warum hat das Thema aus Ihrer Sicht eine solche Konjunktur?

Da gibt es mehrere Gründe, die wichtigsten sind der demographische Wandel, verbunden mit einem Rückgang der Bevölkerung, und eng damit verknüpft, der in einzelnen Branchen zunehmende Mangel an qualifizierten Arbeitskräften. Somit ist Familienfreundlichkeit zu einem wichtigen Standortfaktor geworden!

Durch eine lokale Ausrichtung auf die Bedürfnisse von Familien ist das einfacher, Fachkräfte an die Region zu binden beziehungsweise in diese zu holen – um somit auch den Bevölkerungsrückgang aufzuhalten.In diesem Zusammenhang möchte ich darauf hinweisen, dass Familienfreundlichkeit sich nicht nur auf Familien mit Kindern bezieht, sondern genauso die Versorgung pflegebedürftiger älterer Familienmitglieder umfasst, für die ein entsprechendes Freizeit- und Versorgungsangebot vorhanden sein muss. Viele Arbeitnehmer befinden sich heute in einer “Sandwich-Position”, indem sie sowohl kleine Kinder als auch zu pflegende Eltern beziehungsweise Großeltern haben und sich um die Versorgung von beiden kümmern müssen. Somit ist die Vereinbarkeit von Ausbildung/Berufstätigkeit und Familie sowohl für Kommunen als auch für Unternehmen von großer Bedeutung.

Ein wichtiges Familien-Thema, das am Ende die Kommunen regeln müssen, ist ein bedarfsgerechtes Angebot von Kinderbetreuungsplätzen. Wie sehen Sie die Kommunen der hiesigen Metropolregion aufgestellt – auch vor dem Hintergrund des ab nächsten Sommer geltenden Rechtsanspruchs auf einen Betreuungsplatz auch für unter Dreijährige?

In den teilnehmenden Kommunen zeichnet sich überwiegend ein positives Bild, die meisten sehen das Angebot an Tagesbetreuungseinrichtungen für Kinder unter drei Jahren als eher ausreichend bis ausreichend an. Allerdings handelt es sich um Aussagen aus Sicht der Kommune.

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Aus einer vorangehenden detaillierten regionalen Befragung wissen wir, dass ein seitens der Kommune als ausreichend eingeschätztes Angebot an Kinderbetreuungsplätzen vor allem in größeren Städten nicht mit einem im Stadtgebiet gleich verteilten Angebot gleichzusetzen ist, so dass für Eltern aus manchen Vierteln dennoch längere Wege notwendig sind, um die Kinder in eine Betreuungseinrichtung zu bringen.

Viele Kommunen setzen auf einen Aktionsplan Familienfreundlichkeit. Für wie wirksam halten Sie dieses Instrument?

Zumindest der erste Teil Ihrer Frage wird durch unsere Befragungsergebnisse nicht unterstützt, denn circa zwei Drittel der teilnehmenden Kommunen verfügen nicht über einen entsprechenden Aktionsplan und bekundeten auch kein Interesse, einen solchen in absehbarer Zeit zu erstellen.

Aktionspläne sind letztlich nur dann sinnvoll, wenn auch aktiv auf ihre Umsetzung hingearbeitet wird. Dann handelt es sich bei dem Aktionsplan Familienfreundlichkeit um ein sinnvolles Instrument, um lokal die Familienfreundlichkeit zu verbessern. Ansonsten hat ein solcher Aktionsplan nur eine reine Alibi-Funktion und kann auf engagierte Akteure eher demotivierend wirken.

Vielen Dank für das Gespräch.

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